"Genossen Militärs, verlieren wir keinen Tag, um unsere wichtigste Mission zu erfüllen: uns auf den Krieg vorzubereiten und dem Volk dabei zu helfen, denn das ist eine Verantwortung für uns alle. / Lasst uns Milizen aufstellen aus den revolutionären Studenten, Arbeitern und Frauen – seid alle bereit, dieses heilige Vaterland mit Namen Venezuela zu verteidigen."
So befahl der venezolanische Staatspräsident Hugo Chávez Anfang des Monats in seinem sonntäglichen Fernsehprogramm Aló, Presidente! 20.000 Mann seiner Streitkräfte setzten sich in Bewegung. Ziel war die Grenze zu Kolumbien, 2200 Kilometer lang. Die Übergänge wurden geschlossen, Venezuela riegelte sich von seinem zweitwichtigsten Handelspartner ab. Denn Chávez glaubte, dass die sieben neuen Luftwaffen- und Marinebasen der USA im Nachbarland nicht dem Antiterror-Kampf, sondern der Suche nach Rohstoffen dienten und im Übrigen eine Kriegserklärung an seine "bolivarianische Revolution" darstellten. Deshalb drohte er:
"Wenn es dem Yankee-Imperium einfallen sollte, Kolumbien zu benützen, um Venezuela militärisch anzugreifen und einen Krieg zu entfachen, dann wird hier ein 100-jähriger Krieg beginnen, der sich auf den gesamten Kontinent ausbreiten dürfte. Das solltet ihr wissen!"
Es war nicht das erste Mal, dass Hugo Chávez mit dem Säbel rasselte. Ende August hatte er eine Sondersitzung der UNASUR, der Union der zwölf südamerikanischen Länder, im argentinischen Bariloche erzwungen. Er hoffte damals, den kolumbianischen Staatspräsidenten Uribe als Kriegstreiber vorführen zu können, was ihm jedoch nicht gelang. Die verstärkte Militärpräsenz der USA auf dem Subkontinent war allerdings auch anderen Ländern wie Brasilien ein Dorn im Auge, der neuen Großmacht im südlichen Amerika mit Grenzen zu fast allen Staaten. Der brasilianische Präsident Lula da Silva versuchte zu beschwichtigen:
"Wir müssen jeden Konflikt untereinander und mit den USA vermeiden. Wir müssen offen diskutieren und eine Lösung finden. Die Idee amerikanischer Militärbasen in Kolumbien gefällt mir aber überhaupt nicht."
Doch die kolumbianische Regierung ließ sich nicht beirren. Am 30. Oktober unterzeichnete Außenminister Bermúdez in Bogotá das Übereinkommen mit den USA und beteuerte anschließend:
"Kolumbien hat diesen Vertrag zu unterschreiben, weil er dazu dienen soll, Drogenhandel und Terrorismus effektiver zu bekämpfen ... Wenn es uns gelingt, uns davon befreien können, dann nützt dies allen Kolumbianern und allen Ländern der Region. Mit all unseren Nachbarn wollen wir beste Beziehungen unterhalten. Und wir hoffen auch bei sensiblen Themen auf effiziente Zusammenarbeit."
Die Situation zwischen beiden Ländern ist seit Jahren gespannt. Chávez betrachtet seinen Kollegen Uribe als einen Steigbügelhalter der USA in Lateinamerika. Tatsächlich gibt es keinen engeren Alliierten Washingtons in der Region als den kolumbianischen Staatspräsidenten. Und Kolumbien erhält dafür die weitaus höchste Militärhilfe auf dem gesamten Kontinent. Damit sollten die Drogenmafia und die Terroristen der Paras wie der Guerillas bekämpft werden, die den Staat ernsthaft gefährdeten. Die Gewalttäter sind tatsächlich aus verschiedenen Regionen verdrängt worden. Aber die massive Militärpräsenz der USA empfanden vor allem die Nachbarländer mit linken Regierungen als eine latente Einschüchterung. Der bolivianische Präsident Evo Morales:
"Ihr habt sie so nicht erlebt wie ich in meinem Land. Bewaffnete nordamerikanische Militärs gaben der bolivianischen Polizei und den Streitkräften den Befehl, auf die Volksbewegungen zu schießen und Arbeiterführer zu verhaften. Ihre Spezialeinheiten in Kolumbien und Honduras unterweisen noch immer Einheimische darin, wie sie am besten oppositionelle Politiker und Gewerkschafter umbringen."
Die Konflikte zwischen Kolumbien und Venezuela dauern – auch ohne US-Präsenz – bereits ein gutes halbes Jahrhundert. Meist ging es dabei um Erdölvorkommen im Norden des Golfs von Venezuela, auf die auch das Nachbarland Anspruch erhebt. Um diesen zu betonen, hat Kolumbien zweimal ernsthafte militärische Aktionen unternommen. Eine völlig andere Form von Konfrontation entstand durch eine kolumbianische Militäraktion auf ecuadorianischem Gebiet. Im März 2008 hatte eine Sondereinheit dort ein Lager der kolumbianischen Guerillaorganisation FARC angegriffen. Präsident Correa war empört:
"Ecuador erlebte einen gezielten Luftangriff und anschließend den Einmarsch kolumbianischer Truppen im vollen Bewusstsein, dass sie unsere Souveränität verletzten. Durch beide Angriffe aus der Luft und am Boden wurden 20 Mitglieder der FARC getötet, fast alle in Schlafanzügen. Das widerlegt die kolumbianische Version, hier habe es sich um einen legitimem Akt der Verteidigung gehandelt. Es war ein Massaker."
Dabei wurde einer der wichtigsten Anführer der FARC liquidiert. Der Gewaltakt auf dem Hoheitsgebiet eines befreundeten Landes wurde fast überall in Lateinamerika scharf abgelehnt. Am heftigsten reagierte wie gewohnt Hugo Chávez in der Rolle des selbsternannten Wortführers seiner linken Kollegen.
"Herr Außenminister, schließen Sie unsere Botschaft in Bogotá und holen Sie alle Diplomaten zurück. Herr Verteidigungsminister, mobilisieren Sie mir sofort zehn Bataillone an der Grenze zu Kolumbien, Panzer-Bataillone. Und machen Sie die Luftwaffe startklar. Wir wollen keinen Krieg, aber wir werden ihn auch nicht dem nordamerikanischen Imperium erlauben und seinem Speichellecker Uribe und der kolumbianischen Oligarchie, die uns spalten und schwächen wollen."
Kolumbiens Präsident Uribe stellt sich gern als das harmlose Opfer der chavistischen Polemik dar, doch sein grenzüberschreitender Kampf gegen den Terror deckt sich mit der US-amerikanischen Präventivschlag-Doktrin. Sie erlaubt im Antiterrorkampf einen nahezu unbeschränkten Einsatz militärischer Mittel und betont das Erst-Schlag-Recht. Auch haben die USA in den letzten Jahren bereits durch die Aufrüstung des kolumbianischen Militärs im Rahmen des Plan Colombia für eine zunehmende Militarisierung der Region gesorgt. Chávez, in Venezuela, hat beispielweise seine Milliardengewinne aus dem Ölgeschäft mit den USA zum Teil dazu verwendet, den desolaten Zustand seiner Truppen zu verbessern. In den letzten sechs Jahren hat er sechs Milliarden Dollar in Waffenkäufe investiert. Das heißt aber noch lange nicht, dass Venezuela Kolumbien militärisch gewachsen wäre. Die venezolanische Sicherheitsexpertin Rocío San Miguel.
"Viele dieser Waffensysteme sind bis heute nicht angekommen. Auch ist die Ausbildung an diesen Waffen keineswegs optimal. Es gibt außerdem einen großen Unterschied in der Truppenstärke. Die kolumbianischen Streitkräfte verfügen über 300.000 Mann, während die venezolanische Armee nur 130.000 Mann umfasst. Selbst die Luftwaffe, die bei einem Konflikt zwischen beiden Ländern eine zentrale Rolle spielen würde, ist stark benachteiligt. Die Kolumbianer besitzen US-amerikanische F-16-Kampfjets mit gut trainierten Piloten, während die neuen russischen SU-30-Flugzeuge wegen fehlender Piloten kaum einsatzfähig sind."
Deshalb ist das Kriegsgeschrei von Hugo Chávez nicht ganz ernst zu nehmen. Es gibt jedoch durchaus explosive Konflikte, zum Beispiel im Grenzgebiet beider Länder. Sie haben sich in den letzten Wochen gefährlich zugespitzt.
"Zwei Angehörige der Nationalgarde wurden an einem Grenzposten in Táchira ermordet. Die venezolanischen Behörden nahmen einen Verdächtigen fest und teilten mit: Die beiden Militärs seien Opfer von Repressalien in Folge der Maßnahmen geworden, die Venezuela gegen den Schmuggel von Benzin und die Erhöhung der Lebensmittelpreise verhängt hatte. Daraufhin wurden die Grenzen in dieser Region erneut geschlossen."
Was der Reporter von Globovisión berichtet, geschah Anfang November. Es war ein weiterer Höhepunkt in einer Entwicklung, die am 11. Oktober begonnen hat. Damals wurden im Bundesstaat Táchira zwölf Männer, meist Venezolaner, entführt und zwei Wochen später ermordet aufgefunden. Es hieß, sie seien Opfer eines Racheaktes kolumbianischer Guerilleros geworden. Jedenfalls erschienen kurz darauf Flugblätter, welche die Handschrift ihrer Gegner, der Paramilitärs, trugen.
"Wir haben die unwiderrufliche Entscheidung getroffen, Gewalt zu verbreiten. Wir werden aber nicht nur alle Würmer zertreten. Jetzt sind auch die Schurken an der Reihe, die uns verfolgen. Wer mit ihnen kollaboriert, dem geschieht dasselbe. Tod allen Hunden!"
Außerdem forderte das Pamphlet alle Händler auf, am folgenden Tag ihre Läden als Zeichen des Protestes nicht zu öffnen. Die meisten von ihnen hielten sich daran: Das Leben in der Grenzstadt San Antonio erstarrte. Zwei Tage danach feuerten mehrere Motorradfahrer auf die venezolanischen Grenzposten und erschossen zwei von ihnen. Wieder machte Venezuela die Grenze dicht, und Verteidigungsminister Ramón Carrizález erklärte:
"Das alles ist Teil eines Planes, in dem die Paramilitärs die Vorhut bilden, um Venezuela zu destabilisieren. Sie sind auch die Speerspitze einer anderen Bedrohung unseres Landes und ganz Südamerikas, nämlich der Militärbasen der Yankees auf kolumbianischem Gebiet, die sich gegen nichts anderes richten als den venezolanischen Prozess und die Auswirkungen auf Lateinamerika durch die revolutionäre Bewegung in Venezuela."
Diese Erklärung entspricht der offiziellen Rhetorik. Aber die Situation in der Grenzregion zwischen Kolumbien und Venezuela wurde politisch zunehmend aufgeheizt. Dort leben vom kleinen Grenzverkehr Zehntausende von Menschen. Sie sind es gewohnt, auf beiden Seiten Handel zu treiben oder einzukaufen. Doch daneben hat schon lange der Schmuggel sein blühendes Unwesen getrieben. Ein Liter Benzin kostet in Venezuela nur ein paar Cent, in Kolumbien dagegen ein Vielfaches davon. Ein ganzes Heer von Schmugglern kümmert sich deshalb um die billige Versorgung mit Kraftstoff im anderen Land. Schließen die Venezolaner die Grenze, dann kommt es auf der anderen Seite zu Engpässen. In den letzten Jahren haben jedoch auch die kolumbianischen Gewalttäter die Region als ihr Aktionsfeld entdeckt. Die Sicherheitsexpertin Rocío San Miguel:
"Wir erleben hier die Folgen der Beendigung des Konfliktes in Kolumbien. Einige eigentlich entwaffnete Teile der Konfliktparteien, Guerillas wie Paramilitärs, haben sich in Venezuela eingenistet. Vor zehn Jahren hatten sich Guerillas auf wenige Gebiete unseres Landes zurückgezogen. Aber jetzt sind die Paramilitärs hinzugekommen. Das hat die Gewalttätigkeiten außerordentlich gesteigert, denn diese bewaffneten Gruppierungen arbeiten mit der Drogenmafia und dem Waffenschmuggel zusammen. Und bedrohen inzwischen die Souveränität und die territoriale Integrität des Staates."
Die Gemengelage ist gefährlich, denn ein weiterer Faktor kommt hinzu. Die Grenzregion gehört auf venezolanischer Seite zu Bundesstaaten, die von der Opposition regiert werden. Diese ist Chávez nicht nur ein Dorn im Auge. Er hält sie schlicht für den verlängerten Arm des "Imperiums", also der USA, und versucht mit allen Mitteln, ihr Schwierigkeiten zu bereiten. Deshalb gehen die Schlagbäume beim geringsten Problem herunter, was die Bevölkerung auf die Barrikaden treibt. Immer wieder demonstrieren sie gegen solche Schikanen, zuletzt in der am meisten betroffenen Stadt San Antonio de Táchira. Ein Bewohner:
"Die Männer und Frauen dieser Grenzregion leiden tagtäglich schrecklich unter der Hetze und dem Druck der Regierung, unter den Folgen ihrer Meinungsverschiedenheiten mit dem Bruderland Kolumbien. Wir protestieren zusammen mit der Zivilgesellschaft, Unternehmern und Händlern hier an dieser konfliktreichsten Grenze Lateinamerikas, weil wir sowohl die Politik der militaristischen Zentralregierung gegen die kolumbianische Regierung ablehnen als auch die Restriktionen hier in San Antonio de Táchira wie in Ureña."
Die Opposition macht auch in anderen Bereichen immer häufiger Front gegen Chávez' Politik, ein weiterer Konfliktherd in der venezolanischen Gesellschaft. Der Regierungschef verstärkt ihn bewusst durch seine verbalen Attacken, durch zahlreiche Einschränkungen für Radio- und Fernsehsender und überhaupt durch seinen Umgang mit der Opposition. Rocío San Miguel:
"Der Bundesstaat Táchira wird von einem Gouverneur der Opposition angeführt, der unendlich viele Schwierigkeiten mit der Zentralregierung gehabt hat, wie auch alle anderen Gouverneure der Opposition. Der Dissens zwischen beiden Seiten hat inzwischen das Ausmaß von Kriminalisierung angenommen, was unsere Demokratie schwer schädigt. Oft wird nicht mehr politisch argumentiert, sondern mit Gerichtsverfahren gegen die Opposition vorgegangen. Dadurch wurde das Defizit an demokratischen Standards im Verhalten gegenüber der Opposition und der Kritik an Präsident Chávez immer größer."
Statt Konflikte zu beseitigen und sich beispielsweise um die zunehmende Paramilitarisierung der Grenzregion ernsthaft zu kümmern, sucht er sich spektakulärere Schauplätze und verschärft die Lage. Vor wenigen Tagen ließ er zwei Hängebrücken zerstören, welche die Bevölkerung im Departement Santander gebaut hatte, um leichter in die benachbarten venezolanischen Ortschaften zu gelangen. Ein Reporter von CNN en español:
"Vor wenigen Minuten hat der kolumbianische Verteidigungsminister Gabriel Silva bestätigt, dass zwei künstlich angelegte Brücken aus Holz und Seilen ... über den Rio Táchira von Uniformierten gesprengt worden sind. Der Minister hat diese Situation als äußerst schwerwiegend bezeichnet, weil sie die Sicherheit der Zivilbevölkerung gefährdet. Diese Aktion würde sowohl den Vereinten Nationen als auch der Organisation Amerikanischer Staaten gemeldet werden , da sich dadurch die schwierigen Beziehungen beider Länder weiter kompliziert hätten."
Eigentlich hat Präsident Chávez alle Hände voll zu tun, um sein Projekt eines Sozialismus des 21. Jahrhunderts voranzutreiben, denn es erlebt zurzeit einen Rückschlag nach dem anderen. Erst vor Kurzem musste er Stromsperren verhängen und die Bevölkerung auffordern, nur noch eine "revolutionäre Dusche" von drei Minuten Dauer zu nehmen, weil die Wasservorräte gefährlich gesunken sind. Die Lebensmittelversorgung stockt mitunter, weil der Handel mit den kolumbianischen Hauptlieferanten durch viele Grenzblockaden fast zum Erliegen gekommen ist. Auch hat es die Regierung bis heute nicht fertiggebracht, die Agrarwirtschaft in dem fruchtbaren Land so weit anzukurbeln, dass sie die Bevölkerung problemlos ernähren könnte. Die Infrastruktur ist im ganzen Land äußerst marode, die U-Bahn von Caracas befindet sich kurz vor dem Kollaps.
"Neben der wirtschaftlichen und sozialen Situation ist die Sicherheitslage der Bürger eines der gravierendsten Probleme. Der venezolanische Staat ist ein Pulverfass mit 12.000 Morden pro Jahr und 700 bis 900 Entführungen von langer Dauer, ganz abgesehen von den sogenannten Express-Entführungen, von denen täglich Tausende betroffen sind, die aber nur kurze Zeit dauern und relativ wenig Geld für die Freilassung kosten. Eine wirklich perverse Situation, welche die Fundamente der Stabilität des ganzen Landes bedroht."
Doch anstatt solche Existenzprobleme Venezuelas zu lösen, ruft Präsident Chávez lieber zum Kampf an anderen Fronten auf: gegen "das US-Imperium", das Venezuela durch seine Militärbasen in Kolumbien bedrohe; oder gegen Kolumbien und seinen "Erzfeind" Uribe, der ihm mit den Paramilitärs eine "fünfte Kolonne" ins Land geschickt habe, um die bolivarianische Revolution zu unterwandern.
Vermittlungsbemühungen des brasilianischen Präsidenten Lula da Silva hat er abgelehnt, obwohl es diesem gerade erst gelungen ist, im Konflikt zwischen Kolumbien und Ecuador eine diplomatische Lösung zu finden. Immerhin hat Chávez seine Massen inzwischen "für den Frieden" demonstrieren lassen und auch rhetorisch etwas abgerüstet.
"Jemand aus dem Volk hat besorgt gesagt, dass Chávez zum Krieg aufrufen würde. Aber das ist Feindpropaganda. Ich rufe zu keinem Krieg auf, sondern das Yankee-Imperium. Ich rufe alle Venezolaner auf, dieses Land zu lieben und sie zu verteidigen, diese heilige Erde von Venezuela. Das ist etwas ganz anderes."
So befahl der venezolanische Staatspräsident Hugo Chávez Anfang des Monats in seinem sonntäglichen Fernsehprogramm Aló, Presidente! 20.000 Mann seiner Streitkräfte setzten sich in Bewegung. Ziel war die Grenze zu Kolumbien, 2200 Kilometer lang. Die Übergänge wurden geschlossen, Venezuela riegelte sich von seinem zweitwichtigsten Handelspartner ab. Denn Chávez glaubte, dass die sieben neuen Luftwaffen- und Marinebasen der USA im Nachbarland nicht dem Antiterror-Kampf, sondern der Suche nach Rohstoffen dienten und im Übrigen eine Kriegserklärung an seine "bolivarianische Revolution" darstellten. Deshalb drohte er:
"Wenn es dem Yankee-Imperium einfallen sollte, Kolumbien zu benützen, um Venezuela militärisch anzugreifen und einen Krieg zu entfachen, dann wird hier ein 100-jähriger Krieg beginnen, der sich auf den gesamten Kontinent ausbreiten dürfte. Das solltet ihr wissen!"
Es war nicht das erste Mal, dass Hugo Chávez mit dem Säbel rasselte. Ende August hatte er eine Sondersitzung der UNASUR, der Union der zwölf südamerikanischen Länder, im argentinischen Bariloche erzwungen. Er hoffte damals, den kolumbianischen Staatspräsidenten Uribe als Kriegstreiber vorführen zu können, was ihm jedoch nicht gelang. Die verstärkte Militärpräsenz der USA auf dem Subkontinent war allerdings auch anderen Ländern wie Brasilien ein Dorn im Auge, der neuen Großmacht im südlichen Amerika mit Grenzen zu fast allen Staaten. Der brasilianische Präsident Lula da Silva versuchte zu beschwichtigen:
"Wir müssen jeden Konflikt untereinander und mit den USA vermeiden. Wir müssen offen diskutieren und eine Lösung finden. Die Idee amerikanischer Militärbasen in Kolumbien gefällt mir aber überhaupt nicht."
Doch die kolumbianische Regierung ließ sich nicht beirren. Am 30. Oktober unterzeichnete Außenminister Bermúdez in Bogotá das Übereinkommen mit den USA und beteuerte anschließend:
"Kolumbien hat diesen Vertrag zu unterschreiben, weil er dazu dienen soll, Drogenhandel und Terrorismus effektiver zu bekämpfen ... Wenn es uns gelingt, uns davon befreien können, dann nützt dies allen Kolumbianern und allen Ländern der Region. Mit all unseren Nachbarn wollen wir beste Beziehungen unterhalten. Und wir hoffen auch bei sensiblen Themen auf effiziente Zusammenarbeit."
Die Situation zwischen beiden Ländern ist seit Jahren gespannt. Chávez betrachtet seinen Kollegen Uribe als einen Steigbügelhalter der USA in Lateinamerika. Tatsächlich gibt es keinen engeren Alliierten Washingtons in der Region als den kolumbianischen Staatspräsidenten. Und Kolumbien erhält dafür die weitaus höchste Militärhilfe auf dem gesamten Kontinent. Damit sollten die Drogenmafia und die Terroristen der Paras wie der Guerillas bekämpft werden, die den Staat ernsthaft gefährdeten. Die Gewalttäter sind tatsächlich aus verschiedenen Regionen verdrängt worden. Aber die massive Militärpräsenz der USA empfanden vor allem die Nachbarländer mit linken Regierungen als eine latente Einschüchterung. Der bolivianische Präsident Evo Morales:
"Ihr habt sie so nicht erlebt wie ich in meinem Land. Bewaffnete nordamerikanische Militärs gaben der bolivianischen Polizei und den Streitkräften den Befehl, auf die Volksbewegungen zu schießen und Arbeiterführer zu verhaften. Ihre Spezialeinheiten in Kolumbien und Honduras unterweisen noch immer Einheimische darin, wie sie am besten oppositionelle Politiker und Gewerkschafter umbringen."
Die Konflikte zwischen Kolumbien und Venezuela dauern – auch ohne US-Präsenz – bereits ein gutes halbes Jahrhundert. Meist ging es dabei um Erdölvorkommen im Norden des Golfs von Venezuela, auf die auch das Nachbarland Anspruch erhebt. Um diesen zu betonen, hat Kolumbien zweimal ernsthafte militärische Aktionen unternommen. Eine völlig andere Form von Konfrontation entstand durch eine kolumbianische Militäraktion auf ecuadorianischem Gebiet. Im März 2008 hatte eine Sondereinheit dort ein Lager der kolumbianischen Guerillaorganisation FARC angegriffen. Präsident Correa war empört:
"Ecuador erlebte einen gezielten Luftangriff und anschließend den Einmarsch kolumbianischer Truppen im vollen Bewusstsein, dass sie unsere Souveränität verletzten. Durch beide Angriffe aus der Luft und am Boden wurden 20 Mitglieder der FARC getötet, fast alle in Schlafanzügen. Das widerlegt die kolumbianische Version, hier habe es sich um einen legitimem Akt der Verteidigung gehandelt. Es war ein Massaker."
Dabei wurde einer der wichtigsten Anführer der FARC liquidiert. Der Gewaltakt auf dem Hoheitsgebiet eines befreundeten Landes wurde fast überall in Lateinamerika scharf abgelehnt. Am heftigsten reagierte wie gewohnt Hugo Chávez in der Rolle des selbsternannten Wortführers seiner linken Kollegen.
"Herr Außenminister, schließen Sie unsere Botschaft in Bogotá und holen Sie alle Diplomaten zurück. Herr Verteidigungsminister, mobilisieren Sie mir sofort zehn Bataillone an der Grenze zu Kolumbien, Panzer-Bataillone. Und machen Sie die Luftwaffe startklar. Wir wollen keinen Krieg, aber wir werden ihn auch nicht dem nordamerikanischen Imperium erlauben und seinem Speichellecker Uribe und der kolumbianischen Oligarchie, die uns spalten und schwächen wollen."
Kolumbiens Präsident Uribe stellt sich gern als das harmlose Opfer der chavistischen Polemik dar, doch sein grenzüberschreitender Kampf gegen den Terror deckt sich mit der US-amerikanischen Präventivschlag-Doktrin. Sie erlaubt im Antiterrorkampf einen nahezu unbeschränkten Einsatz militärischer Mittel und betont das Erst-Schlag-Recht. Auch haben die USA in den letzten Jahren bereits durch die Aufrüstung des kolumbianischen Militärs im Rahmen des Plan Colombia für eine zunehmende Militarisierung der Region gesorgt. Chávez, in Venezuela, hat beispielweise seine Milliardengewinne aus dem Ölgeschäft mit den USA zum Teil dazu verwendet, den desolaten Zustand seiner Truppen zu verbessern. In den letzten sechs Jahren hat er sechs Milliarden Dollar in Waffenkäufe investiert. Das heißt aber noch lange nicht, dass Venezuela Kolumbien militärisch gewachsen wäre. Die venezolanische Sicherheitsexpertin Rocío San Miguel.
"Viele dieser Waffensysteme sind bis heute nicht angekommen. Auch ist die Ausbildung an diesen Waffen keineswegs optimal. Es gibt außerdem einen großen Unterschied in der Truppenstärke. Die kolumbianischen Streitkräfte verfügen über 300.000 Mann, während die venezolanische Armee nur 130.000 Mann umfasst. Selbst die Luftwaffe, die bei einem Konflikt zwischen beiden Ländern eine zentrale Rolle spielen würde, ist stark benachteiligt. Die Kolumbianer besitzen US-amerikanische F-16-Kampfjets mit gut trainierten Piloten, während die neuen russischen SU-30-Flugzeuge wegen fehlender Piloten kaum einsatzfähig sind."
Deshalb ist das Kriegsgeschrei von Hugo Chávez nicht ganz ernst zu nehmen. Es gibt jedoch durchaus explosive Konflikte, zum Beispiel im Grenzgebiet beider Länder. Sie haben sich in den letzten Wochen gefährlich zugespitzt.
"Zwei Angehörige der Nationalgarde wurden an einem Grenzposten in Táchira ermordet. Die venezolanischen Behörden nahmen einen Verdächtigen fest und teilten mit: Die beiden Militärs seien Opfer von Repressalien in Folge der Maßnahmen geworden, die Venezuela gegen den Schmuggel von Benzin und die Erhöhung der Lebensmittelpreise verhängt hatte. Daraufhin wurden die Grenzen in dieser Region erneut geschlossen."
Was der Reporter von Globovisión berichtet, geschah Anfang November. Es war ein weiterer Höhepunkt in einer Entwicklung, die am 11. Oktober begonnen hat. Damals wurden im Bundesstaat Táchira zwölf Männer, meist Venezolaner, entführt und zwei Wochen später ermordet aufgefunden. Es hieß, sie seien Opfer eines Racheaktes kolumbianischer Guerilleros geworden. Jedenfalls erschienen kurz darauf Flugblätter, welche die Handschrift ihrer Gegner, der Paramilitärs, trugen.
"Wir haben die unwiderrufliche Entscheidung getroffen, Gewalt zu verbreiten. Wir werden aber nicht nur alle Würmer zertreten. Jetzt sind auch die Schurken an der Reihe, die uns verfolgen. Wer mit ihnen kollaboriert, dem geschieht dasselbe. Tod allen Hunden!"
Außerdem forderte das Pamphlet alle Händler auf, am folgenden Tag ihre Läden als Zeichen des Protestes nicht zu öffnen. Die meisten von ihnen hielten sich daran: Das Leben in der Grenzstadt San Antonio erstarrte. Zwei Tage danach feuerten mehrere Motorradfahrer auf die venezolanischen Grenzposten und erschossen zwei von ihnen. Wieder machte Venezuela die Grenze dicht, und Verteidigungsminister Ramón Carrizález erklärte:
"Das alles ist Teil eines Planes, in dem die Paramilitärs die Vorhut bilden, um Venezuela zu destabilisieren. Sie sind auch die Speerspitze einer anderen Bedrohung unseres Landes und ganz Südamerikas, nämlich der Militärbasen der Yankees auf kolumbianischem Gebiet, die sich gegen nichts anderes richten als den venezolanischen Prozess und die Auswirkungen auf Lateinamerika durch die revolutionäre Bewegung in Venezuela."
Diese Erklärung entspricht der offiziellen Rhetorik. Aber die Situation in der Grenzregion zwischen Kolumbien und Venezuela wurde politisch zunehmend aufgeheizt. Dort leben vom kleinen Grenzverkehr Zehntausende von Menschen. Sie sind es gewohnt, auf beiden Seiten Handel zu treiben oder einzukaufen. Doch daneben hat schon lange der Schmuggel sein blühendes Unwesen getrieben. Ein Liter Benzin kostet in Venezuela nur ein paar Cent, in Kolumbien dagegen ein Vielfaches davon. Ein ganzes Heer von Schmugglern kümmert sich deshalb um die billige Versorgung mit Kraftstoff im anderen Land. Schließen die Venezolaner die Grenze, dann kommt es auf der anderen Seite zu Engpässen. In den letzten Jahren haben jedoch auch die kolumbianischen Gewalttäter die Region als ihr Aktionsfeld entdeckt. Die Sicherheitsexpertin Rocío San Miguel:
"Wir erleben hier die Folgen der Beendigung des Konfliktes in Kolumbien. Einige eigentlich entwaffnete Teile der Konfliktparteien, Guerillas wie Paramilitärs, haben sich in Venezuela eingenistet. Vor zehn Jahren hatten sich Guerillas auf wenige Gebiete unseres Landes zurückgezogen. Aber jetzt sind die Paramilitärs hinzugekommen. Das hat die Gewalttätigkeiten außerordentlich gesteigert, denn diese bewaffneten Gruppierungen arbeiten mit der Drogenmafia und dem Waffenschmuggel zusammen. Und bedrohen inzwischen die Souveränität und die territoriale Integrität des Staates."
Die Gemengelage ist gefährlich, denn ein weiterer Faktor kommt hinzu. Die Grenzregion gehört auf venezolanischer Seite zu Bundesstaaten, die von der Opposition regiert werden. Diese ist Chávez nicht nur ein Dorn im Auge. Er hält sie schlicht für den verlängerten Arm des "Imperiums", also der USA, und versucht mit allen Mitteln, ihr Schwierigkeiten zu bereiten. Deshalb gehen die Schlagbäume beim geringsten Problem herunter, was die Bevölkerung auf die Barrikaden treibt. Immer wieder demonstrieren sie gegen solche Schikanen, zuletzt in der am meisten betroffenen Stadt San Antonio de Táchira. Ein Bewohner:
"Die Männer und Frauen dieser Grenzregion leiden tagtäglich schrecklich unter der Hetze und dem Druck der Regierung, unter den Folgen ihrer Meinungsverschiedenheiten mit dem Bruderland Kolumbien. Wir protestieren zusammen mit der Zivilgesellschaft, Unternehmern und Händlern hier an dieser konfliktreichsten Grenze Lateinamerikas, weil wir sowohl die Politik der militaristischen Zentralregierung gegen die kolumbianische Regierung ablehnen als auch die Restriktionen hier in San Antonio de Táchira wie in Ureña."
Die Opposition macht auch in anderen Bereichen immer häufiger Front gegen Chávez' Politik, ein weiterer Konfliktherd in der venezolanischen Gesellschaft. Der Regierungschef verstärkt ihn bewusst durch seine verbalen Attacken, durch zahlreiche Einschränkungen für Radio- und Fernsehsender und überhaupt durch seinen Umgang mit der Opposition. Rocío San Miguel:
"Der Bundesstaat Táchira wird von einem Gouverneur der Opposition angeführt, der unendlich viele Schwierigkeiten mit der Zentralregierung gehabt hat, wie auch alle anderen Gouverneure der Opposition. Der Dissens zwischen beiden Seiten hat inzwischen das Ausmaß von Kriminalisierung angenommen, was unsere Demokratie schwer schädigt. Oft wird nicht mehr politisch argumentiert, sondern mit Gerichtsverfahren gegen die Opposition vorgegangen. Dadurch wurde das Defizit an demokratischen Standards im Verhalten gegenüber der Opposition und der Kritik an Präsident Chávez immer größer."
Statt Konflikte zu beseitigen und sich beispielsweise um die zunehmende Paramilitarisierung der Grenzregion ernsthaft zu kümmern, sucht er sich spektakulärere Schauplätze und verschärft die Lage. Vor wenigen Tagen ließ er zwei Hängebrücken zerstören, welche die Bevölkerung im Departement Santander gebaut hatte, um leichter in die benachbarten venezolanischen Ortschaften zu gelangen. Ein Reporter von CNN en español:
"Vor wenigen Minuten hat der kolumbianische Verteidigungsminister Gabriel Silva bestätigt, dass zwei künstlich angelegte Brücken aus Holz und Seilen ... über den Rio Táchira von Uniformierten gesprengt worden sind. Der Minister hat diese Situation als äußerst schwerwiegend bezeichnet, weil sie die Sicherheit der Zivilbevölkerung gefährdet. Diese Aktion würde sowohl den Vereinten Nationen als auch der Organisation Amerikanischer Staaten gemeldet werden , da sich dadurch die schwierigen Beziehungen beider Länder weiter kompliziert hätten."
Eigentlich hat Präsident Chávez alle Hände voll zu tun, um sein Projekt eines Sozialismus des 21. Jahrhunderts voranzutreiben, denn es erlebt zurzeit einen Rückschlag nach dem anderen. Erst vor Kurzem musste er Stromsperren verhängen und die Bevölkerung auffordern, nur noch eine "revolutionäre Dusche" von drei Minuten Dauer zu nehmen, weil die Wasservorräte gefährlich gesunken sind. Die Lebensmittelversorgung stockt mitunter, weil der Handel mit den kolumbianischen Hauptlieferanten durch viele Grenzblockaden fast zum Erliegen gekommen ist. Auch hat es die Regierung bis heute nicht fertiggebracht, die Agrarwirtschaft in dem fruchtbaren Land so weit anzukurbeln, dass sie die Bevölkerung problemlos ernähren könnte. Die Infrastruktur ist im ganzen Land äußerst marode, die U-Bahn von Caracas befindet sich kurz vor dem Kollaps.
"Neben der wirtschaftlichen und sozialen Situation ist die Sicherheitslage der Bürger eines der gravierendsten Probleme. Der venezolanische Staat ist ein Pulverfass mit 12.000 Morden pro Jahr und 700 bis 900 Entführungen von langer Dauer, ganz abgesehen von den sogenannten Express-Entführungen, von denen täglich Tausende betroffen sind, die aber nur kurze Zeit dauern und relativ wenig Geld für die Freilassung kosten. Eine wirklich perverse Situation, welche die Fundamente der Stabilität des ganzen Landes bedroht."
Doch anstatt solche Existenzprobleme Venezuelas zu lösen, ruft Präsident Chávez lieber zum Kampf an anderen Fronten auf: gegen "das US-Imperium", das Venezuela durch seine Militärbasen in Kolumbien bedrohe; oder gegen Kolumbien und seinen "Erzfeind" Uribe, der ihm mit den Paramilitärs eine "fünfte Kolonne" ins Land geschickt habe, um die bolivarianische Revolution zu unterwandern.
Vermittlungsbemühungen des brasilianischen Präsidenten Lula da Silva hat er abgelehnt, obwohl es diesem gerade erst gelungen ist, im Konflikt zwischen Kolumbien und Ecuador eine diplomatische Lösung zu finden. Immerhin hat Chávez seine Massen inzwischen "für den Frieden" demonstrieren lassen und auch rhetorisch etwas abgerüstet.
"Jemand aus dem Volk hat besorgt gesagt, dass Chávez zum Krieg aufrufen würde. Aber das ist Feindpropaganda. Ich rufe zu keinem Krieg auf, sondern das Yankee-Imperium. Ich rufe alle Venezolaner auf, dieses Land zu lieben und sie zu verteidigen, diese heilige Erde von Venezuela. Das ist etwas ganz anderes."