"Das wichtigste an Geschenken scheint mir zu sein, dass sie darauf ausgerichtet sind, eine Beziehung herzustellen. Zwischen dem, der gibt und dem der beschenkt wird", sagt Ulrike Offenberg, liberale Rabbinerin an der Gemeinde im niedersächsischen Hameln. "An den Geschenken ist ablesbar, wie wichtig der andere einem ist. Wie wichtig er wirklich einem ist. Oder ob es bei den Geschenken nicht viel mehr um einen selbst geht."
In der jüdischen Tradition gibt es nach Ansicht von Offenberg nur wenige Festtage, an denen etwas geschenkt wird: Zum Beispiel zum jüdischen Neujahrsfest Rosch Haschana. Dann werden die Schöpfung und der Bund Gottes mit seinem Volk Israel gefeiert. Oder zum Pessach-Fest, bei dem des Auszugs der Israeliten aus Ägypten gedacht wurde. Geschenke gabs auch.
Die Rabbinerin erzählt: "Da wurden die Kinder früher neu eingekleidet. …Ansonsten gab es eine Kultur des Schenkens zu Chanukka im Dezember – fällt ja meistens in dieselbe Zeit wie Weihnachten."
Weihnachten weckt Erwartungen
Chanukka ist das jüdische Lichterfest. Es sollte an die Errichtung des Zweiten Tempels erinnern. Aber unter dem Eindruck des Konsumrummels um Weihnachten herum, werde auch in jüdischen Familien diskutiert, was und wieviel man schenken darf. Denn auch jüdische Kinder hätten inzwischen enorme Erwartungen, dass sie nun beschenkt werden müssten, sagt die Rabbinerin.
"Oder auch die Eltern oder Großeltern denken, man müsse die Kinder auch jetzt überhäufen mit Geschenken. Weil überall die ganze Kultur in den Geschäften, überall trillern Weihnachtslieder überall. Alles ist schon seit Frühherbst geschmückt für weihnachtliches Schenken. Und damit jüdische Kinder nicht das Gefühl haben, sie müssten da auf etwas verzichten oder sie müssten etwas entbehren, hat sich da eine Konkurrenzkultur ein bisschen entwickelt."
Das Chanukka-Fest beginnt in diesem Jahr am 22. Dezember. Aber das Fest hat mit Schenken nicht wirklich was zu tun, meint die Rabbinerin: "Chanukka wird gefeiert in Erinnerung an den Makkabäer-Aufstand. Der also siegreich war und der den Tempel zurückerobert hat in Jerusalem. Und dass man eben wieder den Tempelgottesdienst führen konnte. Es ist also ein Fest der Bewahrung der Kultur."
Essbares für Freunde
Ein Fest, in dem es wirklich um das Schenken an sich geht, im Judentum geht, das ist Purim. Purim heißt übersetzt "Schicksal". An diesen Tagen erinnern sich jüdische Gemeinschaften an die Errettung ihres Volkes im Perserreich ein paar Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung. Da gab es einen Ministerpräsidenten namens Haman, der beschlossen hatte, alle Juden des Reiches zu ermorden.
"Aus Ärger darüber, dass ein Jude sich vor ihm nicht verbeugt hat. Weil er gesagt hat, wir knien nicht vor Menschen nieder, sondern nur vor Gott. Das hat ihn empfindlich gekränkt und daraufhin wollte er alle Juden umbringen lassen. Das ist vereitelt worden mithilfe der mutigen Königin Esther, die auch eine Jüdin war. Und später nach dem Sieg über die Bedränger wurde dann ein Fest festgelegt für die künftige Zeiten. Was eben mit Freude begangen werden soll. Und man soll einander Geschenke schicken."
Einander beschenken, um die Gemeinschaft zu stärken. Solche Rituale begegnen einem immer wieder in der jüdischen Religion.
"Es ist da sogar eine Mizwa - also ein Gebot, zu schenken. Einmal gibt es "Mischloach Manot" – da soll man essbare Dinge an Freunde, Verwandte, Bekannte schicken. Das sollen Lebensmittel sein, die man auch sofort essen kann. Zum Beispiel ist es dann üblich, Haman-Taschen oder Kuchen oder irgendwelche dieser Leckereien, die purimspezifisch sind, zu schenken.
Im Judentum habe man die bitteren Geschichten gerne umgewandelt in etwas Fröhliches und Süßes. Die Haman-Taschen zum Beispiel sind mit Mohn oder Datteln gefüllt. Die Rabbinerin sagt: "Das ist einfach so eine Legende, sie erinnern an die schmutzigen, dreckigen Ohren des Herzfe indes Haman. Aber sie schmecken sehr lecker!"
Gabe für die Armen ist keine Wohltat, sondern Pflicht
Gerechtigkeit und Fürsorge ist früh Thema in der jüdischen Kultur. Schon die Propheten forderten das immer wieder ein. Für Purim gibt es noch ein weiteres Gebot.
Ulrike Offenberg: "Und das heißt: Mattanot La’ewjonim. Also Geschenke an die Armen. Das heißt, man ist verpflichtet, an mindestens zwei Leute Geschenke zu geben - möglichst in Geldform. Damit die sich eine Festtagsmahlzeit an dem Tag leisten können, mindestens. Zu den Geschenken ist man verpflichtet. Das heißt: Man ist da gar kein Wohltäter, sondern man kommt nur einer Pflicht nach."
Im Judentum nennt man diese Pflicht Zedaka. Im Islam heißt es Zakat. Und es bezeichnet eine besondere Form der Wohltätigkeit.
"Zedaka ist eher so etwas wie "umverteilende Gerechtigkeit". Dass heisst, wenn man jemand, der bedürftiger ist, etwas gibt, man stellt damit nur Gottes Gerechtigkeit wieder her."
Die Gerechtigkeit Gottes wiederherstellen. Was das bedeutet, darüber haben sich jüdische Philosophen und Rabbis abgearbeitet und den Kopf zerbrochen. Der Mensch wird als Helfer Gottes in dessen Schöpfung gesehen. Geschenke zeigen, dass jemand diese Rolle ernstnimmt. Da geht es nicht um Krawatte und Socken auf dem Gabentisch, sondern um ganz Praktisches: Ein Fahrrad bezahlen, das der jüdischen Gast-Studentin gestohlen wurde. Oder um einen besonderen Rollstuhl, damit ein Behinderter weiter am Leben teilnehmen kann. Oder auch um eine Aufmerksamkeit, für den, der plötzlich allein ist. Ein solches Geschenk ist kein Almosen, keine herablassende Gabe - es zeugt davon, dass man sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung bewusst ist.
Kreislauf der Gerechtigkeit
Und irgendwann – das ist ein Zyklus, ein Kreislauf – irgendwann kommt diese Gerechtigkeit auch wieder zu einem zurück. Das lässt sich schwer übersetzen, dieses Konzept von Zedaka ins Deutsche.
Der jüdische Glaube vereinigt im Verständnis von Zedaka beide Konzepte von Wohltätigkeit und Gerechtigkeit.
Offenberg sagt: "Eigentlich der höchste Grad des Schenkens, wenn es nicht um Geburtstagsgeschenke geht, sondern um Geschenke von umverteilender Gerechtigkeit, ist das Geschenk, wo der Gebende oder die Gebende anonym bleibt. Unbekannt ist. Und der Empfänger durch diese Gabe in den Stand gesetzt wird, sich selbst zu unterhalten. Und künftig nicht mehr auf Geschenke angewiesen zu sein."
Anonyme Spenden als Form der Fürsorge. Kategorie: selbstloses Schenken. In den jüdischen Gemeinden hatte sich das etabliert. Man sammelte Spenden ein und verteilte sie dann an Bedürftige aus der Gemeinde. Heute machen das auch große Verbände. Zum Beispiel die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. Die Professionalisierung des Schenkens. Für das Schenken in der Familie gilt eher: Auch ein kleines Geschenk kann die große Schöpfung vollenden.