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Gedenkstätte Buchenwald
KZ-Überlebende mahnen zukünftige Generationen

Mehr als sieben Jahrzehnte nach der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald sind etwa 40 Überlebende noch einmal an den Ort des Schreckens zurückgekehrt. Um zukünftige Generationen an ihre Verantwortung zu erinnern, kamen sie zur Eröffnung der neuen Dauerausstellung - wohl die letzte Ausstellung, die gemeinsam mit Überlebenden entwickelt werden konnte.

Von Henry Bernhard |
    Karteifotos der Gestapo mit ungarischen Juden, zu sehen in der neuen Dauerausstellung "Buchenwald. Ausgrenzung und Gewalt 1937 bis 1945" in Buchenwald bei Weimar.
    Karteifotos der Gestapo mit ungarischen Juden, zu sehen in der neuen Dauerausstellung "Buchenwald. Ausgrenzung und Gewalt 1937 bis 1945" in Buchenwald bei Weimar. (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    "Jedem das Seine – gibt es ein schöneres und menschlicheres Versprechen als das, jeder und jedem Anerkennung und Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, niemanden zu benachteiligen, zu erniedrigen, keinem zu schaden, keinen zu verletzen, Menschen in ihrer Gleichheit und Unterschiedlichkeit, in ihrer Individualität und Besonderheit zu achten?"
    Mit diesen Worten leitete Volkhard Knigge, der Direktor der Ettersberg-Stiftung, die Eröffnung der neuen Dauerausstellung ein. Den Leitspruch "Jedem das Seine" hatte die SS einem alten römischen Rechtsgrundsatz entwendet, ihn daraufhin verdreht und pervertiert. "Jedem das Seine" ist auch der Leitgedanke der neuen Ausstellung.
    Ausstellung weist in Zukunft ohne Zeitzeugen
    Die alte, die 20 Jahre lang gezeigt worden war, ist im letzten Jahr geschlossen worden, weil es zu viele neue Erkenntnisse gab, weil eine Besuchergeneration herangewachsen ist, die oft nur wenig oder nichts über den Nationalsozialismus weiß. Und weil die neue Ausstellung in eine Zukunft ohne Zeitzeugen weist. Naftali Fürst, der Buchenwald und Auschwitz überlebt hat und 1945 als 12-Jähriger befreit wurde, erinnerte die zukünftigen Generationen an ihre Verantwortung:
    "Heute sind wir wieder Zeugen, dass Bösartigkeit, Rassismus, Antisemitismus und Hass ihr Haupt erheben. Wir sind die letzten Zeugen, die die Schoah überlebt haben; und ihr, nehmt auf euch die schwere Aufgabe, unsere Geschichte weiterzuerzählen."

    Die neue Ausstellung nimmt Buchenwald die Aura des Außerirdischen, Fremden, das jenseits des normalen Lebens stattgefunden und von dem zudem niemand gewusst habe. Oder wie es der Historiker Norbert Frei formulierte:
    Lagertor in der Gedenkstätte am KZ Buchenwald mit dem Spruch "Jedem das Seine"
    Den Leitspruch "Jedem das Seine" hatte die SS einem alten römischen Rechtsgrundsatz entwendet, ihn verdreht und pervertiert. Hier zu sehen am Lagertor in der Gedenkstätte am KZ Buchenwald. (imago / VIADATA)
    "Weimar profitierte von dem zusätzlichen Wirtschaftsaufkommen. Heute würde man sagen: Buchenwald war ein Standortfaktor für die gesamte Region."
    Ausstellung holt Konzentrationslager zurück in den Alltag
    Die Ausstellung unternimmt den Versuch, eine Aufteilung sichtbar werden zu lassen zwischen jenen, die zur "Volksgemeinschaft" gehörten und jenen, die nicht dazu gehörten. Für diese entstanden die KZs. Der schöne Schein des Nationalsozialismus als die Kehrseite des Terrors und der Vernichtung. Volkhard Knigge:
    "In diesem Versprechen einer völkisch-ethno-rassistisch-strukturierten Harmonie, in dem Versprechen einer vergifteten Harmonie ist natürlich einer der zentralen Gründe gegeben für die permanente Gewaltproduktion im Nationalsozialismus."

    Dieser Dichotomie von Ausgrenzung, Ausbeutung und Vernichtung auf der einen und Nutznießen und Wegschauen auf der anderen Seite ordnet sich die ganze Ausstellung unter. Sie holt das "Raumschiff" Konzentrationslager zurück in den Alltag. So erkennen Besucher Weimarer Firmen als Lieferanten, die teilweise heute noch existieren.
    Volkhard Knigge, Direktor der Stiftung Buchenwald und Mittelbau-Dora, in der neuen Dauerausstellung "Buchenwald. Ausgrenzung und Gewalt 1937 bis 1945" in Buchenwald bei Weimar
    Volkhard Knigge, Direktor der Stiftung Buchenwald und Mittelbau-Dora, in der neuen Dauerausstellung "Buchenwald. Ausgrenzung und Gewalt 1937 bis 1945" (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    "Als eine ewige Mahnung soll sie stehen und dableiben"
    Man sieht etwa ein Spinett, einen Schreibtisch, einen Schrank – Möbel, die Häftlinge in der Lagerschreinerei als Kopien der Originale im Schillerhaus gefertigt haben, um diese vor dem Bombenkrieg zu schützen. Gleich neben diesen "Schillermöbeln" steht ein riesiger, mit Zink ausgeschlagener Behälter zum Transport für die Leichen der 8.000 in Buchenwald ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen. "Schillermöbel" und Leichenbehälter entstammen derselben Schreinerei.
    Der Ausstellung gelingt es sehr gut, die Geschichte des Lagers aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Sie erklärt sinnlich berührend und sachlich dokumentierend zugleich, wozu KZs dienten und was sie für die Insassen, aber auch für die Umwelt bedeuteten. Diese Ausstellung ist zudem wohl die letzte in Buchenwald, die noch mit den beratenden Stimmen von Überlebenden zustande kam, etwa der der ungarischen Jüdin Èva Fahidi-Pusztai, die heute zur Eröffnung sprach:
    "Und gestern bin ich zur Dauerausstellung hinaufgegangen und da habe ich meine Worte gefunden, als Zitat. Etwas Wunderbares! Dass ich die Geschichte meiner Familie und mein Familienbild dort gesehen habe, dass, solange die Dauerausstellung stehen wird, die ganze Welt wissen wird, wie wir in Debrecen gelebt haben! Dass ich eine kleine Schwester gehabt habe, die Gilike hieß. Die Dauerausstellung gehört mir! Sie ist meine Dauerausstellung! Als eine ewige Mahnung soll sie stehen und dableiben."