Der 13. Februar 1945 war ein Faschingsdienstag. Der Krieg war fast zu Ende und die Hoffnung der Menschen im unversehrten Dresden war groß, dass es nicht mehr zu einer Bombardierung kommen würde, erinnert sich Nora Lang.
"An diesem Tag, wir hatten keine Schule mehr, es gab keine Kohlen, und an diesem Tag liefen Kinder auch kostümiert durch die Straßen."
Im Februar 1945 ist Nora Lang 13 Jahre alt. Mit Vater, Mutter und ihrem fünfjährigen Bruder lebt sie in der Dresdner Johannstadt. Der erste Angriff beginnt um 21:45 Uhr, es gibt keinen Voralarm:
"Und ich erinnere mich, ich war schon angezogen, und meine Mutter musste ja noch den kleinen Bruder aus dem Bett holen, und wie ich da stand und nach meiner Mutter gerufen habe. Ich sah am Himmel diese Markierungen, wie man sagt, "Christbäume" und also: soll ich jetzt die Treppe runterrennen oder auf meine Mutter warten? "
Auf den ersten Angriff folgt kurz darauf ein zweiter, noch schwerer als der Erste. Viele, die zu diesem Zeitpunkt die schützenden Keller verlassen haben, kommen in der zweiten Angriffswelle um.
"Das nahm kein Ende, ich habe so gedacht, so muss ungefähr der Weltuntergang sein. Hilft uns denn keiner?" Da müsste es doch Leute geben, die einem helfen müssen! Es half aber keiner. "
Der Streit um die Anzahl der Opfer
Wie viele Menschen damals starben bleibt lange unklar. Erst seit eine Historiker-Kommission im Auftrag der Stadt Dresden ihre wissenschaftlich-fundierte Studie vorgelegt hat, gilt die Zahl von etwa 25.000 Opfern als gesichert. Sie liegt bei etwa 10 Prozent der alten Zahlen des Roten Kreuzes von 1948, mit 275.000 Opfern. In der DDR hieß die offizielle Zahl 35.000. Ein Streit um Zahlen, der seit Jahrzehnten in der Debatte um den "Mythos" einer "unschuldigen" Stadt Dresden gerade von rechtsgerichteten Kräften missbraucht wird. Auch jetzt, zum 75. Jahrestag.
Da zweifelt Tino Chrupalla, der AfD-Bundesparteichef und Gauland-Nachfolger öffentlich die Forschungsergebnisse der Historiker-Kommission an und versucht die Diskussion neu zu entfachen. Für den Historiker Robert Mund am Dresdner Stadtmuseum ist das keine Überraschung:
"Das was in Dresden anders ist, oder warum sich in Dresden so ein Mythos herauskristallisiert hat, ist, dass dieses Thema, dieses Datum , diese Bombardierung politisch instrumentalisiert worden sind und zwar von Anfang an, also sowohl durch die NS-Propaganda, wo man sofort mit völlig übertriebenen Opferzahlen argumentiert hat, als auch zu DDR-Zeiten, als man diese Argumentation der Nationalsozialisten unter umgekehrten Vorzeichen fortgeführt hat, also da waren es die Imperialisten, die Dresden bombardiert haben, um damit dem Sozialismus zu schaden."
Dresden war Gauhauptstadt mit zahlreichen Rüstungsbetrieben
Doch von einer unschuldigen Stadt kann keine Rede sein. Denn die Kulturhauptstadt Dresden war auch so genannte Gauhauptstadt und somit Befehlsstelle des nationalsozialistischen Regimes in Sachsen. Außerdem gab es viele kriegswichtige Rüstungsbetriebe in der Stadt. Unliebsame Bücher wurden bereits im März 33 verbrannt, die Diskriminierung der jüdischen Dresdner setzte unmittelbar nach der Machtergreifung ein.
Fakten, die viele in der rechtsgerichteten Szene nicht interessieren wollen. 2009 kommt es in Dresden anlässlich des Gedenkens an diesem Tag zu einem der größten Neo-Nazi-Aufmärsche Europas. Tausende Demonstranten sind mit Bussen angereist. Linke und rechte Demonstranten geraten aneinander, Hundertschaften der Bereitschafts-Polizei stehen dazwischen. Aus dieser Erfahrung haben engagierte Dresdner Bürger gemeinsam mit der Stadt viele Ideen entwickelt, um friedlich an die Zerstörung von 1945 zu erinnern.
Gedenken mit Menschenkette und Zeitzeugengesprächen
Weiße Rosen zum Gedenken, Lichterketten, Diskussionsveranstaltungen, Zeitzeugengespräche, Vorträge und schließlich dann seit 10 Jahren auch eine Menschenkette, der sich alljährlich Tausende anschließen, um damit ein Zeichen für Frieden und Versöhnung zu setzen. Angemeldet hat sie in diesem Jahr erneut der Rektor der TU Dresden Hans Müller-Steinhagen:
"Die Menschenkette ist ja nicht nur das unbedingt notwendige Gedenken an die Schrecken des Krieges sondern gleichzeitig eine weithin sichtbare Positionierung der Dresdner Stadtgesellschaft für Friedfertigkeit , Toleranz und gegen reaktionäre und radikale Kräfte."
Im Stadtmuseum Dresden verfolgen Schüler einer 10. Klasse Gymnasium gebannt und mucksmäuschenstill die Schilderungen von Nora Lang und der Historikerin Erika Eschebach. Sie liest aus einem Brief ihrer Großmutter vor, geschrieben drei Tage nach der Bombennacht:
"Dresden ist gewesen! In der Altstadt steht kein einziges Haus mehr.
Eine Stadt voll Tod, Grauen und Verderben."
Kaum einer dieser Jugendlichen - 15 und 16 Jahre alt - hat sich bislang näher mit den Vorgängen jener Bombennacht im Februar 1945 beschäftigt.
"Was wusstest Du denn vorher, bevor Du heute diese Berichte gehört hast, über diese Nacht?"
"So gut wie gar nichts . Einmal eine Erzählung von meinem Großvater und sonst nichts!"
"Und wie ist jetzt, nachdem Du das so gehört hast?"
"Das kann ich ihnen jetzt noch nicht sagen, das kann ich Ihnen morgen sagen, wenn ich das verarbeitet habe."
Nora Lang ist jetzt Ende 80 und versucht seit vielen Jahren ihre Erlebnisse an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben. Sie ist beunruhigt über das Erstarken der AfD, ganz besonders in diesen Tagen, nach dem Debakel von Thüringen. Die engagierte Zeitzeugin hat an diesem Tag eine besondere Botschaft für die 15- und 16-jährigen Schülerinnen und Schüler.
"Macht irgendwas! Nutzt die Demokratie, die Euch gegeben ist! Es ist natürlich ein sehr schönes Leben und dann denkt man manchmal nicht an die Verantwortung, die eigentlich jeder von uns trägt! Wir müssen immer wieder darüber sprechen!"