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"GDL will einheitlichen Tarifvertrag zerstören"

Christian Carstensen (SPD), Mitglied im Verkehrsausschuss des Bundestages, hat das Verhalten der Lokführergewerkschaft GDL verurteilt. Es könne nicht sein, dass eine kleine Gewerkschaft das ganze Land in Geiselhaft nehme. Die Bahn müsse als einheitlicher Konzern erhalten bleiben, sonst würden auf Dauer alle Beschäftigten bei der Bahn verlieren.

Moderation: Christiane Kaess | 15.11.2007
    Kaess: Weitestgehender Stillstand bei der Bahn also und wenn dieser am Samstag früh Morgens zu Ende geht, überlegt die GDL bereits über einen unbefristeten Arbeitskampf. Am Telefon ist jetzt Christian Carstensen (SPD), Mitglied im Verkehrsausschuss des Bundestages. Guten Tag!

    Carstensen: Guten Tag!

    Kaess: Herr Carstensen, seit Wochen wünschen sich alle eine Lösung, betonen das auch immer wieder. Passiert ist bisher nichts. Glauben Sie noch an eine Lösung?

    Carstensen: Es muss eine Lösung geben im Interesse der Beschäftigten und im Interesse unseres Landes. Das kann ja so nicht unendlich weitergehen.

    Kaess: Bisher hat sich die Politik auf Ermahnungen beschränkt und darauf, dass sie ihre Unterstützung für Bahnchef Mehdorn ausgesprochen hat. Müsste sie bei dieser Unterstützung für den Bahnchef etwas ändern?

    Carstensen: Nein. Es ist schon richtig, dass die Politik wie bisher sich rausgehalten hat, denn wir haben die Tarifautonomie. Das ist ein wichtiges Recht in unserem Land, aber auch eine Verpflichtung für die Tarifpartner. Dabei soll es bleiben. Aber in dem Fall ist ganz klar: es darf nicht zu einer Zersplitterung der Tariflandschaft kommen. Insofern hat Hartmut Mehdorn Recht, wenn er sagt, wir brauchen den einheitlichen Tarifvertrag, und dabei unterstützen wir ihn.

    Kaess: Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite ist Bahnchef Mehdorn als einer der Hauptakteure mit für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich. Ist er denn vor diesem Hintergrund in seiner Position noch zu halten?

    Carstensen: Ich glaube schon. Es ist relativ klar, dass es der GDL darum geht, hier einen einheitlichen Tarifvertrag zu zerstören, eine Show zu machen, um sich selber in den Vordergrund zu bringen, und da darf man nicht nachgeben. Insofern hat Hartmut Mehdorn unsere Unterstützung dabei auch verdient.

    Kaess: Und das heißt Sie würden ihm auch abraten davon, Kompromissbereitschaft zu zeigen?

    Carstensen: Na ja, es gibt die Frage nach der Entwicklung der Löhne bei den Lokführern und bei den Zugbegleitern. Das ist ja auch vollkommen richtig, dass man darüber nachdenkt. Dafür gibt es Tarifverhandlungen. Aber es gibt drei Bahngewerkschaften und mit denen muss es einen einheitlichen Tarifvertrag geben. Das ist eben die andere Seite der Medaille. Dabei zeigt sich die GDL bisher in einer Sturköpfigkeit, die kaum noch zu überbieten ist, und dabei müssen wir an der Seite der DB AG bleiben, auch im Interesse der Beschäftigten in ganz Deutschland.

    Kaess: Herr Carstensen, Kritik an der Bahn kam bereits aus der Union. Der Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion Dirk Fischer etwa hat gefordert, Herr Mehdorn müsse die Konfrontation der letzten Jahre aufarbeiten, für die er ganz unmittelbar auch persönlich verantwortlich ist. Warum ist die SPD mit der Kritik so zurückhaltend?

    Carstensen: Ich glaube, dass wir sehen müssen, dass wir jetzt eine Situation haben, wo Deutschland in die Haftung genommen wird für den Wunsch einer kleinen Gewerkschaft, einen einheitlichen Tarifvertrag kaputt zu machen. Dabei können wir Sozialdemokraten, die ja nun gemeinsam mit den Gewerkschaften entstanden sind und die sich immer dafür eingesetzt haben, dass Arbeitnehmerinteressen wirkungsvoll in diesem Land vertreten werden, uns nicht neutral halten. Dabei können wir auch auf die Seite der GDL springen, sondern dabei müssen wir ganz deutlich machen: Wir brauchen den einheitlichen Tarifvertrag weiter.

    Im Übrigen ist es bei der Union ja so, dass man den Eindruck hat, dass jeder Anlass genutzt wird, um Kritik an der Bahn und an Hartmut Mehdorn zu richten. Das mag im Einzelfall richtig sein; nur diese ständigen Wiederholungen machen es dann auch nicht besser und machen es auch nicht glaubwürdiger.

    Kaess: Aber den eigenständigen Tarifvertrag gibt es ja bereits bei anderen Berufsgruppen. Warum nicht bei der Bahn, wenn er in anderen Branchen funktioniert?

    Carstensen: Es hat den einheitlichen Tarifvertrag ja bisher auch bei der Bahn gegeben. Wir erleben zum Beispiel im Luftverkehr, dass dort der einheitliche Tarifvertrag ja zum Teil auseinander gebrochen ist. Das ist nicht im Interesse der Gesamtbeschäftigten und genauso würde es auch bei der Bahn sein. Es hat viel Tradition, und zwar eine gute Tradition für die Beschäftigten und für Deutschland, dass es einheitliche Tarifverträge in den Branchen gibt. Dabei müssen wir bleiben.

    Kaess: Jetzt gibt es den Vorschlag, dass die Bahn die Lokführer in eine eigenständige Tochtergesellschaft ausgliedern soll. Damit könnten diese dann einen eigenen Tarifvertrag bekommen und gleichzeitig die Tarifeinheit zumindest pro forma eingehalten werden. Was halten Sie von dieser Lösung?

    Carstensen: Gar nichts! Wir Sozialdemokraten haben uns auch in der Frage der Bahnprivatisierung immer um den einheitlichen Konzern, um den integrierten Konzern bemüht, darum, dass die Bahn als Konzern erhalten bleibt. Das ist wichtig zum Beispiel für die Frage des integrierten Arbeitsmarktes und des Beschäftigungssicherungsvertrages. Genau das ist der Punkt den ich meine. Jetzt wird angefangen, um so einen Konflikt zu lösen, die Bahn auseinander zu nehmen und auf Dauer werden alle Beschäftigten bei der Bahn dabei verlieren.

    Kaess: Aber was bleibt denn der Bahn anderes übrig, als einzulenken, wenn man jetzt bei der GDL bereits einen unbefristeten Streik überlegt?

    Carstensen: Die GDL muss sich fragen lassen, ob es denn so sein kann, dass sie für ihr Eigeninteresse als kleine Gewerkschaft das Unternehmen Bahn, aber auch das ganze Land in Geiselhaft nimmt. Das geht so nicht und deswegen ist die Frage erst mal an die GDL gerichtet, wie lange sie das eigentlich noch machen möchte.

    Kaess: Kann sich auf der anderen Seite die Bahn einen noch längeren Streik überhaupt erlauben, oder wird der wirtschaftliche Schaden auch für das Unternehmen bald zu hoch?

    Carstensen: Das ist bei solchen Tarifkonflikten und bei Streiks natürlich immer die Frage. Die Bahn muss natürlich schauen, dass sie mit der GDL weiter Gespräche führt, dass sie auslotet, wie weit sie gehen kann, was die Frage von Arbeitszeiten und was die Frage von Gehältern angeht. Aber noch mal: Jetzt die DB AG aufzuspalten und sei es, dass man die Lokführer rausnimmt, wäre ein Dammbruch gegen den integrierten Konzern, für den wir im Interesse der Beschäftigten immer gekämpft haben, und das darf nicht passieren.

    Kaess: Herr Carstensen, würde sich denn die Politik stärker einmischen, wenn sie noch an die Teilprivatisierung, die durch den Streik ja auch gefährdet wird, glauben würde?

    Carstensen: Erstens glauben wir daran, dass wir die Bahn auch für die Zukunft aufstellen können. Daran arbeiten wir ja.

    Kaess: Was heißt das konkret? Sie glauben noch an die Teilprivatisierung?

    Carstensen: Ja! Der SPD-Bundesparteitag hat einen klaren Beschluss gefasst.

    Kaess: Gegen den die Union ist!

    Carstensen: Gegen den die Union erst mal ist, aber den die Union natürlich in der Form auch noch gar nicht geprüft haben kann. Wir werden jetzt gemeinsam - das ist unsere Aufgabe - mal schauen, inwieweit dieser Bundesparteitagsbeschluss denn umsetzbar ist. Da gibt es ja auch Gespräche hier in Berlin. Das ist das eine und das andere ist die Frage: kann die Politik oder sollte sich die Politik unter irgendwelchen Vorzeichen mehr in diesen Konflikt einmischen. Da sage ich ganz klar nein! Es gibt die Tarifautonomie und das heißt Arbeitgeber und Gewerkschaften sind die Ansprechpartner für Tarifkonflikte und nicht die Politik.

    Kaess: Christian Carstensen (SPD), Mitglied im Verkehrsausschuss des Bundestages. Vielen Dank!

    Carstensen: Ich danke Ihnen.