In den letzten drei Jahrzehnten ist eine weitverzweigte Erinnerungskultur in Deutschland entstanden. Mit einer Fülle von Institutionen, Initiativen, Gedenkstätten und Museen. Doch nach der emsigen Phase des Aufbaus stehe sie nunmehr auf dem Prüfstand, konstatiert Aleida Assmann. Ein neues Unbehagen sei spürbar, das sich an dem von ihr mit entwickelten Gedächtniskonzept wie an der lokalen Expansion von historischem Gedenken reibt. Deshalb fragt die Autorin besorgt:
"Welche Rolle soll diese Erinnerung fortan in unserer Gesellschaft spielen? Soll sie überhaupt fortgesetzt werden, und wenn ja, wie? Wohin soll der Weg gehen, und wer soll ihn gehen?"
Die Kampftitel gegen die Erinnerungskultur mehren sich. Das ganze Land drohe zum Mahnmal zu werden, merken genervte Gedenkmuffel polemisch an. Da ist die negative Rede von einer…
"…"Epidemie des Gedenkens", "einem Diktat der Aufarbeitung", einer "millionenschweren Gedenkindustrie", einem "Gedächtnistheater", "HisTourismus", einer "Diktatur der Vergangenheit" und "Verstellung von Zukunft"."
Bemerkenswert ist dabei, dass das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur nicht wie sonst üblich aus dumpfen rechten Krähwinkeln kommt, sondern eher aus kulturkritischen Kreisen von links, die sich an dem staatstragenden, parteiübergreifend unterstützten Erinnerungsmodus stören. Für sie sind moralisch aufgeladene Pathosformeln keine Alternative zu einem "kritischen Geschichtsbewusstsein". Aleida Assmann versucht, zu verstehen:
"Dieses Unbehagen an der Erinnerungskultur stellt sich sehr schnell ein, wenn man im Zentrum sich fokussiert auf die offiziellen Formen der Kommemoration. Das Gedenken hat in sich etwas Wiederholungsmäßiges. Und das ist etwas für Intellektuelle in unserem Land zunächst einmal ein Stein des Anstoßes, überhaupt rhetorische Formeln, denen wird abgesprochen, dass sie einen Inhalt haben können. Wir sind aufgewachsen in einer Welt, in der wir uns gesträubt haben gegen Formeln, gegen die Dinge, die von oben kommen, die verordnet werden."
"Wo Vergessen und Verdrängen, wo Beschweigen und Leugnen war, ist nun allseits Erinnern …"
…, wird der Historiker Harald Schmid zitiert, für den die Erinnerung zur affirmativen Staatskultur regrediert ist. Doch Aleida Assmann lässt sich nicht davon beirren. Mit solcher Kritik würden alle Formen der Zugehörigkeit, von Tradition und Bindung reflexartig als "Kollektivierung, Homogenisierung oder Zumutung" denunziert. Weshalb sie vom Sinn einer Gedächtniskultur überzeugt ist:
"Diese Gedenkstätten verwandeln das kommunikative Gedächtnis der Zeitzeugen in ein langfristiges kulturelles Gedächtnis, das die heutigen und zukünftigen Bewohner dieses Landes über ihre eigene Geschichte aufklärt."
Doch es gibt prominente Zweifel daran, dass eine Gesellschaft ein kulturelles oder auch kollektives Gedächtnis entwickeln kann. Historiker und Literaten wie Reinhard Koselleck, Karl Heinz Bohrer oder Jan Philipp Reemtsma weisen darauf hin, dass sich nur Individuen an etwas erinnern können, und zwar kurzfristig und nur an das, was biografisch für sie von Belang ist. Dagegen zitiert die Autorin Hermann Lübbe, einen Kritiker der sogenannten "Schuld- und Schamkultur" im Umgang mit der NS-Vergangenheit, der sich des paradoxen Eindrucks nicht erwehren könne, dass …
" …, die Intensität der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus mit der Zahl der Jahre, die uns vom Zusammenbruch seiner Herrschaft trennen, gewachsen ist. Mit der größeren temporalen Distanz von den zwölf Jahren des "Dritten Reichs" ist kein Effekt des Verblassens der Erinnerung (…) verbunden gewesen. Ganz im Gegenteil hat die kulturelle und politische Aufdringlichkeit dieser Erinnerung zugenommen."
Aber auch die Zahl derer ist angewachsen, die eine weitere Perfektionierung unserer Erinnerungskultur kritisch sehen und eine Historisierung der NS-Vergangenheit für dringend erforderlich halten, ohne dass ihnen dabei wie in früheren Jahren automatisch eine Relativierung oder Banalisierung von Naziverbrechen unterstellt werden könnte. Unter Historisierung versteht zum Beispiel der Publizist Götz Aly an anderer Stelle:
"… über den Nationalsozialismus nüchtern und zurückgelehnt so reden zu können wie über den Dreißigjährigen Krieg und die Französische Revolution."
Zwei gewichtige Gründe scheinen für eine Historisierung zu sprechen. Zum einen ein transnationaler Perspektivenwechsel beim Blick auf die Geschichte. Und zum anderen das Aussterben der Zeitzeugen. Assmann zitiert dazu den Publizisten Harald Welzer:
"Mit dem Verschwinden der Zeitzeugen wird die Geschichte auch wieder frei, zu einer lebendigen Betrachtung nämlich, zum Gebrauch. Sie wird zukunftsfähig. Die Geschichte von Nationalsozialismus und Holocaust wird kalt."
Doch diese Möglichkeit hält Aleida Assmann in ihrer gut dokumentierten und fair argumentierenden "Intervention" für unwahrscheinlich. Für sie ist der eingeschlagene Weg unserer breit angelegten Gedächtniskultur unumkehrbar geworden.
"Hier würde ich meinen, dass das gar nicht so einfach geht. Also es gibt sehr viele handgreifliche Formen, in denen inzwischen deutlich gemacht wurde, dass diese Erinnerung nicht vergehen soll. Es gibt eine Form des Mitnehmens und Reaktualisierens, d.h. man müsste, wenn man das konkret ernst nimmt und umsetzt, erst mal diese Dinge wieder abschaffen. Man müsste sich Formen ausdenken, wie man diese Erinnerungslandschaft, die da entstanden ist, wieder abflacht, damit das wieder in eine gewisse Neutralität zurückfällt, denn wir wollen den Holocaust dann nur noch als ein Sachwissen bewerten und nicht mehr als ein Identitätswissen, zu dem wir selber aufgerufen sind, einen Bezug herzustellen."
Aleida Assmann: Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine Intervention.
Verlag C.H. Beck, hat 230 Seiten, 16,95 Euro.
"Welche Rolle soll diese Erinnerung fortan in unserer Gesellschaft spielen? Soll sie überhaupt fortgesetzt werden, und wenn ja, wie? Wohin soll der Weg gehen, und wer soll ihn gehen?"
Die Kampftitel gegen die Erinnerungskultur mehren sich. Das ganze Land drohe zum Mahnmal zu werden, merken genervte Gedenkmuffel polemisch an. Da ist die negative Rede von einer…
"…"Epidemie des Gedenkens", "einem Diktat der Aufarbeitung", einer "millionenschweren Gedenkindustrie", einem "Gedächtnistheater", "HisTourismus", einer "Diktatur der Vergangenheit" und "Verstellung von Zukunft"."
Bemerkenswert ist dabei, dass das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur nicht wie sonst üblich aus dumpfen rechten Krähwinkeln kommt, sondern eher aus kulturkritischen Kreisen von links, die sich an dem staatstragenden, parteiübergreifend unterstützten Erinnerungsmodus stören. Für sie sind moralisch aufgeladene Pathosformeln keine Alternative zu einem "kritischen Geschichtsbewusstsein". Aleida Assmann versucht, zu verstehen:
"Dieses Unbehagen an der Erinnerungskultur stellt sich sehr schnell ein, wenn man im Zentrum sich fokussiert auf die offiziellen Formen der Kommemoration. Das Gedenken hat in sich etwas Wiederholungsmäßiges. Und das ist etwas für Intellektuelle in unserem Land zunächst einmal ein Stein des Anstoßes, überhaupt rhetorische Formeln, denen wird abgesprochen, dass sie einen Inhalt haben können. Wir sind aufgewachsen in einer Welt, in der wir uns gesträubt haben gegen Formeln, gegen die Dinge, die von oben kommen, die verordnet werden."
"Wo Vergessen und Verdrängen, wo Beschweigen und Leugnen war, ist nun allseits Erinnern …"
…, wird der Historiker Harald Schmid zitiert, für den die Erinnerung zur affirmativen Staatskultur regrediert ist. Doch Aleida Assmann lässt sich nicht davon beirren. Mit solcher Kritik würden alle Formen der Zugehörigkeit, von Tradition und Bindung reflexartig als "Kollektivierung, Homogenisierung oder Zumutung" denunziert. Weshalb sie vom Sinn einer Gedächtniskultur überzeugt ist:
"Diese Gedenkstätten verwandeln das kommunikative Gedächtnis der Zeitzeugen in ein langfristiges kulturelles Gedächtnis, das die heutigen und zukünftigen Bewohner dieses Landes über ihre eigene Geschichte aufklärt."
Doch es gibt prominente Zweifel daran, dass eine Gesellschaft ein kulturelles oder auch kollektives Gedächtnis entwickeln kann. Historiker und Literaten wie Reinhard Koselleck, Karl Heinz Bohrer oder Jan Philipp Reemtsma weisen darauf hin, dass sich nur Individuen an etwas erinnern können, und zwar kurzfristig und nur an das, was biografisch für sie von Belang ist. Dagegen zitiert die Autorin Hermann Lübbe, einen Kritiker der sogenannten "Schuld- und Schamkultur" im Umgang mit der NS-Vergangenheit, der sich des paradoxen Eindrucks nicht erwehren könne, dass …
" …, die Intensität der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus mit der Zahl der Jahre, die uns vom Zusammenbruch seiner Herrschaft trennen, gewachsen ist. Mit der größeren temporalen Distanz von den zwölf Jahren des "Dritten Reichs" ist kein Effekt des Verblassens der Erinnerung (…) verbunden gewesen. Ganz im Gegenteil hat die kulturelle und politische Aufdringlichkeit dieser Erinnerung zugenommen."
Aber auch die Zahl derer ist angewachsen, die eine weitere Perfektionierung unserer Erinnerungskultur kritisch sehen und eine Historisierung der NS-Vergangenheit für dringend erforderlich halten, ohne dass ihnen dabei wie in früheren Jahren automatisch eine Relativierung oder Banalisierung von Naziverbrechen unterstellt werden könnte. Unter Historisierung versteht zum Beispiel der Publizist Götz Aly an anderer Stelle:
"… über den Nationalsozialismus nüchtern und zurückgelehnt so reden zu können wie über den Dreißigjährigen Krieg und die Französische Revolution."
Zwei gewichtige Gründe scheinen für eine Historisierung zu sprechen. Zum einen ein transnationaler Perspektivenwechsel beim Blick auf die Geschichte. Und zum anderen das Aussterben der Zeitzeugen. Assmann zitiert dazu den Publizisten Harald Welzer:
"Mit dem Verschwinden der Zeitzeugen wird die Geschichte auch wieder frei, zu einer lebendigen Betrachtung nämlich, zum Gebrauch. Sie wird zukunftsfähig. Die Geschichte von Nationalsozialismus und Holocaust wird kalt."
Doch diese Möglichkeit hält Aleida Assmann in ihrer gut dokumentierten und fair argumentierenden "Intervention" für unwahrscheinlich. Für sie ist der eingeschlagene Weg unserer breit angelegten Gedächtniskultur unumkehrbar geworden.
"Hier würde ich meinen, dass das gar nicht so einfach geht. Also es gibt sehr viele handgreifliche Formen, in denen inzwischen deutlich gemacht wurde, dass diese Erinnerung nicht vergehen soll. Es gibt eine Form des Mitnehmens und Reaktualisierens, d.h. man müsste, wenn man das konkret ernst nimmt und umsetzt, erst mal diese Dinge wieder abschaffen. Man müsste sich Formen ausdenken, wie man diese Erinnerungslandschaft, die da entstanden ist, wieder abflacht, damit das wieder in eine gewisse Neutralität zurückfällt, denn wir wollen den Holocaust dann nur noch als ein Sachwissen bewerten und nicht mehr als ein Identitätswissen, zu dem wir selber aufgerufen sind, einen Bezug herzustellen."
Aleida Assmann: Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine Intervention.
Verlag C.H. Beck, hat 230 Seiten, 16,95 Euro.