Seit Tagen wird heftig über einen Text von Jan Böhmermann diskutiert, den er selbst als Schmähkritik bezeichnet. Es geht um rechtliche Fragen und moralische, es geht um die Rolle der Medien und die Grenzen der Satire. Und Böhmermann hat internationale Verwicklungen ausgelöst, den Zorn der Türkei auf Deutschland gelenkt und die Bundesregierung in eine heikle Situation gebracht.
Ausführliche Berichterstattung
Über all das berichtet der Deutschlandfunk ausführlich und wird es auch weiter tun: in den Nachrichten und in den Presseschauen, mit Interviews und Analysen, mit Beiträgen unserer Korrespondenten aus dem In- und Ausland. Diese Berichterstattung möchten wir für Sie hier zusammenfassen – und wir hatten uns entschlossen, das umstrittene Video zu dokumentieren, was allerdings inzwischen nicht mehr möglich ist. Es bleibt die Abschrift, die Ihnen auch den Kontext der umstrittenen Passagen vermittelt.
Die Dokumentation soll Ihre Meinungsbildung ermöglichen
Unsere Entscheidung ist Ergebnis einer journalistischen Abwägung: Die öffentliche Diskussion konzentriert sich zu stark auf einige Sätze, wenn nicht sogar auf ein paar Wörter. Die Diskussion vernachlässigt den Kontext wie etwa die langen Ausführungen Böhmermanns zum Wesen von Satire und Schmähkritik, seine Aussage, dass er etwas an sich Verbotenes vorführen will in Abgrenzung zur Satire. Auch das sollen Sie also kennen, um die Diskussion beurteilen zu können und um sich ihre eigene Meinung zu bilden. Das wiederum ist immer das Ziel unserer journalistischen Arbeit.
Böhmermann wendet sich im Gespräch mit seinem Partner Kabelka zunächst an den türkischen Staatschef und beginnt eine Erörterung von Kunstfreiheit einerseits und nicht-erlaubter Schmähung andererseits:
Böhmermann: Herr Erdogan, es gibt Fälle, wo man auch in Deutschland, in Mitteleuropa Sachen macht, die nicht erlaubt sind. Also: Es gibt Kunstfreiheit – das eine ist Satire und Kunst und Spaß - das ist erlaubt. Und es gibt das andere, wie heißt es?
Kabelka: Schmähkritik.
Böhmermann: Schmähkritik. Das ist ein juristischer Ausdruck, also: Was ist Schmähkritik?
Kabelka: Wenn du Leute diffamierst. Wenn du einfach nur so untenrum argumentierst, ne? Wenn du die beschimpfst und wirklich nur bei privaten Sachen, die die ausmachen, herabsetzt.
Böhmermann: Herabwürdigen. Und das ist in Deutschland auch nicht erlaubt?
Kabelka: Das ist Schmähkritik, ja.
Böhmermann: Haben Sie das verstanden, Herr Erdogan?
Kabelka: Das kann bestraft werden.
Das Gedicht, die "Schmähkritik", wird dann als Beispiel angeführt und vorgetragen. Nach dem Gedicht geht die dialogische Erörterung weiter:
Böhmermann: Dankeschön. Also, das ist jetzt 'ne Geschichte, was könnte da jetzt passieren?
Kabelka: Unter Umständen nimmt man uns aus der Mediathek! Das kann jetzt rausgeschnitten werden.
Böhmermann: Also, wenn die Türkei oder ihr Präsident da was dagegen hätte, müsste er sich erst mal 'nen Anwalt suchen.
Böhmermann: Das kann bestraft werden? Und dann können auch Sachen gelöscht werden - aber erst hinterher, nicht vorher?
Kabelka: Erst hinterher.
Die Versionen des Videos, zu denen wir verlinkt hatten, sind gelöscht.
Die Chronologie
Nur äußerst selten führen deutsche Satire-Sendungen zu diplomatischen Verstimmungen. Aber es passiert. Ein solches Beispiel ist die Folge des ZDF-"Neo Magazin Royale" Ende März, in der Moderator Jan Böhmermann sein Schmähgedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mit zahlreichen Beleidigungen vorlas. Böhmermann betonte dabei immer wieder lachend, dass dies nicht erlaubt sei - um satirisch den Unterschied zwischen Satire und Schmähkritik darzustellen. Er bezog sich dabei auf ein satirisches Lied des ARD-Magazins extra3, wegen dem Erdogan den deutschen Botschafter in der Türkei hatte einbestellen lassen.
Nachdem der Beitrag bereits auf "ZDFneo" zu sehen gewesen war, entfernte das ZDF den Beitrag am 1. April aus seinen Onlineangeboten. Schließlich wurde eine entschärfte Fassung des Magazins im ZDF ausgestrahlt, ohne den umstrittenen Erdogan-Beitrag. Die Begründung: Der Beitrag entspreche "nicht den Ansprüchen, die das ZDF an die Qualität von Satiresendungen stellt", hieß es in einer Mitteilung des Senders. Programmdirektor Norbert Himmler sagte in dem Zusammenhang, es gebe auch Grenzen der Ironie und Satire. "In diesem Fall wurden sie klar überschritten."
Böhmermann selbst hielt sich mit Kommentaren bedeckt, veröffentlichte auf Facebook nur die kurze Mitteilung: "Ich denke, wir haben heute am 1. April 2016 gemeinsam mit dem ZDF eindrucksvoll gezeigt, wo die Grenzen der Satire bei uns in Deutschland sind. Endlich!"
Merkel schaltet sich ein
Nur wenige Tage später schaltete sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in den Fall ein und ließ über ihren Sprecher mitteilen, dass sie den Beitrag telefonisch mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu besprochen habe. Beide hätten übereingestimmt, dass das Schmähgedicht "bewusst verletzend" angelegt gewesen sei. Dann folgten Strafanzeigen gegen Böhmermann bei der Staatsanwaltschaft in Mainz, die türkische Regierung forderte die Strafverfolgung wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes nach Paragraph 103 des Strafgesetzbuches, die Bundesregierung prüft derzeit, wie sie mit dem Gesuch der Türkei umgehen soll. Schließlich stellte Präsident Erdogan auch selbst Strafantrag gegen den ZDF-Moderator, nach Paragraph 185 wegen Beleidigung.
Seitdem wird darüber diskutiert, wie das Gedicht Böhmermanns einzuordnen ist. War es Satire, die von der Presse- und Meinungsfreiheit abgedeckt ist, oder hat der ZDF-Moderator eine Grenze überschritten?
Die Erfindung der "Schmähsatire"
Böhmermann habe eine Zwitterform geschaffen - die "Schmähsatire", meint der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Der ZDF-Moderator sei in seiner Sendung ungewöhnlich vorgegangen, indem er zunächst auf einer Metaebene erklärt habe, was er gleich tun werde, dass das aber verboten sei. Der Medienwissenschaftler Bernd Gäbler unterstellt Böhmermann, er habe in dem Moment nicht begriffen, was Satire sei. "Das, was Böhmermann gemacht hat, kann man nicht verteidigen, weil es war nicht ein Kenntlichmachen von Erdogan. Es war, wenn man so will, keine Satire; es war schlecht, es war unter seinem Niveau, es war nicht pfiffig, es war nicht schlau", so Gäbler im Interview mit dem Deutschlandfunk.
Auch der Kabarettist Lars Reichow gab sich im Deutschlandfunk überzeugt: "Da hat jemand die Grenzen der Meinungsfreiheit sprengen wollen." Aus seiner Sicht hätte Böhmermann seine Botschaft besser verpacken können als mit seinem Schmähgedicht - dazu sei er fähig. Deswegen kann Reichow diesen Einschnitt nicht verstehen: "Für mich ist das Weltpolitik, satirischer Größenwahn."
DJV-Chef: Bewusste Provokation
In eine ähnliche Richtung argumentierte auch der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes, Frank Überall, im Deutschlandfunk. Zwar dürfe Satire durchaus auch verletzend sein, aber: "Die Grenzen sind sicherlich hier im Fall Böhmermann überschritten, wo er mit einer instinktlosen bewussten Provokation auf eine instinktlose bewusste Provokation von Erdogan reagiert hat."
Wie soll es nun weitergehen im Fall Böhmermann? Der CDU-Bundestagsabgeordnete Ansgar Heveling befürwortet den rechtsstaatlichen Weg. Die Ermittlungsbehörden sollten den Fall nun prüfen, sagte er im DLF: "Bei uns gibt es nicht die Willkür, dass irgendjemand sagt, das ist jetzt verboten oder nicht, sondern das wird festgestellt durch unabhängige Gerichte. Darauf können wir stolz sein und das sollten wir auch nach außen zeigen, dass das bei uns auf diese Art und Weise läuft."
"Politik sollte sich nicht einmischen"
Auch der ehemalige Präsident der Akademie der Künste, Klaus Staeck, betonte im Interview mit dem Deutschlandfunk: "Wir haben nun mal tatsächlich das Prinzip der Gewaltenteilung und danach kann die Politik ihre Meinung äußern wie jeder Bürger dieses Landes, aber sie sollte auf keinen Fall sich da in irgendeiner Form einmischen."
Der aus der Türkei stammende Schriftsteller Feridun Zaimoglu verteidigte das umstrittene Gedicht. "Auch Spott und Häme sind durch Meinungsfreiheit gedeckt", sagte der Autor bei Deutschlandradio Kultur. Die Reaktion aus der Türkei auf die Satire über den türkischen Präsidenten wertet Zaimoglu als Eingriff in die Meinungsfreiheit.
Unterstützung erhielt Böhmermann auch vom Kabarettisten Dieter Hallervorden, der seinerseits ein Lied mit dem Titel "Erdogan, zeig mich an" veröffentlichte. Bei Twitter solidarisieren sich Nutzer unter dem Hashtag #freeboehmi mit dem Moderator. Eine Online-Petition fordert "Freiheit für Böhmermann!"
Viel Unterstützung für Böhmermann
Böhmermann bekam noch mehr Unterstützung, besonders von Künstlern und Prominenten. AUch im ZDF stellten sich die Mitarbeiter auf seine Seite, der Sender will aber bei seiner Haltung bleiben. Böhmermann hat sich in den vergangenen Tagen aber zurückgezogen. An der Verleihung der Grimmepreise in Marl, bei der Böhmermann mit dem Spezialpreis in der Kategorie Unterhaltung und der Besonderen Ehrung des Deutschen Volkshochschul-Verbands ausgezeichnet wurde, nahm der Moderator nicht teil. Dazu teilte er via Facebook nur mit: "Ich fühle mich erschüttert in allem, an das ich je geglaubt habe." Mittlerweile steht Böhmermann unter Polizeischutz. Die geplante nächste Ausgabe des "Neo Magazin Royale" haben er und seine Produktionsfirma abgesagt. Als Grund nannten sie die umfangreiche mediale Berichterstattung über den Fall.
Böhmermann will derweil nicht die von Erdogans Anwalt geforderte Unterlassungserklärung abgeben. Böhmermanns Anwalt Christian Schertz bestätigte dies der Deutschen Presse-Agentur. Er habe Erdogans Anwälten mitgeteilt, es sei "offensichtlich übersehen worden, dass das Gedicht nicht solitär verbreitet wurde, sondern in einer Gesamtdarstellung über das, was in Deutschland erlaubt ist und was nicht".
(mb/pr/am)