Pünktlich um 12:30 Uhr beginnt die Messe. Das lange Kirchenschiff der Madeleine ist voller als Weihnachten oder Ostern: Gut 1.000 Frauen und Männer erheben sich von den Holzstühlen. Johnny-Hallyday-Fans mit dem Konterfei ihres Idols auf der T-Shirt-Brust, viele Männer mit grauer Mähne, Sonnenbrille und in rockiger Lederkluft. Sie haken ihre Nachbarn unter oder strecken die Arme in Luft, wiegen sich mit leuchtenden Augen zur Musik. - Die Melodie eines Johnny-Hallyday-Schlagers, gesungen von einem Kirchentenor in schwarzem Anzug. Der hebt die Hand. Das Zeichen, dass gleich der Refrain kommt, alle mitsingen dürfen.
Die Messbesucher singen nicht nur Johnny, sie können auch sehen: Auf dem weißen Marmorboden des Presbyteriums stehen gleich mehrere Johnnys. Großformatige Portraits links und rechts vom Altar aufgestellt: Der Schlagerstar mit blonder Haartolle auf einer Halley-Davidson, mit romantischem Blick in enger Lederweste, seine muskulösen tätowierten Arme vor der Brust gekreuzt, und ein in Öl gemalter Glitter-Johnny auf der Bühne.
Monatliches Gedenk-Spektakel
Die Fans haben die Sänger-Ikone auf Altar-Höhe platziert, mit der Erlaubnis von Bruno Horaist – dem Priester der Madeleine-Kirche.
"Sie machen das ohne jede Provokation, weil sie sich hier wie zu zuhause fühlen. Umso besser. Ich muss nur manchmal eingreifen, wenn sie Johnnys Bilder direkt auf den Altar stellen."
Der hochgewachsene Mittfünfziger, den hier jeder Père Horaist nennt, hat die monatliche Johnny-Gedenkmesse erfunden.
"Die Idee ist mir gekommen, als ich die immense Menschenmenge gesehen habe, die am Tag Johnnys Beerdigung vor der Kirche stand. Ich habe mir gesagt: Das ist ungerecht, dass all diese Menschen von der Beerdigungsmesse ausgeschlossen sind, weil es keinen Platz mehr gibt. Mir schien es am einfachsten, sie danach einzuladen. Und wenn man Priester ist, kann man eigentlich nur zur Messe einladen. Also habe ich für sie eine monatliche Messe eingeführt. Papst Franziskus hat uns gesagt, dass wir an die Peripherie gehen müssen. Hier kommt die Peripherie zu uns, wir müssen sie nicht erst holen."
"Das tröstet mich"
"Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes", beginnt der Priester in seinem purpurfarbenen Messgewand. "Amen", hallt es aus dem Kirchenschiff zurück. Die überschwänglichen Johnny-Fans werden still. Andächtig lauschen sie den Worten des Priesters und knien nieder oder stehen, wenn die Liturgie es vorsieht.
Brigitte, Mitte 50, kommt, so oft sie kann, zur Johnny-Messe in die Madeleine.
"Ich nehme mir auch frei, wenn die Messe in die Arbeitszeit fällt. Bei der richtigen Beerdigungsmesse konnte ich leider nicht dabei sein. Aber als ich dann hier zum ersten Mal zur Gedenkmesse hereingekommen bin, da habe ich richtig Gänsehaut gekriegt. - Als wäre Johnny noch präsent, als wäre er noch immer hier in der Kirche."
Sie kommt, um Johnny zu spüren, aber auch um ihn zu ehren, sagt die Kindergärtnerin.
"Das sind wir ihm schuldig. Er hat uns so viel gegeben. Seine Musik, seine Konzerte und Shows. Er hat uns zum Träumen gebracht. Das hier ist unsere Hommage an Johnny, um ihn weiter leben zu lassen. Sehr wichtig ist mir auch, die anderen Fans zu treffen. Das tröstet mich, es ist jedes Mal sehr bewegend."
Und kommt sie auch für den Gottesdienst? Brigitte zieht ihr T-Shirt glatt, auf dem ein braungebrannter Johnny mit stechend blauen Augen prangt. Sie lächelt verlegen.
Sie wolle mir nichts vormachen, es geht ihr um Johnny, nicht um die Messe.
Der französische Elvis
Jacques - abgeschabte Lederjacke, das weiß-graue Haar mit Gel nach hinten frisiert – zeigt auf eine Stelle rechts vor der ersten Sitzreihe.
"Da hat Johnny in seinem weißen Sarg gelegen", sagt er ehrfürchtig. "Johnny ist für uns Franzosen, was Elvis für die Amerikaner war - vor allem für Leute wie mich, die in den Nachkriegsjahren aufgewachsen sind, Johnnys Generation."
Jacques war seit Jahrzehnten nicht in der Kirche, aber seit Johnnys Tod kommt er jeden Monat zur Johnny-Messe, hat sie nicht ein einmal ausgelassen. Er nimmt auch jedes Mal das Abendmahl. Er ist katholisch, sagt er, glaubt auch, dass sein Star ein Geschenk des Himmels war.
"Jeder hält es mit der Religion, wie er will. Aber Johnny stand unter einem besonderen Stern. Auch wenn's bei ihm auf und ab ging, er hatte ein sehr erfülltes Leben. Für mich ist das ist eine Gabe Gottes. Johnny ist nicht Gott, Gott hat Johnny gemacht."
"Sie fühlen sich von ihrem Sänger alleingelassen"
"Die Fans leiden noch sehr. Sie fühlen sich von ihrem Sänger alleingelassen, der ihr Idol war. Ich versuche ihnen zu helfen, sage ihnen, dass Johnny sicher sehr wichtig für sie war. Aber dass die Welt nicht stehen bleibt, weil er gestorben ist. Dass das Leben weitergeht, und dass sie jetzt die Erinnerung an ihn wachhalten können", sagt Priester Horaist.
Dass der populäre Sänger über Jahrzehnte die Skandalseiten der Regenbogenpresse gefüllt, die französische Variante des 'Sex, Drugs and Rock'n‘Roll' verkörpert hat, ist für Priester Horaist kein Problem. Auch wenn er hin und wieder Beschwerdebriefe bekommt, dass er die große Madeleine-Kirche mit den Johnny-Spektakelmessen entweihe. Der Priester hat Rückendeckung von der Diözese. Und schließlich habe Johnny auch eine katholische Ader gehabt, einen tieferen Sinn fürs Religiöse.
Vatikan drohte mit Exkommunikation
"Er hat gesagt: Ich bin als Katholik geboren und werde auch als Katholik sterben. Er hat auch ein Kreuz um den Hals getragen. Seine Liedertexte sind voller religiöser Andeutungen: Er singt von Marie, von Jesus, Vergebung und der Liebe."
Eine etwas eigenwillige Interpretation seiner klassischen Liebeslieder. Hatte der Vatikan dem Sänger in den 70er-Jahren nicht auch mit Exkommunikation gedroht, weil er in einem banalen Schlager Jesus als Hippie besungen hatte? Der Priester schmunzelt. Messetauglich seien Johnnys Texte natürlich nicht. Die seien doch ein bisschen zu roh. In der Messe singe man schließlich nicht das gleiche, wie auf einer Konzertbühne.
Fans haben noch "katholische Reflexe"
Die Fans nehmen es mit Gelassenheit: "Der Herr, mein Gott" oder "Herr, zeig mir deinen Weg" singen sie bereitwillig die neuen Messe kompatiblen Texte, die alle aus der Feder eines Priesters stammen. Man hat trotzdem etwas davon, sind sie sich einig. Es sei ja schon ein Wunder, dass Priester Horaist ihnen die Türen seiner Kirche öffnet, sie so großzügig empfängt.
Wie lange das Wunder anhält, die Pariser Madeleine-Kirche sich einmal im Monat vor Messebesuchern kaum retten kann, fragt sich Père Horaist. Aber er ist guter Hoffnung, dass es dauert.
"Die meisten Johnny-Fans gehören noch zu der Generation der Franzosen, die katholisch getauft wurden und Katechismus-Unterricht hatten. Sie haben noch die katholischen Reflexe. Wenn sie auch glauben, dass sie sich von der Kirche entfernt haben - sie hören zu, sind offen für die Botschaft des Evangelium und was ich ihnen sagen kann."
Bevor sie der Priester aus der Messe entlässt, dürfen sie noch sie noch einen letzten Johnny-Fans singen - diesmal mit dem Original-Refrain-Text. "Que je t'aime!" - Wie ich dich liebe, schmettern sie aus vollen Lungen. An wen sie dabei denken?