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Geben und Nehmen in den Religionen: Christentum
Früher war weniger Lametta

Weihnachten kennt man mittlerweile auf der ganzen Welt. So wie es heute gefeiert wird mit Geschenken unter dem Weihnachtsbaum, ist es eine späte Entwicklung. Die frühe Christenheit hat das Geburtsfest Jesu gar nicht gefeiert. Nikolaus und Christkind betraten im Mittelalter die Bühne.

Von Mechthild Klein |
Der Petersplatz in Rom mit Weihnachtsbaum und Krippe.
Der Petersplatz in Rom mit Weihnachtsbaum und Krippe. (AFP / VINCENZO PINTO)
"Früher war mehr Lametta." "Dieses Jahr bleibt der Baum grün. Naturgrün." "Mit frischen natürlichen Äpfeln ..."
Nein, die Beschenkung in Loriots weihnachtlicher Spießerfamilie ist jetzt nicht gefragt.
"Und wann krieg ich mein Geschenk?" "Jetzt wird erst der Baum fertig geschmück!"
Hier ist Hochkultur angesagt.
"Jauchzet frohlocket. Auf preiset die Tage."
Das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach – im Dezember wird das rauf und runter in den Kirchen aufgeführt.
Und jetzt geht’s in die Wirren des christlichen Brauchtums. Die unendliche Geschichte vom Schenken und Beschenkt werden. Zu Weihnachten, zu Nikolaus, zum Dreikönigsfest. Sogar zu Ostern. Im Christentum gibt es viele Bräuche, die mit Schenken verbunden sind. In Europa feiert fast jedes Land anders. Dabei werden nicht nur die Kinder beschenkt, auch die Erwachsenen tauschen Geschenke aus.
Theologie des Gebens
"Geschenke schenken ist ein Menschheitsbrauch - gab es schon immer aus ganz unterschiedlichen Motiven", sagt der evangelische Theologe Christoph Seibert von der Universität Hamburg. Es gibt sogar eine Theologie des Gebens. Im Brauchtum hingegen dauerte es lange, bis man die Geburt Jesu feierte.
"Das Christfest wie wir es heute kennen ist ja eine Erfindung des 18. Jahrhunderts. Ursprünglich war ja das Schenken letztlich diakonisches Handeln, an Witwen, an Bedürftige, an Arme, und wurde nicht mit diesem Weihnachtsfest verbunden, sondern das ursprüngliche Hauptfest des Christentums ist das Osterfest gewesen und nicht das Weihnachtsfest. Aber die Praxis des Gebens an Bedürftige ist ein Ur-Impuls des Christentums. Genauso wie des Judentums, oder denken Sie an den Islam", sagt Seibert.
"Es ist nicht so, dass die Christen zu Weihnachten von Anfang an Geschenke verbreitet haben. Sondern das ist ein Prozess gewesen. Vor allem seit der bürgerlichen Gesellschaft ist Weihnachten zu einem richtig großen Geschenkfest geworden. Vor allem auch für die Kinder", erklärt Stephan Wahle, katholischer Theologe an der Universität Freiburg.
Ein Geburtsfest Jesu, sagt er, hätten die frühen Christen noch nicht gefeiert. "Erst im 4. Jahrhundert fängt es an. Und der Ursprungsort ist in dem Falle mal Rom. Also die ersten Quellen stammten eindeutig aus der römischen Kirche. Das heißt, die Feier des 25. Dezembers ist römischer Natur. Und im Ägyptischen, da fängt es an mit dem Fest am 6. Januar, also das Fest, was man heute Drei Könige nennt, was man eigentlich dann besser Epiphanie nennt, 'Erscheinung des Herrn' und ursprünglich auch ein Geburtsfest Christi war."
Der Nikolaus bringt die Geschenke
Es sind unabhängig voneinander zwei Geburtsfeste Jesu parallel entstanden. Beide Feste werden in allen christlichen Kirchen bis auf Armenien gefeiert. Aber geschenkt wird offenbar immer noch nicht. Das kommt erst mit dem Nikolaus und dem Christkind im Mittelalter.
Stephan Wahle: "Weil in der Legende des heiligen Nikolaus auch Kinder beschenkt wurden. Ja, mehr als das. Seine gute Gabe ist eine himmlische Gabe, es gibt bestimmte Geschichten um ihn: Dass Kinder beispielsweise aus Habgier von bestimmten bösen Menschen in ein Salzfass eingepökelt wurden und Nikolaus sie befreit hat, also Leben - wenn man so will auch neues oder ewiges Leben - geschenkt hat. Und es gibt viele andere Geschichten um den Nikolaus. Äußerst populär."
Der Weihnachtsmann aber mit dem roten Mantel und weißen Bart, den ein US-Getränkehersteller seit den 1930er Jahren kommerziell vermarktet, der sei weit von der mittelalterlichen Nikolausfigur entfernt. Vielleicht, weil er in der Werbung zu real sei, eben zum Anfassen da sei. Der echte Nikolaus hingegen erscheint viel mysteriöser und geheimnisvoller.
Er schenkt unerkannt, wenn alle schlafen, in der Nacht auf den 6. Dezember. Das heimliche anonyme Schenken mit ganz kleinen bescheidenen Gaben hatte da seinen Anfang.
"Das blieb dann auch bis, wenn man so will, auch das Christkind oder der heilige Christ, das Jesuskind, aber auch eher so eine weibliche Figur da hinzutrat als eine andere Geschenkefigur. Weil es ganz verschiedenste Legenden gab, wo Menschen teilweise auch durch die Lande gezogen sind, um eine Gabe gebettelt haben. Das sind sogenannte Heische-Bräuche, vor allem im Winter. Und all das zusammengenommen hat vor allem diese Weihnachtszeit zu einer Geschenkezeit gemacht", so Stephan Wahle.
Die katholische Nikolaustradition scheint unverwüstlich – in den Niederlanden ist sie in Sinterklaas immer noch populär. Während man mit Luther im Protestantismus weniger auf die Tradition dieser Heiligenfigur setzte, sondern auf das Christkind und das Jesuskind. Während der geheimnisvolle Nikolaus im Laufe der Zeit eine Pädagogisierung durchlaufen hat. Insbesondere bei den bestellten Einsätzen in den Familien, um Kleinkinder zu beschenken. Auch hier treten die Eltern nicht als Schenkende auf, sondern sie verweisen auf den Nikolaus, der extra persönlich zu ihren Kindern kommt.
Stephan Wahle sagt: "Er steht für das Gute, er steht auch dafür, dass er die Kinder dann lobt für die guten Taten. Und seine Begleitfiguren, also in dem Falle der schwarze Piet, steht eigentlich eher für das bestrafende Element. Das gibt’s auch an anderen Orten mit anderen Figuren. Unser Knecht Ruprecht ist die Entsprechung zu dem schwarzen Piet in den Niederlanden."
Umtauschen konterkariert die Logik
Ursprünglich hat man Kinder und Erwachsene am 6. Dezember beschenkt. Bis sich die Geschenkepraxis auf Weihnachten verlagert hat. Das Schenken knüpft auch an alte Traditionen aus dem späten Mittelalter und der frühen Neuzeit an. Damals seien Angestellte, auch Helfer der Bauern, beschenkt worden, die Mägde und Knechte erhielten ihre Jahresend-Gaben, sagt Stephan Wahle.
"Also diese Tradition, dass ein höherer einem niedrigeren dann ein Geschenk gibt, das funktioniert nur, wenn es zumindest feste oder ungeschriebene Regeln gibt. Denn der Beschenkte kann nicht so ohne Weiteres ein adäquates Geschenk wieder zurück geben."
Bei allen Schenktraditionen sind es himmlische Gestalten, der Nikolaus und das Christkind – eben anonyme Figuren -, die nachts Geschenke verteilen. Man weiß nicht genau, wo sie herkommen.
"Und darin, in dieser Anonymität sichert sich auch der ursprüngliche Gedanke, von Himmel herab kommen die Geschenke aus der göttlichen Sphäre, mit Engeln und dergleichen zu den Menschen. Auch mit der Aussicht, mit der Botschaft, dass diese Gaben zum irdischen, aber auch zum himmlischen Leben gereichen mögen", so Wahle.
In der christlichen Theologie wird das Schenken mit der Geburt Jesu verbunden, der als Gottes Sohn gilt. Gott schenkt sich den Menschen im neugeborenen Jesuskind.
"Das könnte man so auslegen, dass hier in sehr grundlegender Weise Gott etwas gibt, sich selbst gibt." Grundsätzlich sei das Schenken Teil jeder menschlichen Kultur, sagt Christoph Seibert. Die "reine Gabe" gebe es nicht. Immer seien Hoffnungen und Wünsche mit dem Schenken verbunden. Die reine Gabe könne daher auch nicht das Ideal menschlicher Schenk-Praxis sein. Schenken werde nie ganz frei von Eigennutz sein, trotzdem mache Schenken einfach Freude.
"Man hofft natürlich, dass man auch selbst beschenkt wird an Weihnachten. Ich glaube aber nicht, dass es das zentrale Motiv ist, warum wir losziehen und die Kaufhäuser plündern, weil wir auch beschenkt werden. Sondern weil wir etwas schenken wollen."
Jeder erhofft sich ein bisschen Anerkennung mit seinem Geschenk. "Natürlich will man, dass sie gefallen, und man ist enttäuscht, wenn sie nicht gefallen, und es ist peinlich, wenn sie nicht gefallen. Deshalb sagt man, du kannst es umtauschen. Aber das konterkariert ja wirklich die Logik des Schenkens."
Deshalb gehöre auch Vertrauen zum Schenken, meint Seibert. Denn das Schenken sei immer ein Risiko, wenn man nicht gerade nach Wunschzettel aussucht. Das wäre aber verzweckend und berechnend. Zum Schenken gehört auch eine gewisse Unverfügbarkeit dazu, sonst wird es zum Tauschhandel.
Dass die Geschenkeberge immer größer werden, dass die Leute gestresst sind von der Schenkerei und dass über den Konsumterror gemotzt wird – das alles ist nicht neu. Es haben sich aber Gegenkulturen entwickelt, und auch die Theologen sehen gute Auswege:
"Wenn man bewusst ausschaut, in welcher Weise möchte ich einem anderen Menschen eine Freude machen, und sich nicht unterwirft dem Diktat von vorgegebenen Wünschen, die die Werbung suggeriert, dann könnte eine ganz bewusste Geschenkekultur auch ein Gegenakzent sein gegen eine oberflächliche Gesellschaft, wo es nur darauf ankommt, immer mehr zu haben, und nur darin einen Wert an sich zu sehen", sagt Stephan Wahle.