Die Deutsche Verlagsanstalt in Stuttgart, Paul Celans erster Verlag in Deutschland, begeht das Jubiläum mit einem schönen bibliophilen Buch, dessen Gestaltung an die Erstausgabe von 1952 erinnert – mit dem schwarzen Leineneinband und dem Titel in stilisierter Schreibschrift. Fotos und ein materialreiches, kluges Nachwort zeichnen die Editions- und Wirkungsgeschichte von "Mohn und Gedächtnis" nach.
Für dieses Nachwort hat Jan Bürger, im Deutschen Literaturarchiv Marbach mit dem Nachlass Paul Celans befasst, auch aus disparaten und wenig bekannten Quellen geschöpft. Sie vergegenwärtigen noch einmal, was Celan-Forschern, aber möglicherweise nicht seinen Lesern bekannt war: Wie sehr der Nationalsozialismus die Dichter und Autoren deutscher Sprache einander entfremdet hatte. Wie tief und unüberbrückbar der Graben zwischen ihnen geworden war.
Hier der in Rumänien geborene, in Paris lebende Jude Celan, Überlebender von Ghetto und Konzentrationslager, dessen Eltern während der deutschen Besatzung 1942 deportiert und ermordet wurden – dort seine Altersgenossen, die meisten von ihnen als ehemalige Kriegsteilnehmer durch Mitwissen, Mitlaufen, womöglich sogar Mittun belastet.
Hier der Dichter aus dem Czernowitz der Zwischenkriegszeit, für den die heimatliche Bukowina "eine Gegend, in der Menschen und Bücher lebten", war, wie Paul Celan einmal sagte. Ein Dichter vom äußersten östlichen Rand des deutschen Sprachraums, aufgewachsen in einer Polyphonie von Sprachen und einer Vielfalt jüdisch geprägter Kulturen. Der mehrfach Entwurzelte und aus seiner Heimat Vertriebene, der auf der Suche nach einem neuen Zuhause ganz Europa durchquerte, um sich schließlich für Frankreich zu entscheiden. Ein deutscher Dichter im Exil, der schließlich auf ein seltsam geschichtsvergessenes Nachkriegsdeutschland traf.
Dort vor allem die Autoren der Gruppe 47, die sich als Gestalter eines Neubeginns der deutschen Literatur verstanden und ihrem Kollegen aus dem Osten Europas sehr reserviert, wenn nicht gar feindselig begegneten. Was sie als Befremden ob der oratorisch-getragenen, östlichen Vortragsweise Celans äußerten, könnte wohl auch das moralische Missempfinden einem Dichter gegenüber gewesen sein, der als Überlebender zu ihnen sprach. Wie anders sollte man die verräterische Äußerung eines ungenannten Mitglieds der Gruppe 47 deuten, die der bestürzte Celan seinem Freund Hermann Lenz referierte:
"Da hat einer zu mir gesagt: Die Gedichte, die Sie vorgelesen haben, waren mir sehr unsympathisch. Und dann haben Sie sie auch noch im Tonfall von Goebbels vorgetragen."
Paul Celan war der erste Dichter deutscher Sprache, der die Tatsache und die Erfahrung des Holocaust in gültige poetische Werke goss. In diesem Sinne brach der Band "Mohn und Gedächtnis" vor sechzig Jahren das lastende Schweigen deutscher Schuld und Verstrickung und bekräftigte zugleich Tradition und Erneuerungsfähigkeit deutscher Dichtung.
Celans Formbewusstsein, vor allem aber seine Musikalität nahm selbst Mitglieder der distanzierten Gruppe 47 für den Dichter ein. Zum Beispiel Hans Erich Nossack, der in einem Brief bekannte, "keineswegs alle" Gedichte in "Mohn und Gedächtnis" zu verstehen, jedoch die "sehr echte und moderne Musik" zu empfinden, die in ihnen sei.
"Die Ewigkeit
Rinde des Nachtbaums, rostgeborene Messer
flüstern dir zu die Namen, die Zeit und die Herzen.
Ein Wort, das schlief, als wir’s hörten,
schlüpft unters Laub:
beredt wird der Herbst sein,
beredter die Hand, die ihn aufliest,
frisch wie der Mohn des Vergessens der Mund, der sie küsst."
Celans synästhetische Wahrnehmung, seine Umwidmung klassischer Begriffe deutscher Dichtung wie Haut und Herz, Haar und Hirn, Blume und Milch, der hohe Ton und der extreme Kompressionsgrad, vor allem aber, dass hier ein Dichter "ich, "du" und "wir" sagt – all das lässt seine Gedichte unverändert frisch, ja geradezu zeitgenössisch erscheinen.
Neben den Zyklen "Der Sand aus den Urnen", "Gegenlicht" und "Halme der Nacht" enthält das schmale, schwarze Buch die "Todesfuge", das berühmteste Gedicht der Nachkriegszeit und in Celans Schaffen dasjenige, das die deutlichste Sprache für die Vernichtung der europäischen Juden durch nationalsozialistische "Meister aus Deutschland" findet. Etliche ihrer zwingenden Zeilen haben sich aus der "Todesfuge" gelöst und sind in unseren Sprachgebrauch eingegangen. Wiederholung und Variation, die rasende, atemlose Fügung ohne Punkt und Komma, das Aufsprengen der Form bei gleichzeitiger höchster Geschlossenheit verleihen dem Werk die Wucht der Klage und Anklage.
"Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt ihm Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus
Deutschland
dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith"
"Ein Lied in der Wüste" lautet das programmatische erste Gedicht dieses zur 60jährigen Wiederkehr seines ersten Erscheinens neu aufgelegten Bands. In der Wüste, die der Nationalsozialismus aus seiner Heimat gemacht hatte, blieb dem Dichter nur eines: "Erreichbar, nah und unverloren blieb inmitten der Verluste dies eine: die Sprache", sagte Celan 1958, als er den Bremer Literaturpreis erhielt.
Obwohl sein Werk zwei Jahre später mit dem Büchnerpreis geehrt wurde, konnte ihn die literarische Anerkennung nicht über die Verluste hinwegtrösten. Er litt unter dem Trauma des Überlebenden, der sich vorwarf, seine Eltern nicht vor dem Verderben gerettet zu haben. Wahnvorstellungen brachten ihn mehrfach in psychiatrische Behandlung. Auf seinen persönlichen Beziehungen lag ein Schatten. Sein Verhältnis zu Deutschland, wo seine gerettete Sprache zu Hause war, wo man ihn las und ehrte, blieb schwierig. Es muss ihn tief getroffen haben, dass sich antisemitische Töne in die öffentliche Diskussion um angebliche Plagiatsvorwürfe mischten, die von der Witwe des Dichters Yvan Goll gegen ihn erhoben wurden. Eine Lesung in Freiburg am 21. März 1970 erlebte Paul Celan als Fiasko. Einen Monat später stürzte er sich in die Seine und setzte seinem Leben ein Ende.
"Auf hoher See
Paris, das Schifflein, liegt im Glas vor Anker:
so halt ich mit dir Tafel, trink dir zu.
Ich trink so lang, bis dir mein Herz erdunkelt,
so lange, bis Paris auf seiner Träne schwimmt,
so lange, bis es Kurs nimmt auf den fernen Schleier,
der uns die Welt verhüllt, wo jedes Du ein Ast ist,
an dem ich hänge als ein Blatt, das schweigt und schwebt."
Buchinfos:
Paul Celan, Mohn und Gedächtnis. Gedichte. Deutsche Verlagsanstalt, München 2012. 100 Seiten
Für dieses Nachwort hat Jan Bürger, im Deutschen Literaturarchiv Marbach mit dem Nachlass Paul Celans befasst, auch aus disparaten und wenig bekannten Quellen geschöpft. Sie vergegenwärtigen noch einmal, was Celan-Forschern, aber möglicherweise nicht seinen Lesern bekannt war: Wie sehr der Nationalsozialismus die Dichter und Autoren deutscher Sprache einander entfremdet hatte. Wie tief und unüberbrückbar der Graben zwischen ihnen geworden war.
Hier der in Rumänien geborene, in Paris lebende Jude Celan, Überlebender von Ghetto und Konzentrationslager, dessen Eltern während der deutschen Besatzung 1942 deportiert und ermordet wurden – dort seine Altersgenossen, die meisten von ihnen als ehemalige Kriegsteilnehmer durch Mitwissen, Mitlaufen, womöglich sogar Mittun belastet.
Hier der Dichter aus dem Czernowitz der Zwischenkriegszeit, für den die heimatliche Bukowina "eine Gegend, in der Menschen und Bücher lebten", war, wie Paul Celan einmal sagte. Ein Dichter vom äußersten östlichen Rand des deutschen Sprachraums, aufgewachsen in einer Polyphonie von Sprachen und einer Vielfalt jüdisch geprägter Kulturen. Der mehrfach Entwurzelte und aus seiner Heimat Vertriebene, der auf der Suche nach einem neuen Zuhause ganz Europa durchquerte, um sich schließlich für Frankreich zu entscheiden. Ein deutscher Dichter im Exil, der schließlich auf ein seltsam geschichtsvergessenes Nachkriegsdeutschland traf.
Dort vor allem die Autoren der Gruppe 47, die sich als Gestalter eines Neubeginns der deutschen Literatur verstanden und ihrem Kollegen aus dem Osten Europas sehr reserviert, wenn nicht gar feindselig begegneten. Was sie als Befremden ob der oratorisch-getragenen, östlichen Vortragsweise Celans äußerten, könnte wohl auch das moralische Missempfinden einem Dichter gegenüber gewesen sein, der als Überlebender zu ihnen sprach. Wie anders sollte man die verräterische Äußerung eines ungenannten Mitglieds der Gruppe 47 deuten, die der bestürzte Celan seinem Freund Hermann Lenz referierte:
"Da hat einer zu mir gesagt: Die Gedichte, die Sie vorgelesen haben, waren mir sehr unsympathisch. Und dann haben Sie sie auch noch im Tonfall von Goebbels vorgetragen."
Paul Celan war der erste Dichter deutscher Sprache, der die Tatsache und die Erfahrung des Holocaust in gültige poetische Werke goss. In diesem Sinne brach der Band "Mohn und Gedächtnis" vor sechzig Jahren das lastende Schweigen deutscher Schuld und Verstrickung und bekräftigte zugleich Tradition und Erneuerungsfähigkeit deutscher Dichtung.
Celans Formbewusstsein, vor allem aber seine Musikalität nahm selbst Mitglieder der distanzierten Gruppe 47 für den Dichter ein. Zum Beispiel Hans Erich Nossack, der in einem Brief bekannte, "keineswegs alle" Gedichte in "Mohn und Gedächtnis" zu verstehen, jedoch die "sehr echte und moderne Musik" zu empfinden, die in ihnen sei.
"Die Ewigkeit
Rinde des Nachtbaums, rostgeborene Messer
flüstern dir zu die Namen, die Zeit und die Herzen.
Ein Wort, das schlief, als wir’s hörten,
schlüpft unters Laub:
beredt wird der Herbst sein,
beredter die Hand, die ihn aufliest,
frisch wie der Mohn des Vergessens der Mund, der sie küsst."
Celans synästhetische Wahrnehmung, seine Umwidmung klassischer Begriffe deutscher Dichtung wie Haut und Herz, Haar und Hirn, Blume und Milch, der hohe Ton und der extreme Kompressionsgrad, vor allem aber, dass hier ein Dichter "ich, "du" und "wir" sagt – all das lässt seine Gedichte unverändert frisch, ja geradezu zeitgenössisch erscheinen.
Neben den Zyklen "Der Sand aus den Urnen", "Gegenlicht" und "Halme der Nacht" enthält das schmale, schwarze Buch die "Todesfuge", das berühmteste Gedicht der Nachkriegszeit und in Celans Schaffen dasjenige, das die deutlichste Sprache für die Vernichtung der europäischen Juden durch nationalsozialistische "Meister aus Deutschland" findet. Etliche ihrer zwingenden Zeilen haben sich aus der "Todesfuge" gelöst und sind in unseren Sprachgebrauch eingegangen. Wiederholung und Variation, die rasende, atemlose Fügung ohne Punkt und Komma, das Aufsprengen der Form bei gleichzeitiger höchster Geschlossenheit verleihen dem Werk die Wucht der Klage und Anklage.
"Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt ihm Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus
Deutschland
dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith"
"Ein Lied in der Wüste" lautet das programmatische erste Gedicht dieses zur 60jährigen Wiederkehr seines ersten Erscheinens neu aufgelegten Bands. In der Wüste, die der Nationalsozialismus aus seiner Heimat gemacht hatte, blieb dem Dichter nur eines: "Erreichbar, nah und unverloren blieb inmitten der Verluste dies eine: die Sprache", sagte Celan 1958, als er den Bremer Literaturpreis erhielt.
Obwohl sein Werk zwei Jahre später mit dem Büchnerpreis geehrt wurde, konnte ihn die literarische Anerkennung nicht über die Verluste hinwegtrösten. Er litt unter dem Trauma des Überlebenden, der sich vorwarf, seine Eltern nicht vor dem Verderben gerettet zu haben. Wahnvorstellungen brachten ihn mehrfach in psychiatrische Behandlung. Auf seinen persönlichen Beziehungen lag ein Schatten. Sein Verhältnis zu Deutschland, wo seine gerettete Sprache zu Hause war, wo man ihn las und ehrte, blieb schwierig. Es muss ihn tief getroffen haben, dass sich antisemitische Töne in die öffentliche Diskussion um angebliche Plagiatsvorwürfe mischten, die von der Witwe des Dichters Yvan Goll gegen ihn erhoben wurden. Eine Lesung in Freiburg am 21. März 1970 erlebte Paul Celan als Fiasko. Einen Monat später stürzte er sich in die Seine und setzte seinem Leben ein Ende.
"Auf hoher See
Paris, das Schifflein, liegt im Glas vor Anker:
so halt ich mit dir Tafel, trink dir zu.
Ich trink so lang, bis dir mein Herz erdunkelt,
so lange, bis Paris auf seiner Träne schwimmt,
so lange, bis es Kurs nimmt auf den fernen Schleier,
der uns die Welt verhüllt, wo jedes Du ein Ast ist,
an dem ich hänge als ein Blatt, das schweigt und schwebt."
Buchinfos:
Paul Celan, Mohn und Gedächtnis. Gedichte. Deutsche Verlagsanstalt, München 2012. 100 Seiten