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Gedenken in Frankreich
"La Grande Guerre" ist überall präsent

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande treffen sich heute in Verdun, wo vor 100 Jahren Hunderttausende Deutsche und Franzosen ihr Leben verloren: "La Grande Guerre", der "Große Krieg" ist im historischen Bewusstsein der Franzosen immer noch sehr präsent – und so gibt es derzeit viele Sonderausstellungen.

Von Kathrin Hondl | 29.05.2016
    Der Friedhof mit Gedenkstätte in Verdun-Douaumont.
    Der Friedhof mit Gedenkstätte in Verdun-Douaumont: Kollektives Gedenken und Trauer um die Toten des Ersten Weltkriegs sind noch überall in Frankreich präsent. (Romain Fellens, dpa picture-alliance)
    Die Stimmung steigt im Musée de la Grande Guerre in Meaux, als einer der wissenschaftlichen Beiräte, ein ehemaliger Colonel der französischen Armee, das alte Soldatenlied vom Artilleristen aus Metz anstimmt.
    "Eine Milliarde Granaten – Millionen Menschen" heißt die neue Sonderausstellung im Museum des Ersten Weltkriegs. Thema ist die entscheidende Rolle der Artillerie in der "Grande Guerre", dem "Großen Krieg", der in Frankreich auch deshalb so heißt, weil er gewonnen und so auch zu einem Symbol nationaler Größe, Einheit und Widerstandskraft wurde. Bis heute.
    "Frankreich stellte sich einheitlich, mit Erfindergeist und Mut, um seine Souveränität zu bewahren", schreibt im aktuellen Ausstellungskatalog der Bürgermeister von Meaux, Jean-François Copé, einer der zahlreichen Vorwahl-Kandidaten der Oppositionspartei "Les Républicains" für die französische Präsidentschaftswahl 2017.
    Doch das Museum in Meaux versteht sich als ein europäisches Museum, sagt, wenn auch etwas zögerlich, sein Direktor Michel Rouger:
    "Es ist kein Museum, das Pazifismus predigt, aber es konstatiert, dass die Zeit gekommen ist, etwas anderes aufzubauen und zu versuchen, miteinander zu leben. Wir sind also eher ein europäisches Museum und wir wünschen uns, dass die Lehren gezogen werden aus diesem Krieg. Und dass man sich sagt: Nie wieder!"
    Sprenggranaten, Leuchtgranaten, Betongranaten. Kanonen, Kaliber, Munitionen: Kuratorin Johanne Berlemont führt durch die Artillerieausstellung im Musée de la Grande Guerre und schnell wird klar: Im Fokus steht hier der technische Fortschritt, die Entwicklung moderner Waffen, ihre industrielle Produktion und ihre enorme Zerstörungskraft. Die pausenlosen Artilleriefeuer des "Großen Krieges" töteten, verletzten, verstümmelten Millionen.
    Vor allem die französische Erinnerung wird sichtbar
    Kollektives Gedenken und Trauer um die Toten des Ersten Weltkriegs sind noch überall in Frankreich präsent: "Monuments aux Morts", errichtet in den Jahren 1919 bis '21, erinnern in jeder Gemeinde, in jedem Dorf an die gefallenen Franzosen. Ihnen ist jetzt eine Fotoausstellung gewidmet im Pariser Panthéon, der nationalen Ruhmeshalle: "36.000 Gemeinden, 36.000 Wundmale" heißt sie – ein gigantisches Projekt, initiiert und geleitet von dem Fotografen und Kurator François Hébel.
    "Wir haben alle 36.000 Bürgermeister Frankreichs gebeten, das Kriegerdenkmal in ihrem Ort zu fotografieren. Bisher haben schon 15.000 Fotos geschickt."
    Und so wird jetzt eine Flut von Kriegerdenkmalbildern aus ganz Frankreich an die Ausstellungswände im Pantheon projiziert. Künstlerisch sind sie fast alle uninteressant. Meist sind es Obelisken, oft auch Statuen, die die "Poilus", die französischen Frontkämpfer, darstellen. Manche der "Monuments aux morts" ziert stolz ein gallischer Hahn, auch Skulpturen trauernder Frauenfiguren sind oft zu sehen auf den Fotos aus Orten, die Saint-Germain-d'Anxure, Termignon oder Plouhinec heißen. Selbst er kenne längst nicht alle, sagt François Hébel.
    "Butry sur Oise, Eth in Nordfrankreich – noch nie gehört. Aber alle diese Dörfer, die keiner kennt, alle, alle haben sie junge Männer im Ersten Weltkrieg verloren."
    Die ganze Absurdität des Ersten Weltkriegs, der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, zeigt sich in dieser Bilderflut im Pariser Panthéon. Natürlich ist es vor allem die französische, die nationale Erinnerung, die sichtbar wird. Umso mehr aber wird hier auch begreiflich, was für einen grundlegenden Wandel die europäische Erinnerungskultur 100 Jahre nach dem "Großen Krieg" durchgemacht hat. Und dass es in diesem Europa tatsächlich sehr viel bedeutet, wenn Franzosen und Deutsche jetzt in Verdun gemeinsam an die Gräuel des Ersten Weltkriegs erinnern.
    "Wenn man an die aktuelle Brexit-Debatte denkt", meint François Hébel, "muss man daran erinnern, dass es Ideale gibt, die nicht aus der Luft gegriffen sind. Die Politiker im 20. Jahrhundert mussten Berge versetzen für Europa. Und sie haben sie versetzt, weil es diesen Krieg gab. Daran muss man sich gelegentlich erinnern."