Karin Fischer: Zuerst nach Dresden: Dort erstrahlt der Semperbau am Zwinger gerade im Glanz Jahrhunderte alter schöner Frauen, denn zwei Meisterwerke von Raffael, die "Sixtinische Madonna" aus der Dresdner Gemäldegalerie und die "Madonna di Foligno", sind hier erstmals wieder zusammen zu sehen. Vor knapp 500 Jahren standen die Madonnen-Gemälde vermutlich beim Großmeister der Renaissance im Atelier, jetzt sind sie - Zitat Pressetext - "in einer einzigartigen Ausstellung erstmals wieder vereint". Das kann natürlich noch kein Anlass sein, nein äußere Anlässe sind auch noch: erstens der Besuch Papst Benedikts XVI. Ende September in Deutschland und dann das Jahr 2012, in dem man den 500. Geburtstag von Raffaels Meisterwerk, der "Sixtinischen Madonna", in Dresden feiert. Ergänzt wird die Raffael-Madonnen-Schau durch die ebenso berühmte "Stuppacher Madonna" von Matthias Grünewald, und deren Ausleihe nach Dresden ist höchst umstritten. Das Bild, so viele Konservatoren und Kritiker, dürfte eigentlich gar nicht mehr reisen. - Frage an den Kunstkritiker Hanno Rauterberg von der ZEIT: Warum denn nicht? Ist es in einem so schlechten Zustand?
Hanno Rauterberg: Das sagen jedenfalls die Konservatoren, die etwas zu sagen hätten, die aber nicht mit entscheiden dürfen. Zum Beispiel der Vorsitzende der Deutschen Restauratorenzunft, Volker Schaible, der sagt: Ich bin richtig erschrocken darüber, in welchem Zustand dieses Bild ist. Da gibt es gelbe Pigmente, die jetzt plötzlich bläulich stehen, es gibt blätternde Zonen, man muss notsichern, weil das Bild im 19. Jahrhundert schon sehr schlecht restauriert worden ist, was sich jetzt rächt. Und tatsächlich durfte das Bild bei einer Leihanfrage vor einigen Jahren, als es eine große Grünewald-Ausstellung in Aschaffenburg geben sollte, nicht reisen. Damals sagte man, dieses Bild, nie mehr darf es aus der Dorfkapelle in Stuppach heraus, es ist einfach zu fragil, es ist zu gefährlich, weil dieses Bild eben wie alle Bilder jener Zeit auf Holz gemalt sind, und dieses Holz reagiert eben unglaublich auf jede Klimaschwankung, auf jede Erschütterung.
Fischer: Warum ist die Stuppacher Madonna denn jetzt aber trotzdem in Dresden zu sehen?
Rauterberg: Das ist nicht ganz klar. Am Ende war es eine politische Entscheidung, weil das Ganze unter Denkmalschutz steht. Es war aber auch eine innerkirchliche Entscheidung, und ich glaube, es hatte auch etwas damit zu tun, dass Papst Benedikt nun großzügig gesagt hatte, die Raffael-Madonna aus dem Vatikan darf reisen, sodass man dann in Stuppach dachte, Mensch, ja, dann müssen wir uns wohl auch von unserer Madonna lösen für diese Zeit, und man hat die Stuppacher offensichtlich auch geködert, vermute ich jedenfalls mal, mit dem Versprechen, dort vieles zu tun in der Kapelle. Die ist nämlich nicht besonders gut klimatisiert und man rüstet sie jetzt auf. Das hätte man natürlich auch machen können, ohne die Stuppacher Madonna nun quer durch die Republik nach Dresden zu karren.
Fischer: Seit vielen Jahren zeichnet sich dieser Trend zu den großen, großartigen Inszenierungen in den deutschen Museen ab. Dienen die Ausstellungsmacher da mehr der eigenen Event-Strategie als der Kunst?
Rauterberg: Ich bin da so hin- und hergerissen. Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Ich freue mich immer, diese Bilder zusammen zu sehen, den Leonardo, den es bald in London zu sehen gibt, oder auch die Gesichter der Renaissance jetzt gerade in Berlin. Auf der anderen Seite muss man sagen, es tut der Kunst oft nicht gut. Sie leidet, und oftmals kommen die Restauratoren gar nicht mehr hinterher. Beispielsweise hat die Alte Nationalgalerie, eines der wichtigsten Museen in Deutschland in Berlin, 300 Leihvorgänge im Jahr, aber nur noch einen Restaurator. Der kann dann sozusagen nur noch die Kisten ein- und auspacken und noch mal einen groben Blick auf die Bilder werfen und merkt vielleicht gar nicht, dass sich doch das eine oder andere auf den Oberflächen verändert. Und oft ist es auch so, dass sich die Schäden erst nach einigen Jahren zeigen und man gar nicht mehr genau weiß, womit das zusammenhängt, ob das vielleicht von der Reise nach Abu Dhabi herrührt, oder nach Tokio oder nach New York.
Fischer: Was bedeutet das Ihrer Ansicht nach für die Museen und deren Pflichtaufgaben sozusagen in der Zukunft?
Rauterberg: Die Museen sind ja vor allem die Schatzkammern unseres kulturellen Gedächtnisses. So würde ich es jedenfalls sehen. Das heißt nicht, dass sie Grabkammern sind und alles immer überall bleiben muss wie es war. Es ist schön, Bilder auch zusammen zu sehen. Der wissenschaftliche Wert allerdings solcher Zusammenstellungen ist eher gering. Es geht tatsächlich darum, so Einmaligkeiten zu generieren, Ausstellungen, von denen der Kurator sagen kann, so etwas werdet ihr niemals wieder sehen. Und ich glaube, solche Art von Spektakel, so schön sie auch sind, muss man doch mit sehr großer Skepsis sehen, so sehr ich mich auch dafür begeistern kann, denn tatsächlich sind die Museen ja auch dafür da, dass sie die Dinge bewahren und auch die Bilder, die 500 Jahre alt sind, noch in die nächsten 500 Jahre hinüberretten. Jedenfalls würde ich mir das wünschen, dass unsere Nachnachfahren eines Tages auch noch mal staunend vor diesen Madonnen stehen können.
Fischer: Wenn wir die Madonnen jetzt vor uns haben, dann muss man ja auch sagen, dass sie heute ohnehin nicht mehr die Wirkung haben, die das Erleben von Kunst etwa noch im 19. Jahrhundert bewirkte.
Rauterberg: Das ist eine interessante Erfahrung. Im 19. Jahrhundert gibt es viele Berichte, die erzählen, dass vor dieser "Sixtinischen Madonna" in Dresden die Menschen geweint haben. Die lagen sich in den Armen, einige wurden ohnmächtig, so ergriffen waren sie von dieser Kunst. Diese Ergriffenheit scheint uns doch abhandengekommen zu sein, und wir brauchen immer mehr vom selben. Heute meint man, zwei Raffaels sind einfach doppelt so gut wie ein Raffael, vielleicht sogar noch besser als doppelt so gut. Das ist natürlich eine gewisse Gefahr, dass die Museen sich selber immer mehr zu so einem Ort des Spektakels inszenieren und dadurch auch in so einen Zwang kommen, immer mehr bieten zu müssen, statt zu sagen, nein, wir sind eigentlich sehr glücklich mit dem, was wir haben, und wer komme, der schaue.
Fischer: Vielen Dank, Hanno Rauterberg, für diese Bewertung und Analyse. Die Ausleihe der "Stuppacher Madonna" nach Dresden ist unter Experten umstritten.
Hanno Rauterberg: Das sagen jedenfalls die Konservatoren, die etwas zu sagen hätten, die aber nicht mit entscheiden dürfen. Zum Beispiel der Vorsitzende der Deutschen Restauratorenzunft, Volker Schaible, der sagt: Ich bin richtig erschrocken darüber, in welchem Zustand dieses Bild ist. Da gibt es gelbe Pigmente, die jetzt plötzlich bläulich stehen, es gibt blätternde Zonen, man muss notsichern, weil das Bild im 19. Jahrhundert schon sehr schlecht restauriert worden ist, was sich jetzt rächt. Und tatsächlich durfte das Bild bei einer Leihanfrage vor einigen Jahren, als es eine große Grünewald-Ausstellung in Aschaffenburg geben sollte, nicht reisen. Damals sagte man, dieses Bild, nie mehr darf es aus der Dorfkapelle in Stuppach heraus, es ist einfach zu fragil, es ist zu gefährlich, weil dieses Bild eben wie alle Bilder jener Zeit auf Holz gemalt sind, und dieses Holz reagiert eben unglaublich auf jede Klimaschwankung, auf jede Erschütterung.
Fischer: Warum ist die Stuppacher Madonna denn jetzt aber trotzdem in Dresden zu sehen?
Rauterberg: Das ist nicht ganz klar. Am Ende war es eine politische Entscheidung, weil das Ganze unter Denkmalschutz steht. Es war aber auch eine innerkirchliche Entscheidung, und ich glaube, es hatte auch etwas damit zu tun, dass Papst Benedikt nun großzügig gesagt hatte, die Raffael-Madonna aus dem Vatikan darf reisen, sodass man dann in Stuppach dachte, Mensch, ja, dann müssen wir uns wohl auch von unserer Madonna lösen für diese Zeit, und man hat die Stuppacher offensichtlich auch geködert, vermute ich jedenfalls mal, mit dem Versprechen, dort vieles zu tun in der Kapelle. Die ist nämlich nicht besonders gut klimatisiert und man rüstet sie jetzt auf. Das hätte man natürlich auch machen können, ohne die Stuppacher Madonna nun quer durch die Republik nach Dresden zu karren.
Fischer: Seit vielen Jahren zeichnet sich dieser Trend zu den großen, großartigen Inszenierungen in den deutschen Museen ab. Dienen die Ausstellungsmacher da mehr der eigenen Event-Strategie als der Kunst?
Rauterberg: Ich bin da so hin- und hergerissen. Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Ich freue mich immer, diese Bilder zusammen zu sehen, den Leonardo, den es bald in London zu sehen gibt, oder auch die Gesichter der Renaissance jetzt gerade in Berlin. Auf der anderen Seite muss man sagen, es tut der Kunst oft nicht gut. Sie leidet, und oftmals kommen die Restauratoren gar nicht mehr hinterher. Beispielsweise hat die Alte Nationalgalerie, eines der wichtigsten Museen in Deutschland in Berlin, 300 Leihvorgänge im Jahr, aber nur noch einen Restaurator. Der kann dann sozusagen nur noch die Kisten ein- und auspacken und noch mal einen groben Blick auf die Bilder werfen und merkt vielleicht gar nicht, dass sich doch das eine oder andere auf den Oberflächen verändert. Und oft ist es auch so, dass sich die Schäden erst nach einigen Jahren zeigen und man gar nicht mehr genau weiß, womit das zusammenhängt, ob das vielleicht von der Reise nach Abu Dhabi herrührt, oder nach Tokio oder nach New York.
Fischer: Was bedeutet das Ihrer Ansicht nach für die Museen und deren Pflichtaufgaben sozusagen in der Zukunft?
Rauterberg: Die Museen sind ja vor allem die Schatzkammern unseres kulturellen Gedächtnisses. So würde ich es jedenfalls sehen. Das heißt nicht, dass sie Grabkammern sind und alles immer überall bleiben muss wie es war. Es ist schön, Bilder auch zusammen zu sehen. Der wissenschaftliche Wert allerdings solcher Zusammenstellungen ist eher gering. Es geht tatsächlich darum, so Einmaligkeiten zu generieren, Ausstellungen, von denen der Kurator sagen kann, so etwas werdet ihr niemals wieder sehen. Und ich glaube, solche Art von Spektakel, so schön sie auch sind, muss man doch mit sehr großer Skepsis sehen, so sehr ich mich auch dafür begeistern kann, denn tatsächlich sind die Museen ja auch dafür da, dass sie die Dinge bewahren und auch die Bilder, die 500 Jahre alt sind, noch in die nächsten 500 Jahre hinüberretten. Jedenfalls würde ich mir das wünschen, dass unsere Nachnachfahren eines Tages auch noch mal staunend vor diesen Madonnen stehen können.
Fischer: Wenn wir die Madonnen jetzt vor uns haben, dann muss man ja auch sagen, dass sie heute ohnehin nicht mehr die Wirkung haben, die das Erleben von Kunst etwa noch im 19. Jahrhundert bewirkte.
Rauterberg: Das ist eine interessante Erfahrung. Im 19. Jahrhundert gibt es viele Berichte, die erzählen, dass vor dieser "Sixtinischen Madonna" in Dresden die Menschen geweint haben. Die lagen sich in den Armen, einige wurden ohnmächtig, so ergriffen waren sie von dieser Kunst. Diese Ergriffenheit scheint uns doch abhandengekommen zu sein, und wir brauchen immer mehr vom selben. Heute meint man, zwei Raffaels sind einfach doppelt so gut wie ein Raffael, vielleicht sogar noch besser als doppelt so gut. Das ist natürlich eine gewisse Gefahr, dass die Museen sich selber immer mehr zu so einem Ort des Spektakels inszenieren und dadurch auch in so einen Zwang kommen, immer mehr bieten zu müssen, statt zu sagen, nein, wir sind eigentlich sehr glücklich mit dem, was wir haben, und wer komme, der schaue.
Fischer: Vielen Dank, Hanno Rauterberg, für diese Bewertung und Analyse. Die Ausleihe der "Stuppacher Madonna" nach Dresden ist unter Experten umstritten.