Archiv


Gefährliche Gaben

Am 9. Februar feiert das Reich der Mitte das Neujahrsfest. Traditionell beschenken die Chinesen aus diesem Anlass Vorgesetzte, Kollegen, Beamte und Geschäftspartner. Doch in diesem Jahr ist das anders. Denn Chinas neuer Parteichef Xi Jinping hat der Korruption den Kampf angesagt.

Von Silke Ballweg |
    In einem Einkaufszentrum in der Pekinger Stadtmitte scheppert fröhliche Musik aus dem Lautsprecher. China bereitet sich auf`das Neujahrsfest vor. Die Geschäfte sind mit roten Lampions dekoriert. Zhao Li Rong, eine Mittfünfzigerin, stöbert in den Auslagen.

    "Ich will für das Neujahrsfest ein bisschen Dekoration für die Wohnung kaufen, außerdem ein paar Geschenke. Wir kommen ja jetzt ins Jahr der Schlange, deswegen suche ich Schlangen aus goldenem Papier, die bringen Glück."

    Chinesen feiern das Neujahrsfest traditionell im kleinen Kreis. Die engen Verwandten essen zusammen und machen sich Geschenke. Um die Beziehungen zu ihnen zu pflegen, beschenken viele Chinesen auch Vorgesetzte und Geschäftspartner. Traditionell kommt beim Frühlingsfest deswegen auch immer Bestechung mit ins Spiel. In diesem Jahr allerdings sind die Umsätze in vielen Geschäften mies. Diese Verkäuferin steht hinter einer Vitrine mit glänzenden Schweizer Armbanduhren - sie verdreht die Augen:

    "Das Geschäft läuft ganz, ganz schlecht. Es kommen zwar viele Kunden, aber sie kaufen nur ganz wenig. Normalerweise läuft es im Januar und Februar vor dem Frühlingsfest sehr gut, aber dieses Jahr verkaufen wir kaum etwas."

    Das könnte am aktuellen Antikorruptionskurs der chinesischen Regierung liegen. Denn Chinas neuer Parteichef Xi Jinping hat dem illegalen Treiben in den vergangenen Wochen bereits mehrmals den Kampf angesagt. Die Korruption in China breite sich wie Würmer in einem Kadaver aus, mahnte Xi Jinping, sie könne Partei und Staat zu Fall bringen. Tatsächlich zieht sie sich durch das gesamte Leben der Bürger. Um etwa die eigenen Kinder in einer guten Schule unterzubringen, müssen Chinesen schon mal ein paar Scheine springen lassen. Oder wenn sie im Krankenhaus eine gute Behandlung wollen. Auch im Beruf läuft meist nichts ohne Aufmerksamkeiten für den Chef. He Jiahong ist Juraprofessor an der angesehenen Pekinger Volksuniversität, dort leitet er den Studiengang "Antikorruption":

    ""In China sind persönliche Kontakte sehr wichtig, man muss dauernd die Beziehungen pflegen. Und was ist die einfachste Art, dies zu tun? Geschenke machen. Und das passiert überall, in allen gesellschaftlichen Bereichen. Wenn zum Beispiel ein Polizeichef in der Position ist, seine Angestellten zu befördern, dann werden sie ihm Geschenke machen, vor allem jetzt, während des Frühlingsfestes. Das ist eine ganz übliche Art, um an eine Beförderung zu kommen. In Wirklichkeit aber ist es natürlich Bestechung."

    Chinas neue Parteispitze hat in den vergangenen Wochen Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung erlassen. Militärangehörigen etwa ist es seither untersagt, auf Staatskosten ausschweifende Bankette für Geschäftspartner zu veranstalten. Luxusreisen und teurer Schnaps sind ebenfalls tabu. Blogger und Journalisten bekamen gleichzeitig Freiheiten: Sie konnten mehrere Politiker in den Provinzen der Bestechlichkeit überführen, sagt der Zeitungsreporter Ji Xuguan:
    "Die Parteiführung hat bei ihrem Kongress im November gesagt, sie wolle die Korruption stärker bekämpfen. Das hat uns investigative Journalisten natürlich gefreut. Kurz darauf fühlten wir uns auch bestätigt, denn die Regierung hat ja zunächst zugelassen, dass einige Korruptionsfälle ans Tageslicht gebracht wurden."

    Ji Xuguan hat selbst einen Fall mit aufgedeckt. Der 32-Jährige hatte ein Video, das ihm zugespielt worden war, online gestellt. Es zeigte einen Politiker beim Sex mit einer Prostituierten. Die Frau war offenbar von einem Geschäftspartner bezahlt und geschickt worden. Der wollte sich so den Zuschlag für ein Immobilienprojekt sichern. Nur wenige Tage nach Veröffentlichung des Videos wurde der Funktionär entlassen. Chinas Blogger deckten weitere Fälle auf, etwa von Politikern, die zwar nur ein Durchschnittsgehalt verdienten, aber trotzdem mehrere Luxuswohnungen besaßen. Mittlerweile sind auch die die meisten von ihnen geschasst. Normalerweise verhindern Chinas Zensoren, dass Informationen über korrupte Funktionäre bekannt werden. Die Parteiführung ließ die Blogger jedoch gewähren, möglicherweise, um in der Öffentlichkeit als zupackend und durchsetzungsstark anzukommen. Ji Xuguan glaubt allerdings nicht, dass die journalistische Freiheit lange anhalten wird.

    "Die Regierung hat ja schon wieder verlauten lassen, man brauche strengere Regeln für das Internet, das sei kein rechtsfreier Raum. Vor ein paar Wochen dachten viele von uns noch, dass wir gerade einen echten Durchbruch erleben, aber jetzt gehe ich, ehrlich gesagt, davon aus, dass die Regierung die Kontrolle im Netz wieder verschärfen wird."

    Auch Juraprofessor He Jiahong ist skeptisch, ob Chinas Führungsspitze die Korruption wirklich ausrotten will. Denn auch sie scheint davon zu profitieren. Medienberichten zufolge soll die Familie von Parteichef Xi Jinping ein Vermögen von umgerechnet 270 Millionen Euro besitzen. Verwandte des scheidenden Ministerpräsidenten Wen Jiabao sollen während seiner Amtszeit sogar über zwei Milliarden Euro angehäuft haben. Weil sie in allen Lebensbereichen so tief verwurzelt sei, könne man Korruption in China rückwirkend nicht mehr bestrafen, meint He Jiahong. Er schlägt stattdessen eine Amnestie für korrupte Kader vor:

    ""Zum Beispiel: Der Volkskongress verpflichtet alle Funktionäre, ihr Vermögen bis Ende Dezember 2013 offenzulegen. Wer ehrliche Angaben macht und sich keine neuen Verbrechen zuschulden kommen lässt, darf seinen Besitz behalten, das Vermögen wird quasi legalisiert. Wer sich aber erneut etwas zuschulden kommen lässt, wer sich bestechen lässt und solche Dinge, dessen Fall wird untersucht. Und dann wird man angeklagt und verurteilt."

    Auch andere Rechtsexperten unterstützen Hes Vorschlag. Doch alle wissen: Die Partei wird kaum den Ast absägen, auf dem sie selbst all die Zeit so bequem gesessen hat.

    Wahrscheinlicher ist, befürchten viele, dass nach etwas öffentlichkeitswirksamem Aktionismus in der Führungsspitze in ein paar Monaten alles wieder so weiterlaufen wird wie bisher. Und dass schon zum nächsten Neujahrsfest das Geschäft mit den Geschenken wieder florieren wird.