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Gedenkausstellung zum 100. Todestag

Die New Yorker Pierpont Morgan Library stellt Mark Twain in einer Gedenkausstellung zum 100.Todestag des Autors vor. Unter den Exponaten befindet sich allerdings nicht die Autobiografie von Mark Twain. Diese erscheint erst dieses Jahr.

Von Sacha Verna | 12.11.2010
    Wer heute den Namen Mark Twain hört, denkt an "Die Abenteuer von Huckleberry Finn” und "Tom Sawyer” und nicht viel weiter. Dass Samuel Langhorne Clemens, wie Twain mit bürgerlichem Namen hieß, ein Welt- und begnadeter Vortragsreisender war, der selbst im fernen Tasmanien das Publikum in seinen Bann zog, dass er Schiffssteuermann auf dem Mississippi, Erfinder eines Brettspiels und einer der schärfsten Gesellschaftskritiker seiner Zeit war, und vor allem, dass es sich bei "Huckleberry Finn” und "Tom Sawyer” keineswegs um seine einzigen Werke handelt und schon gar nicht um die Kinderbücher, die man fälschlicherweise daraus gemacht hat – das alles wissen die wenigsten über diesen bedeutenden Schriftsteller.

    Mark Twain wurde arm vor hundertfünfundsiebzig Jahren im tiefsten amerikanischen Süden geboren und starb 1910 berühmt und gefeiert im feinen Nordosten des Landes. Er erlebte den Amerikanischen Bürgerkrieg, einen privaten Totalbankrott und die Verbreitung der Glühbirne. Und er erlebte, wie sich seine schlimmsten Befürchtungen, was die Natur des Menschen betraf, bewahrheiteten.

    Die kleine feine Gedenkausstellung in der New Yorker Pierpont Morgan Library stellt Mark Twain denn auch nicht als den humorvollen Märchenonkel vor, den manche so gerne in ihm sähen.

    Da ist zunächst der Weltreisende Mark Twain. Über ein Dutzend Mal überquerte Twain den Atlantischen Ozean. Erstmals brach er 1867 als Reporter für ein Lokalblatt nach Europa und in den Nahen Osten auf. Später, als er als bekannter Autor Vortragssäle überall auf der Welt füllen konnte, führten ihn seine ausgedehnten Reisen bis nach Indien, Australien und Südafrika.

    "Ich kenne keinen anderen Amerikaner des neunzehnten Jahrhunderts, der so weit reiste wie Twain und darüber schrieb. Twain war wirklich die Person, die für die Amerikaner damals die übrige Welt interpretierte. Sein Buch 'Die Arglosen im Ausland' von 1869 ist bis heute das beliebteste und meistverkaufte Reisebuch von einem amerikanischen Autor."

    …sagt Declan Kiely, der die Ausstellung in der Pierpoint Morgan Library organisiert hat. Und wie sein Co-Kurator Isaac Gerwitz erklärt, brachte Mark Twain von seinen Expeditionen in ferne Länder keineswegs nur hübsche exotische Souvenirs mit nach Hause:

    "Er kam zutiefst pessimistisch angesichts der Möglichkeit menschlichen Fortschritts zurück. Die Heuchelei der westlichen Imperialstaaten und die Grausamkeiten, die diese an den kolonialisierten Völkern verübten, machten ihn bitter und wütend. Er idealisierte allerdings auch die Eingeborenen nicht. Er sah das Gute, das der Westen korrumpiert hatte, aber auch die schlechten Seiten dieser Kulturen. Letztlich fand er jedoch, es wäre viel besser gewesen, wir hätten sie in Ruhe gelassen.""

    Deutlich wird diese Haltung in den Illustrationen zu Twains Buch "Following the Equator”, "Reise um die Welt” von 1897. Unter dem Titel "Christliche Nächstenliebe” serviert da ein weißer Siedler einer Gruppe von Aborigines einen mit Arsen vergifteten Weihnachtspudding. Darunter stehen die Worte: "Die Liebe war dieselbe, die zivilisierte Weiße den Wilden gegenüber immer an den Tag legen. Bloß der Einsatz von Gift war ein kleiner Bruch mit der Tradition.”

    Anderswo küsst ein Hindu einer Kuh den Schwanz. Im Text darunter spekuliert Mark Twain darüber, wie hingebungsvoll die Gläubigen diesem Brauch wohl hudligen würden, wenn ihnen damit nicht der Schutz vor Hunger, sondern die Reinkarnation als Kuhhintern versprochen würde. Dazu Isaac Gerwitz:

    "Aber grundsätzlich lehnte er alle Glaubenssysteme ab, die über die Empirie, über das, was man mit den eigenen Augen sehen konnte, hinausgingen. Deshalb vertrat er selbst Darwin gegenüber die Haltung: Ja, so wird es wohl gewesen sein, aber jetzt wollen wir uns davon mal nicht zu sehr beeindrucken lassen. Er misstraute Enthusiasmus und –Ismen, im Namen derer Leute zu Bewegungen organisiert wurden. Er sah die Gefahr darin."

    Auch zum blinden Glauben an den Fortschritt ließ sich Mark Twain nie hinreißen - so sehr er sich für die technologischen Neuerungen seiner Zeit interessierte und so begeistert er von vielem war. Isaac Gerwitz:

    "Er stand nicht der Technologie an sich zwiespältig gegenüber. Er bezweifelte vielmehr, dass die Technologie dazu benutzt werden würde, die Gesellschaftsordnung in einer Weise zu revolutionieren, die soziale Gerechtigkeit mit sich brachte"

    …so Isaac Gerwitz.

    Mark Twain traute dem Menschen nicht über den Weg. Oder genauer: Er hielt die Dummheit und die Gier des Menschen für unerschöpflich. Die Folgen dieser verhängnisvollen Kombination hatte er zu oft und an zu vielen verschiedenen Orten beobachtet, um nicht zwangsläufig zum Pessimisten zu werden.

    In beißenden Humor verpackt äußerte Mark Twain diese Weltsicht in "Ein Yankee am Hofe des König Artus”.
    In der Ausstellung ist eine Seite aus dem Manuskript dieser Satire zu sehen, die eine Passage enthält, die Twain vermutlich auf das Drängen seiner Frau hin nicht in die Druckfassung aufnahm. Darin erwartet der Held vor Gericht nackt sein Todesurteil und erklärt, weshalb ihm das heuchlerisch-verschämte Getuschel der anwesenden Damen ob seines fehlenden Feigenblatts herzlich egal ist.

    Keine Ausstellung über einen Schriftsteller wäre vollständig ohne die Brille und das Schreibwerkzeug des Betreffenden. Mark Twains Sekretärin zufolge machte sich ihr Chef nie die Mühe, einen Augenarzt aufzusuchen, sondern beschränkte sich auf die Dienste eines Optikers in der Nachbarschaft, der ihm seine Nickelbrille einmal im Jahr anpasste.

    Seine Schreibarbeit verrichtete Twain mit einem Füllfederhalter der Marke Conklin. Diese Firma durfte in ihren Anzeigen den Meister höchstselbst zitieren. Der empfahl das Conklin-Produkt unter anderem mit dem Argument, es rolle nie vom Tisch, und somit erspare es einem viel Fluchen.

    Nicht unter den Exponaten befinden sich Auszüge aus Mark Twains Autobiografie. Der Autor hatte nämlich verfügt, dass diese erst hundert Jahre nach seinem Tod veröffentlicht werden dürfen. Daran hat man sich gehalten, jedenfalls insofern, als die einzige bisher vorliegende Ausgabe eine stark gekürzte war. Der erste Band der ungekürzten Fassung erscheint dieser Tage auf Englisch und steht in den USA bereits seit Wochen auf den Vorverkaufsbestsellerlisten der Buchhändler. Wer weiß, vielleicht ahnt ja das Publikum, dass jemand, der sich literarische Wunderwichtel wie Huckleberry Finn und Tom Sawyer ausdenken konnte, noch manche andere Überraschung auf Lager haben muss.

    Erst- und Neuübersetzungen zum Mark Twain-Jubliäum:

    Mark Twain: Tom Sawyer & Huckleberry Finn. Herausgegeben und aus dem Amerikanischen neu übersetzt von Andreas Nohl. Carl Hanser Verlag, München 2010. 712 Seiten. 34.90 Euro/49.90 Franken.

    Mark Twain: Knallkopf Wilson. Roman. Aus dem Amerikanischen von Reinhild Böhnke. Nachwort von Manfred Pfister. Manesse Verlag, München 2010. 320 Seiten.19.95 Euro/33.90 Franken.

    Mark Twain: Post aus Hawaii. Herausgegeben und aus dem Amerikanischen übersetzt von Alexander Pechmann. Mare Verlag, Hamburg 2010. 360 Seiten. 24 Euro/41.50 Franken.