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Geblasene Geschichte

Es wird Florenz des Nordens, Florenz an der Weichsel oder auch polnisches Rom genannt. Touristen kommen aber nicht nur wegen der Vielzahl von Bauwerken der Gotik, der Renaissance, des Barock und späterer Epochen prägen das Stadtbild von Krakau. Es gibt noch eine Attraktion in Krakau, die die Menschen neugierig macht und die es nur in dieser Stadt in Europa gibt.

Von Justyana Bronska |
    Ein warmer Sonnenschein liegt über dem mittelalterlichen Marktplatz von Krakau und lässt die Türme der 700 Jahre alten Marienkirche in vollem Glanz erstrahlen. Es ist drei Minuten vor zehn. Immer mehr Menschen strömen auf den Marktplatz. Alle schauen erst gespannt auf den Kirchentrum und dann wieder auf die Uhr. Vor allem Touristen versammeln sich auf dem Platz, um einem der Highlights Krakaus beizuwohnen:

    "Ich weiß nicht was das ist, ich warte hier, um es zu sehen und zu hören."

    "Ich komme aus den USA und ich warte hier auf dieses Trompetensignal."

    Es schlägt 10 Uhr. Oben im Turm geht ein Fenster auf, ein Mann mit Trompete erscheint und stimmt das berühmte Signal an.

    Bereits seit 200 Jahren wird das "Marien-Hejnal" - so heißt dieses Trompetensignal - zu jeder vollen Stunde gespielt. Aus vier Fenstern des Kirchenturms ertönt das Signal in alle Himmelsrichtungen. Zuerst Richtung Süden, dann nach Westen, Norden und am Schluss gen Osten. Die Touristen schießen Fotos, drehen Filme oder wie dieser ältere Mann, der sein Handy in die Tasche steckt:

    "Ich habe gerade meine Frau in Deutschland angerufen, damit sie das auch mithören kann. Sie hat es gehört und sie findet es ganz schön und sie beneidet mich, dass ich hier bin. Das ist wunderschön, das ist eine sehr schöne Tradition. Das ist einmalig. Ich wüsste nicht, in welcher anderen Stadt in Europa es so eine Tradition gibt."

    Der Krakauer Brauch stammt aus dem Mittelalter. Allerdings ertönte damals die Trompete nur zweimal täglich. Am Morgen war das Signal die Erlaubnis, die Stadttore zu öffnen. Sobald es abends ertönte, mussten die Tore geschlossen werden. Außerdem warnte der Trompetenklang die Krakauer vor Angriffen, Feuer oder verkündete andere wichtige Ereignisse in der Stadt.

    Das Marien-Hejnal wird nie zu Ende gespielt. Grund dafür ist eine Legende. Danach wurde der Wächter, der die Stadt vor dem Angriff der Tataren warnen wollte, von einem Pfeil getroffen, der ihm die Kehle durchbohrte. Das Warnsignal wurde unterbrochen. Zur Erinnerung daran bricht Hejnal bis heute mitten im Spiel ab.

    Das Marien-Hejnal zu spielen ist ein Traumjob für jeden Trompeter. Seit 26 Jahren bläst Krzysztof Daniel die Trompete auf dem Kirchturm. 239 Stufen muss er jedes Mal hinauf steigen zu seiner Trompete. Stolz hält der Heinalbläser die Trompete in seinen Händen:

    "Ich habe nie im Geringsten daran gedacht, dass ich mal die höchste Stelle in Krakau haben werde. Ich dachte immer, das Hejnal dürfen nur auserwählte Leute spielen, Leute mit besonderen Verdiensten. Ich hab mich so gefreut, als ich die Stelle bekam. Meine Familie, meine Bekannten - alle waren stolz auf mich. Sie hatten auch nie gedacht, dass ich den Marien-Hejnal spielen darf."

    Das stimmt, der Weg zum Hejnalspieler ist nicht einfach. Manche müssen mehrere Jahre auf ihr Glück warten. Sieben Feuerwehrmänner dürfen derzeit das Hejnal auf dem Turm der Marienkirche spielen.

    Jeder Pole kennt das Marien-Hejnal. Seit 80 Jahren ist das Trompetenspiel aus Krakau täglich um 12 Uhr mittags in ganz Polen zu hören - es wird im Radio übertragen.

    "Das ist ein Zeichen von Polen und von der polnischen Geschichte und von der polnischen Tradition. Das gehört eigentlich zu Polen nicht nur zu Krakau. Das sollte ja lebenslange Tradition bleiben","

    sagt ein polnischer Tourist aus Lodz. Auch für den Trompeter Krzysztof Daniel ist das Hejnal aus Krakau nicht mehr wegzudenken. Nachdenklich schaut der Mann durch das Fenster auf den Marktplatz:

    ""Manchmal frage ich mich, ob man dieses Hejnal noch braucht. Aber wenn ich diese Menschenmenge da unten sehe, dann denke ich, das ist notwendig. Und das soll live gespielt werden, weil die Leute warten bis ich mit der Hand winke nachdem ich gespielt habe. Das ist jedes Mal ein großes Erlebnis für mich. Sogar in der Nacht, da gibt es zwar weniger Leute unten, aber ich muss sagen immer zu jeder Stunde ist jemand, der anhält und hört und mir winkt. Das ist ein nettes Gefühl für mich, wenn ich weiß, dass die Leute es hören wollen, sie freuen sich."

    Der Turmbläser stimmt seine Trompete. Gleich ist es 11 Uhr, wie zu jeder Stunde läutet er zuerst die Glocken.

    Dann macht er das Fenster in Richtung Süden auf, atmet tief ein und setzt die Trompete an die Lippen.