Ein Waggon mit Baumstämmen wartet auf der Bahnstation von Sobibor. Personenverkehr gibt es schon lange nicht mehr, hier im dünn besiedelten Osten Polens unweit der Ukraine und Weißrusslands. Hinter dem schwarz-weißen Stationsschild - polnisch: Sobibór - ein gelbes Holzhaus, das alte Bahnhofsgebäude, davor, zum Wald hin, jenes Nebengleis, auf das die Deutsche Reichsbahn 1942 und 1943 Züge aus ganz Europa dirigierte. Es war die Endstation für bis zu 250.000 Juden und Roma. 30 SS-Leute und ihre rund 100 Helfer trieben sie von der Rampe direkt in die Gaskammern. Sobibor diente - anders als Auschwitz, das auch Arbeits- und Konzentrationslager war - ausschließlich der Vernichtung. Nach einem bewaffneten Häftlingsaufstand samt Massenflucht am 14. Oktober 1943 ebneten die Deutschen das Lager ein, forsteten das Terrain auf. Alle Spuren sollten verschwinden.
"Das ist ja schon eine sehr große Diskrepanz, die man da vorfindet an diesen Orten, an denen es keine materiellen Spuren der Lager mehr gibt, weil die Nazis die ja alle zerstört haben", so Katrin Stoll, Holocaust-Forscherin am Deutschen Historischen Institut Warschau. "Also diese Diskrepanz zwischen der Monstrosität dessen, was an diesen Orten geschah, und dem Nichts, der Stille, der Ruhe, der fast schon Friedfertigkeit, das ist sehr frappierend."
Im Wald von Sobibor steht seit den 1960er Jahren ein riesiger runder Betonbehälter. Es ist das Mausoleum mit der Asche der Opfer. Im Augenblick sind Teile des Geländes für Ausgrabungen abgesperrt. Archäologen haben Reste der Gaskammern zu Tage gefördert.
"Angemessen, wenn auch Deutschland etwas beisteuern würde"
"Wir müssen diesen Ort erhalten und irgendwie funktionieren. Denn zurzeit kommen über 27.000 Menschen im Jahr. Als ich hier mit der Arbeit begann, 1996, waren es nur 2000. Man muss berücksichtigen, dass die Menschen nicht zufällig kommen, denn es gibt hier keine Zugverbindungen, keine Autobusse. Der Ort liegt ganz abseits, anders als Majdanek oder Auschwitz." Krzysztof Skwirowski, Leiter des Erinnerungsorts Sobibor, residiert derzeit mit drei weiteren Mitarbeitern in Containern. Für den Neubau der Gedenkstätte reicht das Budget des polnischen Kulturministeriums keineswegs. Israel, aber auch die Slowakei und die Niederlande engagieren sich finanziell. Die Deutschen seien bislang nicht beteiligt, merkt Skwirowski nicht ohne Bedauern an: "Meiner bescheidenen Meinung nach wäre es angemessen, wenn auch der deutsche Staat etwas beisteuern würde."
Doch mit einem deutschen Beitrag gibt es seit Jahren Probleme. Der Sobibor-Überlebende Philip Bialowitz schrieb Bundestagspräsident Lammert an und blieb ohne Antwort. Deutsche Diplomaten beteuern auf Anfrage die Hilfsbereitschaft der Bundesrepublik. Konkrete Vereinbarungen gibt es aber bis heute nicht. Schlimmer: Die damalige Staatsministerin im Auswärtigen Amt Cornelia Pieper lehnte 2013 sogar eine finanzielle Beteiligung ab. Es seien keine Juden aus Deutschland in Sobibor zu Tode gekommen, so die Begründung. Abstrus und falsch: In Wahrheit waren es wohl um die 20.000 Opfer aus Deutschland. "Deutschland stellt sich oft und gerne als Vergangenheitsbewältigungsweltmeister dar und wird von Dritten als solcher gesehen, aber wenn man genauer hinschaut, werden doch schwerwiegende Versäumnisse sichtbar. Dazu gehört auch die fehlende Beschäftigung mit der Geschichte und Nachgeschichte der Vernichtungslager", meint die Holocaust-Forscherin Katrin Stoll.
120 Kilometer südlich von Sobibor liegt Bełżec. Bereits von der Landstraße aus sieht man das ehemalige Vernichtungslager. In nur zehn Monaten ermordete eine kleine Mannschaft hier bis zu einer halben Million Juden. Kurz nach der Jahrtausendwende hat Polen in Kooperation mit dem Holocaust Memorial Museum Washington eine Gedenkstätte samt Museum errichtet. Dabei wurden große Flächen des Lagers, darunter Massengräber mit einer Schicht von Stein-Schlacke-Brocken überdeckt. Dort hindurch führt eine Schneise mit bedrohlich ansteigenden Seitenwänden für die Besucher.
Zeit, Entscheidungen zu treffen
Ein paar Hundert Meter vom eigentlichen Lager entfernt, auf der anderen Seite der Landstraße, steht ein altes Bauernhaus. Hier hatte sich der erste SS-Kommandant von Bełżec - zugleich Inspekteur der Lager Sobibor und Treblinka - Christian Wirth einquartiert.
Das Haus steht leer, im Garten scharren Hühner der Nachbarn. Andrzej Adamek, Gemeindevorsteher von Bełżec, zwängt sich durch stachlige Sträucher. "Das Haus ist in einem miserablen Zustand. Man braucht viel Geld, um es herzurichten..."
Das Haus steht leer, im Garten scharren Hühner der Nachbarn. Andrzej Adamek, Gemeindevorsteher von Bełżec, zwängt sich durch stachlige Sträucher. "Das Haus ist in einem miserablen Zustand. Man braucht viel Geld, um es herzurichten..."
250.000 Euro wären wohl nötig. Vor kurzem hat der frühere Besitzer, die polnische Eisenbahn, das Haus dem Warschauer Kulturministerium zur Verfügung gestellt. Das Bildungswerk "Stanisław Hantz" würde hier gern mit Partnern aus Polen und den Niederlanden eine internationale Begegnungsstätte einrichten. Dabei böte es sich an, die Nachbarn aus der Ukraine einzubeziehen. Das Wissen über den Holocaust ist dort immer noch gering, die eigene Beteiligung wird kaum diskutiert.
Bełżec hat kein Geld. Gemeindevorsteher Andrzej Adamek befürwortet das Projekt und hofft auf deutsches Engagement. "Das Vernichtungslager erdrückt unsere Ortschaft. Wenn man von Bełżec spricht, denken drei Viertel aller Menschen an das Lager. Wenn die Deutschen hier etwas tun würden, dann hätte das, wie ich glaube, eine sehr gute Resonanz in der Bevölkerung."
Bełżec hat kein Geld. Gemeindevorsteher Andrzej Adamek befürwortet das Projekt und hofft auf deutsches Engagement. "Das Vernichtungslager erdrückt unsere Ortschaft. Wenn man von Bełżec spricht, denken drei Viertel aller Menschen an das Lager. Wenn die Deutschen hier etwas tun würden, dann hätte das, wie ich glaube, eine sehr gute Resonanz in der Bevölkerung."
Immerhin: Der Bundeshaushalt 2015 sieht zwei Millionen Euro für die Förderung von Projekten zur Holocaust-Erinnerung vor. Ob und wohin sie fließen, ist derzeit aber unklar. Es wird Zeit, Entscheidungen zu treffen.