Fußball in Palästina
Ein Stadion als Gefangenenlager

Auch im neuen Jahr dürfte der Krieg im Nahen Osten den internationalen Sport beeinflussen. Auch der Fußball in Gaza liegt am Boden. Trotzdem tritt die palästinensische Nationalmannschaft ab Mitte Januar bei der Asienmeisterschaft in Katar an.

Von Ronny Blaschke |
Blick in das Yarmouk-Stadion im Gaza-Streifen während eines Fußballspiels im Jahr 2022. Die Ränge sind recht voll, im Vordergrund das Spielfeld.
Seit 1938 wird im Yarmouk-Stadion (hier im Jahr 2022) in Gaza Fußball gespielt. Heute benutzt die israelische Armee das Stadion als Internierungslager für hunderte Palästinenser. (IMAGO / ZUMA Wire / IMAGO / Mahmoud Ajjour)
Susan Shalabi verbringt jeden Tag mehrere Stunden im Internet und nimmt viele Anrufe entgegen. Als Vizepräsidentin des Palästinensischen Fußballverbandes dokumentiert sie traurige Nachrichten aus Gaza. Über Spieler, die bei Bombardierungen getötet wurden. Über Trainer, die schwer verletzt sind. Über Stadien und Sportplätze, die komplett zerstört sind.
„Die Zahl der Opfer in Gaza ist so hoch. Manchmal haben wir Schwierigkeiten, sie zu identifizieren“, sagt Susan Shalabi. „Mit Sicherheit können wir sagen, dass mehr als 80 Fußballer in Gaza getötet wurden. Ich gehe davon aus, dass die Dunkelziffer wesentlich höher ist. Auch im Westjordanland ist an Fußball nicht mehr zu denken. Die Mannschaften können sich kaum zwischen den Städten bewegen. Sie müssten viel Zeit an Checkpoints verbringen. Und sie haben Angst von Angriffen israelischer Siedler.“

Spieler trauern um Verwandte

Nach Verhandlungen mit den israelischen Behörden konnte zumindest das Palästinensische Nationalteam ausreisen. Die Mannschaft bereitete sich zunächst in Algerien auf die Asienmeisterschaft vor, inzwischen ist sie im Gastgeberland Katar gelandet. Die Funktionärin Susan Shalabi sagt, dass sich die Spieler jedoch kaum konzentrieren können. Etliche von ihnen trauern um Verwandte und Freunde, die in Gaza getötet wurden. Trotzdem möchte die palästinensische Mannschaft bei der Asienmeisterschaft gute Leistungen zeigen. Schließlich sei der Fußball für Palästina, das von den Vereinten Nationen nicht als Staat anerkannt ist, eine der wichtigsten Plattformen überhaupt.  
„Ich denke nicht, dass es die Palästinenser kritisch sehen, dass wir nun in Kriegszeiten eine Mannschaft zur Asienmeisterschaft schicken“, sagt Susan Shalabi. „Über den Fußball können wir unsere nationale Identität ausdrücken. Unser Trainer bittet die Spieler darum, nicht so viel Zeit vor dem Fernseher oder im Internet verbringen. Aber das ist schwer. Wir haben zwei Spieler aus Gaza im Team. Von einem wollten wir die Familie herausholen. Bei der kleinen Tochter ist das geglückt, aber seine Frau ist noch in Gaza. Der Druck für den Spieler ist enorm.“

Benefizspiele in Katar für Gaza

Der Palästinensische Fußballverband hat sich ans Improvisieren gewöhnt. Bereits im vergangenen November, in der Qualifikation für die WM 2026, musste die Nationalmannschaft ihr Heimspiel gegen Australien nach Kuwait verlegen. Dort ließen sich die Spieler mit der Kufiya fotografieren, mit dem sogenannten Palästinensertuch.
Die FIFA lehnt politische Botschaften in den Stadien offiziell ab. Doch schon bei der WM 2022 in Katar hatte es der Weltverband geduldet, dass Fans palästinensische Fahnen schwenken. Nun bei der Asienmeisterschaft in Katar, wo Führungskräfte der Hamas leben, dürfte die Unterstützung für die Palästinenser noch deutlicher werden. Im ersten Spiel trifft Palästina auf den Iran, dessen Regime Israel das Existenzrecht abspricht.
Mahfoud Amara, Experte für Fußball in der arabischen Welt, erwartet eine emotionale Partie: „Die Tickets für die Spiele des palästinensischen Teams bei der Asienmeisterschaft waren sehr begehrt. Viele Palästinenser, die in Katar leben, werden diese Gelegenheiten nutzen, um ein Zeichen der Solidarität zu setzen. Und Menschen aus anderen arabischen Gemeinschaften werden sie dabei unterstützen. Bereits in den vergangenen Wochen fanden in Katar Freundschaftsspiele statt, um Spenden für Gaza zu sammeln. Auch internationale Spieler und Kommentatoren haben mitgewirkt.“

Große Diaspora in Chile

Die palästinensischen Fußballer blicken auf eine bewegte Geschichte. Ihr Verband wurde 1962 gegründet und 1998 in die FIFA aufgenommen. Jahrelang musste die Nationalmannschaft ihre Heimspiele aus Sicherheitsgründen im Ausland bestreiten. 2008 spielte sie gegen Jordanien, dann erstmals vor heimischen Fans, in Al-Ram, einem arabisch geprägten Vorort von Jerusalem.
Im palästinensischen Fußball wurden zwei Meisterschaften ausgespielt, in Gaza und im Westjordanland. Diese Trennung symbolisiert auch die politische Teilung der Bewegung zwischen der Terrororganisation Hamas und der Partei Fatah. Wegen Spannungen und der eingeschränkten Mobilität setzten die Nationaltrainer häufig auf Spieler, die in der Diaspora aufgewachsen sind, im Libanon, in Jordanien oder in den USA. Der Politikwissenschaftler Danyel Reiche hat den Sport in der palästinensischen Diaspora erforscht: „Palästina hat ungefähr fünf Millionen Einwohner. Und die Diaspora wird geschätzt auf ungefähr zwölf, zwölfeinhalb Millionen Einwohner. Es gibt vor allem in Chile einen palästinensischen Verein, der sehr erfolgreich ist. Das geht historisch auf christliche Auswanderung aus Palästina nach Chile zurück. Es gibt einen sehr erfolgreichen Verein in Jordanien. Und man darf nicht vergessen: Zwanzig Prozent der Israelis sind Palästinenser. Es gibt auch arabische Vereine in Israel.“

Sechs israelische Klubs in Siedlungen

Zu diesen arabischen Klubs gehören Bnei Sachnin und Hapoel Umm al-Fahm, beide aus dem Norden von Israel. Arabisch-israelische Spieler aus diesen Vereinen könnten theoretisch auch für die palästinensische Nationalmannschaft auflaufen, doch der palästinensische Verband lehnt solche Nominierungen weitgehend ab. Man kann das als Protestzeichen gegen die israelische Politik deuten. Zum Beispiel gegen die sechs israelischen Fußballklubs, die in jüdischen Siedlungen im Westjordanland gegründet wurden.
Susan Shalabi ist Fußballfunktionärin, aber zuletzt veröffentlichte sie in sozialen Medien eher politische Nachrichten, auch ein Video über das Yarmouk-Stadion in Gaza. Sie sagt: „Dieses Stadion ist ein historischer Ort für uns, da wurde bereits 1938 erstmals Fußball gespielt. Erst vor kurzem haben wir das Stadion saniert, wir wollten dort wichtige Spiele austragen. Und nun hat das israelische Militär dieses Stadion als Internierungslager für hunderte Palästinenser genutzt, vor allem für Männer, aber auch für Frauen und Kinder.“
Es ist möglich, dass im Yarmouk-Stadion auch Terroristen der Hamas festgehalten wurden, genau prüfen lässt sich das aus der Distanz nicht. Mit Sicherheit wird der palästinensische Fußball auch weiterhin die politischen Nachrichten der Region spiegeln.