Die orange Abendsonne war noch nicht ganz untergegangen, über dem Gelände des alten Güterbahnhofs in Duisburg, als Peter Kuhlmann erstmals in sein Saxofon blies.
"Als wenn es vorgestern gewesen wäre"
Die Klänge hallten durch den langen, flachen Tunnel vor jener Rampe, auf der einst 21 Menschen starben. Auch der damals 25-jährige Christian Müller war darunter, sein Foto ist heute das oberste auf der Gedenkstätte, vor der - wie jedes Jahr um diese Zeit - seine Mutter Gabi steht.
"Ja, es ist, wie immer, ein ganz seltsames Gefühl."
Rund um den Jahrestag kommt die heute 60-jährige Friseurin aus Hamm hierhin, doch Trauer kennt keine Routine.
"Man lernt damit umzugehen, so mit dem Verlust und dass Christian auch nie wiederkommen wird, aber, wenn man überlegt: Es ist der achte Jahrestag, aber eigentlich ist es immer noch so, ja, als wenn es gerade vorgestern gewesen wäre. Ich meine, es verändert sich zwar viel gefühlsmäßig, ja, man sieht es jetzt auch alles klarer, weil die ersten drei Jahre ja, wenn ich dann hier war, ich habe überhaupt nichts mitbekommen oder nichts wahrgenommen und das hat sich schon verändert."
Um Müller herum fängt das Licht der ersten Kerzen in der einsetzenden Dämmerung an zu leuchten. Die sogenannte Nacht der 1000 Lichter, für die der Organisator allerdings 1.200 Kerzen besorgt hat, findet am Vorabend des Jahrestages an jener Rampe statt, an der einst das Unglück geschah - und ist für Müller besonders wichtig.
"Also, eigentlich ist der Abend für mich noch wichtiger wie der 24., weil so, morgen finde ich, ist das mehr so Showprogramm und hier ist alles ungezwungen. Man trifft Leute, man unterhält sich."
Ein Strafprozess als Achterbahnfahrt
Beispielsweise auch über den nun laufenden Strafprozess.
Der achte Jahrestag ist der erste, während dem das Gerichtsverfahren läuft - und auf dem auch wieder deutlich wird, welche juristische Achterbahnfahrt das Ganze in den letzten Jahren war.
"Der Prozess befindet sich aktuell mitten in der Beweisaufnahme zur sogenannten Planungsphase. Das Gericht vernimmt Zeugen zur Planung und Genehmigung der Loveparade 2010. Insgesamt hat das Gericht schon knapp 50 Verhandlungstage abgehalten und in dieser Zeit wurde eine ganze Reihe von Zeugen und Sachverständigen angehört, die zu der Planung und Genehmigung Auskunft geben können."
Sagt Matthias Breidenstein, Sprecher des Landgerichts Duisburg, vor dem der Prozess gegen insgesamt zehn Angeklagte läuft. Während der Prozess aufgrund der Größe, also der vielen Beteiligten, in den Düsseldorfer Messehallen stattfindet, sitzt Breidenstein in seinem Dienstzimmer in Duisburg, gut vier Kilometer von der Unglücksstelle entfernt. Man komme gut voran, so Breidenstein, die Beweisaufnahme der Planungsphase beispielsweise, soll bereits zwei Monate früher abgeschlossen werden. Aber:
"Eine Verhandlungsroutine kann sich nicht einstellen. Das Gericht muss jeden Zeugen neu minutiös vorbereiten, damit aus dem gesamten Inhalt der Akte alles dem Gericht bekannt ist und dem Zeugen vorgehalten werden kann und genauso ist es auch für alle anderen Verfahrensbeteiligten, sie müssen sich auf jeden Zeugen, der intensiv und den ganzen Tag lang befragt wird, neu einstellen."
In zwei Jahren droht die Verjährung
Im Juli 2020, also in fast exakt zwei Jahren, droht die absolute Verjährung. Fühlt sich der Jahrestag anders an, wenn nun - parallel das ganze Jahr über - die Erinnerungen durch die Prozesstage wachgehalten werden? Gabi Müller, an der Unglücksstelle, wiegt mit dem Kopf.
"Nee, eigentlich anders nicht. Aber man ist zorniger und wütender, weil, ja, weil bis jetzt hat der Prozess ja auch noch nichts hergegeben, zur Aufklärung hin. Keiner hat ja irgendwie an irgendetwas schuld, ne!"
Auch Müller wird heute wieder zu der Gedenkstätte kommen, wenn um 17 Uhr die offizielle Gedenkfeier stattfindet. Und anders als Vorabend die Saxofon-Klänge, werden dann wieder 21 Glockenschläge daran erinnern, dass auf dieser Rampe 21 Menschen in Duisburg starben - und zwar heute, vor nunmehr acht Jahren.