"Kernelement des geburtshilflichen Handelns" heißt das Modul, das an diesem frühen Morgen in einem nüchternen Seminarraum des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Lübeck auf dem Lehrplan steht. Vorne am Pult lehnt Dozentin Jenny Seipel, in ihrem Rücken eine Powerpointpräsentation mit Skizzen und jeder Menge Fachgriffen aus der Hebammenwissenschaft:
"Dann gibt es eigentlich noch einen fünften Handgriff, das ist der Zangenmeisterhandgriff…"
19 junge Frauen im Alter von 18 bis 36 Jahren hören Seipel zu. Sie scheinen konzentriert, machen sich Notizen und stellen im Minutentakt Fragen. Es ist der erste Jahrgang des Studiengangs Hebammenwissenschaft. Und gleichzeitig auch der erste universitäre bundesweit, der hier in Lübeck begonnen hat. Auch Liv Hamann ist dabei. Ein Jahr lang hat die 22-Jährige zuvor bereits Humanmedizin in der Hansestadt studiert:
"Ich dachte, ich wollte Gynäkologin werden. Aber die Gynäkologin, die macht ja nicht den physiologischen Geburtsverlauf, auch von zu Hause. Einfach dieses Geschenk, die Natur unterstützen zu können, dass die Frau das gut gebären kann, das ist für mich so einfach der Hauptantrieb gewesen."
Bis heute ist die deutsche Gesundheitswelt ziemlich hierarchisiert – allen voran die Krankenhäuser. Hamanns Wunsch: Mit einem Universitätsabschluss als Hebamme noch mehr auf Augenhöhe mit den Ärzten agieren.
Verändertes Anforderungsspektrum
Die Akademisierung sei unausweichlich, sagt die Dozentin Jenny Seipel. Das Anforderungsspektrum an Hebammen habe sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Noch mehr Hintergrundwissen sei da gefragt – ebenso, wie das wissenschaftliche Arbeiten, sagt Seipel:
"So, dass Hebammen auch im Kontakt mit anderen Professionen einfach anhand der wissenschaftlichen Erkenntnisse anders argumentieren können. Und nicht sagen müssen: Das haben wir immer schon gemacht und deswegen wird’s so durchgeführt. Sondern auch die Frage: Warum machen wir’s und aus welchem Grund wird es so durchgeführt?"
Seipel ist nicht nur Dozentin im neu geschaffenen Lübecker Studiengang, sondern auch Leiterin der Hebammenschule an der UKSH-Akademie – der Ausbildungsstätte des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Kiel. Bis heute sind es solche Fachschulen, an denen der Großteil der Hebammen in einer dreijährigen Ausbildung den Beruf lernt.
Hebammenwissenschaft soll an die Universitäten
Allerdings sind die Fachschulen ein Auslaufmodell. Wer Hebamme werden möchte, dürfte schon in wenigen Jahren nicht mehr an einem Studium vorbeikommen. Bereits seit 2008 werden Studiengänge in Hebammenwissenschaft angeboten. Bisher ausschließlich an Fachhochschulen. Das Studienangebot soll aber ausgeweitet werden – auch an Unis. Das hat auch mit einer EU-Richtlinie zu tun, die die Anerkennung der Hebammenausbildung europaweit vereinfachen möchte. Die Richtlinie schreibt vor, dass künftig eine 12-Jährige Schulbildung Voraussetzung für das Erlernen des Hebammenberufs wird, also in Deutschland mindestens Fachabitur. Yvonne Bovermann ist Mitglied des Präsidiums im Deutschen Hebammenverband und dort zuständig für den Bildungsbereich. Sie sagt:
"Wir brauchen eben dringend die vollständige Überführung an die Hochschule aus zwei Gründen: Einmal, weil nur noch das das Niveau ist, wo man eigentlich den Beruf, wie er heute gelebt wird, wirklich richtig lernen kann. Und zum anderen aber auch, damit wir europäisch nicht länger abgehängt sind. Alle Kolleginnen in Europa studieren bis auf drei sehr kleine Länder und sagen uns auch ganz deutlich: Ihr seid nicht so qualifiziert wie wir."
"Wir brauchen eben dringend die vollständige Überführung an die Hochschule aus zwei Gründen: Einmal, weil nur noch das das Niveau ist, wo man eigentlich den Beruf, wie er heute gelebt wird, wirklich richtig lernen kann. Und zum anderen aber auch, damit wir europäisch nicht länger abgehängt sind. Alle Kolleginnen in Europa studieren bis auf drei sehr kleine Länder und sagen uns auch ganz deutlich: Ihr seid nicht so qualifiziert wie wir."
Engere Zusammenarbeit mit Ärzten
Bovermann lobt den neuen Studiengang in Lübeck, weil dort Hebammen bei bestimmten Themen auch zusammen mit Humanmedizinern und Physiotherapeuten lernen werden. Was nicht heißen soll, dass in Zukunft Ärzte das Ruder in die Hand nehmen sollen, wie Bovermann erklärt:
"Wir arbeiten gerne mit Ärzten zusammen aber dass die unsere Ausbildung leiten, das halte ich für völlig falsch. Weil ehrlich gesagt: Die kennen unseren Beruf dafür nicht genug."
"Wir arbeiten gerne mit Ärzten zusammen aber dass die unsere Ausbildung leiten, das halte ich für völlig falsch. Weil ehrlich gesagt: Die kennen unseren Beruf dafür nicht genug."
Eine Arbeitsplatzgarantie gebe der Bachelorabschluss in Lübeck zwar nicht in einem Berufsfeld, das weiterhin mit vielen Umbrüchen kämpft – Stichwort Haftpflichtversicherungsprämie. Doch wegen des Hebammenmangels hätten die Absolventinnen sehr gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt, sagt die Studiengangskoordinatorin Nele Stejskal. Und dann formuliert Stejskal noch eine Hoffnung:
"Ich würde mir das natürlich wünschen, dass wir mehr Männern begeistern könnten für diesen Beruf. Und ich freu mich tatsächlich schon darauf, wenn wir das erste Mal tatsächlich eine männliche Bewerbung einflattern haben hier bei uns im Studiengang – ja, für mich wäre es ein Wunsch."
"Ich würde mir das natürlich wünschen, dass wir mehr Männern begeistern könnten für diesen Beruf. Und ich freu mich tatsächlich schon darauf, wenn wir das erste Mal tatsächlich eine männliche Bewerbung einflattern haben hier bei uns im Studiengang – ja, für mich wäre es ein Wunsch."