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Gaza-Krieg
Weiter Unruhe in den Köpfen

Auch wenn die heftigen gegenseitigen Angriffe von Israelis und Palästinensern im Gazastreifen beendet sind - in den Köpfen vieler Palästinenser ist der Konflikt präsenter denn je. Mitte Juli hatte es in Gaza-Stadt die größten anti-israelischen Proteste seit zehn Jahren gegeben. Und dass sich an der Situation der Palästinenser im Gazastreifen und im Westjordanland etwas ändert, zeichnet sich nicht ab.

Von Wolf Siebert |
    Es geschah während des Gaza-Krieges in Hebron im Westjordanland : Rund 2000 Hamas-Anhänger forderten ein Ende des Krieges. Fahnenschwingend rückten sie gegen die israelische Armee vor. Die schoss zunächst mit Gummigeschossen, später mit scharfer Munition. Die palästinensische Polizei ging dazwischen, um Schlimmeres zu verhindern. "Ihr seid Sklaven Israels!" – riefen die Hamas-Anhänger. Das denken viele Palästinenser. Der Gaza-Krieg, er hat dem Hass auf die Israelis Auftrieb gegeben. Gershon Baskin war damals in Hebron:
    "In Gesprächen habe ich eine veränderte Haltung gespürt: eine totale Solidarität mit den Menschen in Gaza. Denn der Krieg wurde empfunden als Krieg gegen das palästinensische Volk."
    Kaum einer kennt beide Konfliktparteien so gut wie Gershon Baskin, israelischer Jude mit amerikanischen Wurzeln. Vor Jahren hat er ein israelisch-palästinensisches Sozialforschungsinstitut gegründet. Und er hat in heiklen politischen Fragen zwischen beiden Seiten zu vermitteln versucht – mal offiziell man inoffiziell.
    Fast uneingeschränkte Rechte der Israelis
    Baskin weiß: In Demonstrationen wie dieser entlädt sich Wut, Wut der Palästinenser auch auf die Besatzungsmacht Israel. Seit 1967 hält Israel das West-Jordanland und Ost-Jerusalem besetzt. In den meisten Landstrichen des Westjordanlands hat es fast uneingeschränkte Rechte: Verhaftungen ohne Haftbefehl, Beschlagnahme von palästinensischem Land, Ausbau jüdischer Siedlungen und: tödliche Schüsse auf Jugendliche, die Steine werfen. Selbst Kleinigkeiten werden geahndet: Als ein palästinensischer Künstler überdimensionale Pässe anfertigte – eines Staates Palästina, den es noch gar nicht gibt, verboten ihm die israelischen Behörden, zu einer Vernissage ins Ausland zu reisen. Sahar Francis, Anwältin und Menschenrechtsaktivistin aus Ramallah:
    "Das ist Ausdruck der israelischen Apartheid-Politik. Es zeigt, wie dramatisch die Besatzungsmacht unsere Grundrechte verletzt. Es geht nicht nur um Politik oder um bewaffneten Kampf, der ihre Sicherheit gefährden könnte. Diese Politik strebt danach, unser ganzes Leben einzuschränken."
    Die Wut verbindet sich bei vielen mit der Überzeugung, dass sich ein unabhängiger palästinensischer Staat nicht mehr durch Verhandlungen mit Israel erreichen lässt. Auch Diana Buttu denkt so. Die in Kanada aufgewachsene Palästinenserin war einst PLO-Sprecherin und ist nun politische Beraterin:
    "Egal was wir tun: Israel wird uns immer als Terroristen brandmarken. Und die internationale Gemeinschaft wird uns nicht helfen. Wir werden immer hilflos sein. Seien Sie also nicht überrascht, wenn die Palästinenser die Dinge selbst in die Hand nehmen. Seien Sie nicht überrascht, wenn die Unterstützung für die Hamas steigt."
    Besatzungssituation wird sich nicht zügig ändern
    Gershon Baskin kennt diese Stimmen. Und er warnt die israelische Regierung, sie nicht ernst zunehmen:
    "Die Besatzung ist nach 47 Jahren nicht mehr tragbar. Die ganze Welt ist überzeugt: Die Besatzung muss enden, und wenn sie nicht endet, wird es enormen Druck auf Israel geben: wirtschaftlichen Druck, Boykott und Sanktionen, das wird schneller kommen als Israel glaubt."
    Zur Zeit gibt es aber keine Anzeichen, dass Israels Regierung die Besatzung aufgeben wird. Sollten Israelis und Palästinenser auch im Gaza-Konflikt keine tragfähige Lösung finden, dann könnte sich die Wut der Palästinenser in Gewalt entladen.
    Abbas Zaki vom Exekutivkomitee der gemäßigten Fatah:
    "Das ist kein Terror, wenn man in einem besetzten Land lebt. Wir haben das Recht auf Widerstand, auch militärischen Widerstand. Natürlich sind auch Verhandlungen wichtig. Aber schauen Sie in die Geschichte: In Vietnam haben sie verhandelt und gekämpft, in Algerien unter den Franzosen haben sie auch verhandelt und gekämpft."
    Hoffnung auf Wandel in Israel
    Der nach wie vor zu Verhandlungen mit Israel bereite palästinensische Präsident Mahmoud Abbas muss nun versuchen, die Hamas einzubinden und die ihn stützenden Kräfte bei der Stange zu halten, auch die Fatah.
    Gershon Baskin, der Mahner und Brückenbauer, wird weiter gegen Feindbilder auf beiden Seiten kämpfen. Er spürt aber, dass nach 20 Jahren ergebnisloser Verhandlungen endlich etwas geschehen muss, das nach Hoffnung aussieht:
    "Der Wandel muss aus Israel herauskommen. Wir müssen das Ruder herumreißen. Aber solange das nicht geschieht, sollten die Palästinenser das nicht als Legitimation nehmen, um die falschen Dinge zu tun. Stattdessen sollten sie Abbas stärken, der ein Peacemaker ist und nicht Hamas und den Djihad, die sie in die Zerstörung führen."