Äußerungen vonseiten der Bahn, wonach man sich in den Verhandlungen nähergekommen sei, dementierte Weselsky. "Das mit dem Näherkommen, das ist so eine Sache. Wir hören unisono einen Vorstand, der immer wiederholt: Wir verhandeln und wir nähern uns an. Das klingt schon wie ein Mantra (...) Wir reden darüber; es geht vor, zurück, vor, zurück, Stillstand." Die Atmosphäre bei den Verhandlungen sei zwar immer nett und professionell, aber "für Nettigkeit und Freundlichkeit kann sich eins meiner Mitglieder weder was kaufen, noch hat es seine Belastung gesenkt." Die bisherigen Angebote der Bahn nannte Weselsky "lächerlich und eine Provokation". "Solche Vehandlungen habe ich noch nie erlebt."
Die GDL habe sich in den Verhandlungen immer bemüht, zu einer Lösung zu kommen und konkrete Vereinbarungen aufzuschreiben, aber "der Bahnvorstand streikt bei den Verhandlungen", und deshalb streike nun das Zugpersonal auch wieder, sagte Weselsky. Wann genau und wie lange die Gewerkschaftsmitglieder streiken wollen, sei noch nicht klar. Man wolle den Arbeitskampf aber mindestens 24 Stunden vorher ankündigen.
Den Grund für das zögerliche Verhalten der Bahn sieht Weselsky im geplanten Tarifeinheitsgesetz, das dafür sorgen soll, dass in Zukunft nur noch die jeweils mitgliederstärkste Gewerkschaft in einem Betrieb Tarifverhandlungen mit den Arbeitgebern führen darf. Bereits die Ankündigung dieses Gesetzes habe die Arbeitgeber dazu bewogen, keine Tarifabschlüsse mit kleineren Gewerkschaften mehr zu vereinbaren. Das Vorgehen der Bahn sei ein Experiment, "eine Berufsgewerkschaft nicht nur zu diskreditieren, sondern gezielt in Streiks zu treiben, um Streik als etwas Schmuddliges darzustellen."
Das Interview in voller Länge:
Martin Zagatta: Nicht schon wieder, werden viele von Ihnen sagen, denn bei der Bahn haben die Lokführer schon wieder Streiks angekündigt. Die GDL, die Gewerkschaft deutscher Lokführer, hat die Verhandlungen nun schon wieder für gescheitert erklärt. Claus Weselsky, der GDL-Chef, hat von einer Provokation gesprochen, weil die Bahn nur den Eindruck einer Annäherung erwähnt habe. Guten Morgen, Herr Weselsky!
Claus Weselsky: Schönen guten Morgen, Herr Zagatta!
Zagatta: Herr Weselsky, sind Sie sich denn wirklich in nichts nähergekommen?
Weselsky: Wissen Sie, das mit dem Näherkommen, das ist so eine Sache. Wir hören unisono einen Vorstand, der immer wiederholt: Wir verhandeln und wir nähern uns an. Das klingt schon wie ein Mantra. Und ich sage Ihnen: Zeigen Sie uns einen Fakt, der vom 23. Februar bis heute auf dem Tisch liegt, der geschaffen worden ist, der unterschrieben ist – nichts. Ich habe damals im Februar den Druck erhöhen müssen über ein Ultimatum, da ist ein bisschen was gegangen. Seitdem haben wir fünf Verhandlungen mit X Stunden. Wir reden darüber, aber das geht vor, zurück, vor, zurück – Stillstand.
Zagatta: Aber da sagt jetzt der Bahnvorstand Weber, so wird er zitiert: Wir sind einen Meter vor der Ziellinie und haben ein Paket mit Lösungen und guten Vorschlägen auf dem Tisch, so weit waren wir noch nie. Lügt der Mann?
Weselsky: Der Mann lügt an der Stelle, und zwar deshalb, weil wir als letztes fast 30 Stunden Zeit zum Verhandeln hatten, weil wir über alles geredet haben, das ist nicht zu bestreiten, aber weil er nie bereit ist, das auch zu fixieren und den nächsten Schritt zu machen, und dann über die Frage: Wie viel Prozent höheres Einkommen gibt es, wie viele Mehrleistungsstunden kappen wir und wie senken wir die Wochenarbeitszeit? Das heißt, es wird immer wieder so getan, als wären wir kurz vor dem Abschluss und die Lokführer haben hier nur keine Lust. Wir haben Kompromissvorschläge gemacht, wir haben uns wirklich riesig bewegt, aber es nützt nichts: Der Bahnvorstand will kein Ergebnis erzielen. Er streikt bei den Verhandlungen, und deswegen streiken die Zugpersonale mit aller Voraussicht nächste Woche wieder, um ihre Rechte durchzusetzen.
Zagatta: Ab wann?
Weselsky: Nun, Sie wissen, dass man Streiks so ankündigt, dass unsere Fahrgäste, die Kunden, sich rechtzeitig darauf einstellen können. Aber das ist in den Medien mittels Pressemitteilung von uns dann vermittelt. So jetzt konkret haben wir es noch nicht festgelegt, weder die Länge, noch den Beginn.
Zagatta: Was heißt rechtzeitig, mit wie viel Vorlauf informieren Sie da die Kunden?
Weselsky: Also in den letzten Streiks, die wir durchgeführt haben – es waren ja immerhin schon sechs, um überhaupt erst mal zum Verhandeln zu kommen über Mitglieder ...
Zagatta: Viel zu viele, sagen die Kunden da wahrscheinlich, die meisten.
Weselsky: Viel zu viele Streiks, und die Verantwortung des Bahnvorstands allein, denn das, was wir jetzt ja haben, angeblich haben, ist trotzdem nichts, und der Bahnvorstand hätte die Auseinandersetzung gar nicht erst anlaufen lassen brauchen. Wir haben immer mehr als 24 Stunden vorher informiert, sodass die Fahrgäste sich rechtzeitig drauf einstellen können. Dabei bleiben wir auch. Meistens ist es noch viel länger gewesen, mitunter sogar 36 Stunden vor Ankündigungszeit. Das hat was damit zu tun, wann man beginnt und wie lang die Maßnahme ist.
Zagatta: Herr Weselsky, das hört sich ja so an, wenn Sie da über den Bahnvorstand und die Verhandlungen reden, als hätten Sie es mit Schurken zu tun. Wie ist da die Atmosphäre?
Weselsky: Tja, die Atmosphäre ist immer nett und freundlich, wir sind ja professionell genug und erfahren genug. Nur, wissen Sie – für Nettigkeit und Freundlichkeit kann sich eins meiner Mitglieder weder was kaufen, noch hat es seine Belastung gesenkt. Das Entscheidende ist doch, dass der Bahnvorstand auf Zeit spielt und keinen Abschluss erzielen will. Mit der Methode versuchen sie das seit Monaten, eigentlich schon seit Juli vorigen Jahres. Und am Ende des Tages sagen unsere Mitglieder: Wieso lasst denn ihr euch eigentlich so lange hinhalten? Warum kommt ihr nicht zu Ergebnissen? So schwierig ist es nicht. Es wird so getan, als wäre es unmöglich, nicht lösbar. Es gibt eigentlich nichts, was nicht lösbar ist unter vernünftigen Menschen, die miteinander im Verhandlungswege auch ein Ergebnis erzielen wollen.
Zagatta: Ihr Wort in Gottes Ohr für die Bahnkunden. Ist dieser Streik jetzt noch abzuwenden oder ist es dafür schon zu spät?
Weselsky: Dafür ist es zu spät. Wir hatten vorige Woche begonnen, dem Bahnvorstand bei der letzten Verhandlung klar und deutlich zu sagen: So geht es nicht weiter. Wir haben am Anfang der Woche mittels Pressemitteilung, mittels Schreiben an den Bahnvorstand, ein vorgelagertes Gespräch im kleinen Kreis immer wieder darauf hingewiesen: Entweder wir fixieren schriftlich Zwischenergebnisse, die wir auch, miteinander vereinbart, dann als Grundlage für die weitere Verhandlungsstrategie nehmen, oder wir sehen uns gezwungen, in den Streik zu gehen. Und gestern Nachmittag ist der Bahnvorstand einfach weggelaufen, hat uns ein Angebot auf den Tisch gelegt, das fängt an mit den Worten "Wir machen Ihnen ein Angebot, zur nächsten Verhandlung ein Angebot zu machen." Wenn das nicht lächerlich ist und eigentlich eine Provokation, dann weiß ich das auch nicht, weil solche Verhandlungen wie in dieser Runde habe ich noch nie erlebt.
Zagatta: Aha, und wenn das über das Wochenende vielleicht noch konkretisiert würde, Anfang der Woche, dann sagen Sie, wir streiken trotzdem, oder gäbe es dann noch Möglichkeiten?
Weselsky: Es gibt nichts zu konkretisieren, weil wir die Verhandlungen scheitern lassen mussten. Und das Einzige, was die Bahn uns wieder vormachen wird, was sie immer wieder gemacht hat in dieser Auseinandersetzung: Sie schmeißen dann ein neues Angebot auf den Markt und rufen, wir wollen doch verhandeln, und wenn wir dann zu den Verhandlungen zusammentreten und das dann fixieren wollen, dann wird wieder rumgeeiert und am Ende des Tages nichts fixiert, weil man keinen Schritt weiterkommen will.
Zagatta: Herr Weselsky, Sie haben vielleicht ja da gute Gründe, aber müssen Sie jetzt nicht befürchten, der siebte Streik in dieser Auseinandersetzung, dass die Stimmung da langsam ganz schön gegen Sie geht, ganz schön umschlägt?
Weselsky: Nun, Sie wissen, dass ich im vorigen Jahr als Person angegriffen worden bin und dass man alles versucht hat, unseren Streik oder unsere Arbeitskampfmaßnahmen überhaupt zu diskreditieren. Es gibt einen ursächlichen Zusammenhang zum Tarifeinheitsgesetz, denn als die Politik...
Zagatta: Das im Sommer in Kraft treten soll.
Weselsky: Bitte?
Zagatta: Das im Sommer in Kraft treten soll.
Weselsky: Das soll im Sommer in Kraft treten, und bereits die Ankündigung, dass dieses Gesetz kommen soll, hat die Arbeitgeber ermutigt, nun eben keine Tarifabschlüsse zu machen. Und ich denke, die Menschen draußen, die Bahnkunden und insgesamt unsere Bevölkerung hat verstanden, dass der Bahnvorstand kein Ergebnis erzielen will und dass man hier als Experiment, als Pilotprojekt sozusagen versucht, eine Berufsgewerkschaft nicht nur zu diskreditieren, sondern gezielt in Streiks zu treiben, um Streik als etwas Schmuddliges darzustellen. Das ist das Ziel. Und das ist nicht gelungen, weil die veröffentlichte Meinung nicht übereingestimmt hat mit der öffentlichen Meinung. Und Sie erleben im Moment eine sehr große gesellschaftspolitische Debatte, Sie hören von allen Stellen, die ein Stück weit professoral und verfassungsrechtlich gut drauf sind: Das ist gegen die Grundrechte der Gewerkschaften, das greift das Streikrecht insgesamt an. Und das haben die Menschen draußen begriffen, dass hier die Lokomotivführer in dem Land wacker zusammenstehen, Solidarität üben, mit auch unseren Zugbegleitern und Bordgastronomen, um am Ende des Tages das Streikrecht auch nicht untergehen zu lassen.
Zagatta: Aber dieser Einheitstarifvertrag, den Sie so kritisieren, den gibt es doch jetzt deshalb, eigentlich wegen Ihrer Gewerkschaft, weil die Politik und auch die Öffentlichkeit von Ihnen so oft genervt ist, dass man da jetzt Veränderungen schaffen will.
Weselsky: Sehen Sie? Das ist eben das, was so schön zusammenpasst. Vor 20 Jahren, 1994, wurde die Deutsche Bahn privatisiert. Da wurde entschieden, dass Daseinsvorsorge keine Rolle spielt, dass privat vorgeht, dass Wettbewerb die entscheidende Komponente ist. Jetzt, im Jahre 2014, 2015, ruft man ganz laut: Daseinsvorsorge! Die Eisenbahn muss fahren! Das Streiken ist nicht zulässig! Ich finde, das ist ein bemerkenswerter Schritt in eine Richtung, die insgesamt gesehen die Arbeiterbewegung angreift, und wo niemand glauben darf, dass, wenn man den Berufsgewerkschaften das Streikrecht verbietet, im Anschluss Halt gemacht wird vor den anderen Gewerkschaften. Es sind nur noch 20 Prozent organisiert in diesem Lande, und das allein ist schon bedenklich. Aber man arbeitet kräftig weiter dran, dass die Gewerkschaften keine Stärke mehr entwickeln können. Wir haben 80 Prozent Organisationskraft.
Zagatta: Aber dass die Leute da mittlerweile auch verstärkt auf Fernbusse umsteigen, das muss man dann in Kauf nehmen, aus Ihrer Sicht auch?
Weselsky: Gerade die Entwicklung Fernbus zeigt eins auf: Es war das Ziel, ökologischen Verkehr zu machen. Der ökologischste Verkehr ist der Eisenbahnverkehr.
Zagatta: Wenn sie fährt.
Weselsky: Dann wieder unter der Überschrift Privatisierung, Wettbewerb wurden Fernbusse genehmigt, die vorher nicht zugelassen waren. Jetzt haben wir sie. Jetzt hat die Deutsche Bahn die Entwicklung verschlafen, bietet selbst Fernbusverkehr an – ja, soll ich mich denn gegen Arbeitsplätze im Busverkehr richten? Nein, das tue ich nicht. Wenn es in diesem Land gewünscht ist, dass wir auch auf Autobahnen mit Bussen dieselben Strecken fahren wie mit der Eisenbahn, dann sind die Konsequenzen in der Politik herbeigeführt worden. Und wenn wir im Streikfall bei der Eisenbahn die Menschen auf die Fernbusse umsteigen sehen, dann finde ich das richtig, denn die Menschen haben Alternativen und die sollen sie auch nutzen.
Zagatta: Claus Weselsky.
Weselsky: Und dass man im Umkehrschluss sagt: Weil die Fernbusse da sind, dürfen die Lokführer nicht streiken, das finde ich ein bisschen makaber.
Zagatta: Claus Weselsky, der Vorsitzende der GDL. Herr Weselsky, ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen, nicht für die Streiks, aber für das Interview!
Weselsky: Ich danke Ihnen auch und vielen Dank für das Verständnis.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.