Es ist ein altes Paradigma, dass die Form der Zähne etwas über die Ernährung eines Tiers verrät. Scharfe Kanten sind hervorragend geeignet, Beute zu zerschneiden, während breite Flächen eher zum Kauen taugen. Belegt ist das durch Beobachtungen und Experimente und zwar so gut, dass dieses Paradigma auch bei ausgestorbenen Tieren angewandt wird. Doch dann landete der Kiefer eines vor rund zehn Jahren erlegten Gitarrenrochens im Naturhistorischen Museums in London. Und nun ist klar, dass Zähne nicht unbedingt die ganze Wahrheit verraten:
"Wir haben den Kiefer des Gitarrenrochens mit einer hochauflösenden Computertomografie untersucht, um ihn sozusagen digital zu sezieren."
Rochen isst Rochen
Und das Ergebnis habe sie vollkommen überrascht, erklärt Mason Dean vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam. Er verbindet Materialwissenschaften mit Zoologie und Evolutionsbiologie, um mehr über die Lebensweise von Tieren zu erfahren:
"Wir wollten mit dem Scan eigentlich nur die Anatomie der Kiefer untersuchen. Doch weil wir mit dieser Technik regelrecht in die Kiefer hinein schauen, entdeckten wir in ihm Stacheln von Stechrochen. Es waren Dutzende Bruchstücke, die alle im Gewebe um den Mund herum klemmten."
Das Ungewöhnliche daran: Stechrochen sind robuste Tiere, um sie zu zerreißen, sind messerscharfe Zähne notwendig. Zähne, wie sie beispielsweise der Tigerhai besitzt. Die Zähne des Gitarrenrochens hingegen sind im Grunde nur kleine, runde Bälle. Eben genau die Art von Zähnen, die man bei einem Fisch erwartet, der hauptsächlich kleine, hartschalige Muscheln frisst.
"In der vergleichenden Anatomie gehen wir oft von der Annahme aus, dass die Zähne uns viel über die Ernährungsweise eines Tiers verraten. Meist liegen wir damit auch richtig. Doch dieses Exemplar beweist, dass sich beispielsweise Gitarrenrochen - wenn sie nur groß genug gewachsen sind - nicht mehr darauf beschränken müssen, nur das zu fressen, was sie von ihren Zähnen her zermalmen können. Unser Exemplar war wohl um die 2,60 Meter lang - und es hat sich offensichtlich immer wieder Stechrochen einverleibt, obwohl er dabei gestochen wurde."
"Zusammenarbeit von Wissenschaftlern nützlich"
Zwar ist also die Korrelation zwischen Zähnen und Ernährung meist recht gut, doch die Form der Zähne allein reicht nicht immer aus. Das dürfte besonders in der Paläontologie wichtig werden, wenn aus fossilen Zähnen Rückschlüsse auf die Lebensweise ihrer einstigen Besitzer gezogen werden:
"Die Aussage unserer Arbeit ist, dass die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen nützlich sein könnte, etwa von Paläontologen und beispielsweise Materialforschern, die nicht nur die Zahnform analysieren, sondern auch Art und Grad der Abnutzung, um mehr Hinweise darauf zu finden, ob ein Tier wirklich harte Nahrung gefressen hat oder vielleicht doch noch etwas anderes, mit dem man weniger gerechnet hätte."
Und Mason Dean geht davon aus, dass man mithilfe der Computertomografie künftig noch weitere Überraschungen erleben werde.