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Gazastreifen
"Ein Pulverfass, das jederzeit explodieren kann"

Eine Entspannung zwischen Israelis und Palästinensern könne der gesamten Region zunutze kommen, sagte Khouloud Daibes, Botschafterin der palästinensischen Mission in Berlin, im DLF. Da die rechtskonservative Regierung Israels aber nicht wirklich an einer Zwei-Staaten-Lösung interessiert sei, könne nur internationaler Druck eine Lösung bringen.

Khouloud Daibes im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Khouloud Daibes (Archivbild von 2009)
    Khouloud Daibes (Archivbild von 2009) (dpa / picture-alliance / Robert B. Fishman)
    Mario Dobovisek: Drei Gaza-Kriege in nur sieben Jahren - allein beim jüngsten Konflikt im vergangenen Sommer kamen mehr als 2.200 Menschen ums Leben. Und trotz internationaler Zusagen von über vier Milliarden Euro kommt der Wiederaufbau kaum voran. Davon hat sich Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier heute ein eigenes Bild gemacht.
    Am Telefon begrüße ich Khouloud Daibes. Sie ist Botschafterin in der palästinensischen Mission in Deutschland. Guten Abend, Frau Daibes!
    Khouloud Daibes: Ja guten Abend!
    Dobovisek: Israel hält weiter seine Blockade aufrecht. Wie sehr belastet diese die Menschen im Gazastreifen?
    Daibes: Das hat ja der Minister sehr gut beschrieben. Das ist ein Pulverfass, das jederzeit explodieren kann, und das dauert ja seit Jahren an. Die Blockade wird immer schwieriger. Gerade nach dem Krieg auf Gaza sind die Lebensbedingungen ja schwieriger geworden. Der Wiederaufbau hat noch nicht stattgefunden. Man ist ohne Strom, ohne Trinkwasser, total abgeriegelt, von der Welt isoliert. Insofern bleibt ja für viele Menschen eigentlich nur die Flucht als einzige Chance, und wir haben ja das alles erlebt, dass man dann im Mittelmeer sein Schicksal findet.
    Dobovisek: Steinmeier fordert eine Öffnung der Grenzen zum Gazastreifen, eine Lockerung der Blockade, verknüpft damit aber eine Forderung, eine ganz klare Forderung an die Hamas. Keine Raketen mehr lautet die. Sicherheit müsse die Gegenleistung für das Öffnen der Grenzen sein, sagt er. Kann die palästinensische Seite diese Sicherheit garantieren?
    "Palästinenser leiden unter der fehlenden Perspektive"

    Daibes: Noch mal, wie wir das immer sagen: Man muss auf die Ursache zurückgreifen, warum ist die Situation so in Gaza geworden und warum kommen wir nicht voran. Ich denke, Menschenrechte und Wiederaufbau und das Recht auf Sicherheit gilt für beide, für Palästinenser sowie für Israelis. Die fehlende Perspektive für eine bessere Zukunft für die Jugendlichen, die höchste Arbeitslosigkeitsrate. Insofern, auch wenn es gut gemeint ist, denke ich, als Bedingung ist das fast gegen das individuelle Menschenrecht eines jeden, der in Gaza lebt. Man müsste eigentlich auch die Ursache ...
    Ein arabischer Junge fährt im Osten Jerusalems auf einem Rad am Trennwall zwischen Israel und dem palästinensischen Gebiet entlang.
    Ein arabischer Junge am Trennwall zwischen Israel und dem palästinensischen Gebiet in Ost-Jerusalem. (picture alliance / dpa / Oliver Weiken)
    Dobovisek: Aber Fakt ist, Frau Daibes, der jüngste Raketenbeschuss liegt nicht einmal eine Woche zurück. Die Antwort Israels waren dann Luftschläge, also immer die gleiche Spirale hin und her. Warum stoppt die Hamas nicht ihre ...
    Daibes: Das ist die Spirale der Besatzung, der Unterdrückung. Wir reden über eine Besatzung, die illegal ist, die gegen das Völkerrecht verstößt, wo Zivilisten am meisten leiden, und wir reden über eine Asymmetrie. Ohne eine politische Lösung sind wir in dieser Sackgasse und die Argumentationskette nimmt kein Ende. Insofern: Die Ursache muss beseitigt werden.
    Dobovisek: Warum stoppt die Hamas dann nicht ihre Raketen?
    Daibes: Sie wissen, seit dem Ende des Krieges gab es keine Raketen, und wenn es einzelne Raketenbeschüsse gab wie letzte Woche, wo das ja sehr im Mittelpunkt in den Medien steht und als Argument auch benutzt wird, vergisst man die Monate, wo die Zivilisten leiden, wo sie auf den Wiederaufbau warten, wo die Verletzten nicht die Chance haben, zur Krankenpflege zu kommen. Darauf muss man hinweisen. Ich bin und die palästinensische politische Führung, wir betonen immer, ohne die politische Lösung kommen wir nicht voran. Auch die Raketen bringen uns nicht weiter.
    Aber Israel muss mit der palästinensischen Führung, mit der PLO, mit dem Präsidenten zusammenarbeiten, um diese Besatzung zu beenden, und nicht immer mit Argumenten kommen, dass die Zeit nicht reif ist, oder die Rahmenbedingungen, wie der israelische Premierminister heute es beschrieben hat, nicht vorhanden sind. Es gibt keine Argumentation, um die Besatzung aufrecht zu erhalten. Nur dies wird die Sicherheit Israels garantieren und der Staat Palästina kann dem Staat Israel die Sicherheit gewähren, und das ist für das Interesse der Palästinenser, aber auch in erster Linie für die Sicherheit der Israelis.
    Dobovisek: Seit vergangenem Jahr gibt es wieder eine Einheitsregierung von Fatah und Hamas und die Hamas erklärte damals, alle Israelis seien legitime Ziele, also auch Zivilisten, Frauen und Kinder. Ist das die Sprache aller Palästinenser?
    Daibes: Nein! Sicherlich ist das nicht die Sprache aller Palästinenser und das ist ja bekannt. Im Übrigen ist das eine Konsensregierung. Das ist keine Fatah-, keine Hamas-Regierung. Hamas und Fatah haben sich darauf geeinigt und alle politischen Bewegungen, Fraktionen, dass diese Konsensregierung eine Übergangsregierung sein sollte, um den Wiederaufbau erst mal in Gaza in Bewegung zu setzen, aber auch, um Wahlen vorzubereiten.
    "Die ganze Region ist total in Unruhe"
    Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) steigt aus einem Auto
    Steinmeier besucht auf seiner Nahost-Reise das Westjordanland - hier Ramallah - und den Gazastreifen. (afp/MOMANI)
    Dobovisek: Also gibt es sie nicht, die Einheitsregierung, die ja Bedingung war für eine Zwei-Staaten-Lösung?
    Daibes: Das ist eigentlich die Aufgabe der PLO, der politischen Führung, und nicht der einzelnen Parteien, und da herrscht Konsens darüber, dass die Zwei-Staaten-Lösung die Basis ist einer politischen Lösung mit Israel, und das kann nur umgesetzt werden und das muss umgesetzt werden. Der Minister hat ja davor gewarnt, das kann man nicht weiter aufschieben. Das muss sofort umgesetzt werden, um Perspektiven für die Palästinenser, aber auch um die Sicherheit nicht nur für die Israelis, aber um Entspannung für die ganze Region zu bringen. Und das ist nur möglich, wenn die israelische Regierung, die ja sehr rechtskonservativ ist und die auch ganz öffentlich sagt, wir sind gegen die Zwei-Staaten-Lösung, da muss man politischen Druck ausüben, damit diese Zwei-Staaten-Lösung, wenn sie noch überhaupt gerettet werden kann, dass es umgesetzt wird. Es geht um die Umsetzung in einem bestimmten Zeitrahmen und es geht nicht um die Verschiebung, die ja zu weiteren Eskalationen geführt hat. Heute reden wir nicht nur über den palästinensisch-israelischen Konflikt; heute ist die ganze Region total in Unruhe und deswegen: Diese Entspannung in diesem Konflikt kann nicht nur Israelis und Palästinenser zunutze kommen, aber auch der ganzen Region, und ich denke, der Minister Steinmeier hat das heute deutlich gesagt.
    Dobovisek: Khouloud Daibes, sie ist Botschafterin in der palästinensischen Mission in Deutschland. Vielen Dank für das Gespräch, das wir vor der Sendung aufgezeichnet haben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.