Monika Seynsche: Jetzt haben US-amerikanische Forscher ein bislang unbekanntes Reservoir von Viren entdeckt – blutbildende Zellen, sogenannte Progenitorzellen. Mein Kollege Martin Winkelheide ist hier im Studio. Herr Winkelheide, Sie beobachten die Aidsforschung schon seit vielen Jahren. Ist es eine überraschende Neuigkeit, dass die HI-Viren diese blutbildenden Zellen befallen können?
Martin Winkelheide: Man hat die Zellen schon länger im Verdacht, dass sie empfindlich sind für HI-Viren. Aber es ist doch schwierig, blutbildende Zellen, also Blutstammzellen in Kultur zu halten, ohne dass diese Zellen anfangen, sich zu spezialisieren, also dass aus ihnen dann rote Blutzellen werden oder weiße Blutzellen oder Blutplättchen. Und deswegen war bislang die Beweisführung so schwierig. Und Catherine Collins von der University of Michigan und ihre Kollegen haben also sehr lange an den Laborbedingungen herumgebastelt, damit sie dann wirklich dann nachweisen konnten: Ja, die Vorläuferzellen, diese blutbildenden Zellen, sind empfindlich für HI-Viren und sie werden auch tatsächlich infiziert.
Seynsche: Was passiert denn, wenn diese blutbildenden Zellen infiziert werden?
Winkelheide: Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die Viren fangen an, sich zu vermehren, das ist für die Zellen tödlich, die gehen dann kaputt, aber je mehr Viren produziert werden, umso mehr Nachbarzellen können eben auch infiziert werden. Oder Variante Nummer zwei: Die Zellen ruhen und die Viren ruhen in ihnen auch und vermehren sich nicht und bleiben dann sozusagen wie in einem Winterschlaf liegen. Aber man weiß eben nicht, wie lange sie liegen bleiben. Und dann, wenn die Zelle anfängt sich zu differenzieren und aktiviert wird und auch das Virus aktiviert wird, dann geht es wieder los, also das heißt, diese Zellen, diese ruhenden Zellen mit den schlummernden Viren drin, sind so etwas wie Zeitbomben.
Seynsche: Was bedeutet denn diese Entdeckung jetzt für die Behandlung von Aidskranken?
Winkelheide: Für HIV-Infizierte ja erstmal, denn es geht ja erstmal darum, die Zahl der Viren zu reduzieren. Und es gab ja Konzepte, das man sagte, die Medikamente haben starke Nebenwirkungen, können wir nicht vielleicht Medikamente einsparen und Medikamentenpausen machen – drugholidays, wie das so als Schlagwort hieß. Und dieser Fund ist jetzt ein Argument mehr, dass man einsieht: Nein, diese Medikamentenpausen sind gefährlich.
Seynsche: Weil dann immer wieder neue Viren aus diesen Zellen kommen können?
Winkelheide: Weil dann immer wieder aus Reservoirs neue Zellen herauskommen können und man eben nie vorhersagen kann, wann die Viren aktiv werden und sich weiter vermehren und auf andere Zellen übergehen und die dann wieder anstecken. Man weiß, es reicht ein Virus, was sozusagen aktiv wird, um eine ganze Infektionskette wieder auszulösen – und das ist gefährlich. Also ein Argument mehr, diese Medikamente regelmäßig zu nehmen und so zu nehmen, dass die Viren sich tatsächlich nicht vermehren können.
Seynsche: Man hat jetzt dieses neue Reservoir gefunden. Was muss denn jetzt noch geklärt werden?
Winkelheide: Viele Fragen sind tatsächlich noch offen. Also man weiß jetzt, diese Zellen, diese Vorläuferzellen sitzen im Knochenmark, also sozusagen in der Schaltzentrale. Und man weiß aber nicht: Kommen die Medikamente, die man heute zur Verfügung hat auch bis dorthin, also wirken die tatsächlich? Dann weiß man nicht: Wie reif müssen die Zellen sein, um infiziert zu werden? Also werden vielleicht sogar richtig Blutstammzellen, die unreifste Form der Alleskönnerzellen oder fast Alleskönnerzellen infiziert? Und die Frage ist eben auch, kann man die Zellen irgendwie schützen und kann man das Reservoir irgendwie ausräumen? Denn diese Virusreservoirs im Knochenmark wie man jetzt weiß, aber auch im Darmgewebe zum Beispiel, sind ein großes Problem und das größte Hindernis dafür, eine HIV-Infektion tatsächlich zu heilen, also das Virus aus dem Körper rauszuschmeißen.
Seynsche: Vielen Dank an Martin Winkelheide über ein HIV-Versteck in blutbildenden Zellen.
Martin Winkelheide: Man hat die Zellen schon länger im Verdacht, dass sie empfindlich sind für HI-Viren. Aber es ist doch schwierig, blutbildende Zellen, also Blutstammzellen in Kultur zu halten, ohne dass diese Zellen anfangen, sich zu spezialisieren, also dass aus ihnen dann rote Blutzellen werden oder weiße Blutzellen oder Blutplättchen. Und deswegen war bislang die Beweisführung so schwierig. Und Catherine Collins von der University of Michigan und ihre Kollegen haben also sehr lange an den Laborbedingungen herumgebastelt, damit sie dann wirklich dann nachweisen konnten: Ja, die Vorläuferzellen, diese blutbildenden Zellen, sind empfindlich für HI-Viren und sie werden auch tatsächlich infiziert.
Seynsche: Was passiert denn, wenn diese blutbildenden Zellen infiziert werden?
Winkelheide: Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die Viren fangen an, sich zu vermehren, das ist für die Zellen tödlich, die gehen dann kaputt, aber je mehr Viren produziert werden, umso mehr Nachbarzellen können eben auch infiziert werden. Oder Variante Nummer zwei: Die Zellen ruhen und die Viren ruhen in ihnen auch und vermehren sich nicht und bleiben dann sozusagen wie in einem Winterschlaf liegen. Aber man weiß eben nicht, wie lange sie liegen bleiben. Und dann, wenn die Zelle anfängt sich zu differenzieren und aktiviert wird und auch das Virus aktiviert wird, dann geht es wieder los, also das heißt, diese Zellen, diese ruhenden Zellen mit den schlummernden Viren drin, sind so etwas wie Zeitbomben.
Seynsche: Was bedeutet denn diese Entdeckung jetzt für die Behandlung von Aidskranken?
Winkelheide: Für HIV-Infizierte ja erstmal, denn es geht ja erstmal darum, die Zahl der Viren zu reduzieren. Und es gab ja Konzepte, das man sagte, die Medikamente haben starke Nebenwirkungen, können wir nicht vielleicht Medikamente einsparen und Medikamentenpausen machen – drugholidays, wie das so als Schlagwort hieß. Und dieser Fund ist jetzt ein Argument mehr, dass man einsieht: Nein, diese Medikamentenpausen sind gefährlich.
Seynsche: Weil dann immer wieder neue Viren aus diesen Zellen kommen können?
Winkelheide: Weil dann immer wieder aus Reservoirs neue Zellen herauskommen können und man eben nie vorhersagen kann, wann die Viren aktiv werden und sich weiter vermehren und auf andere Zellen übergehen und die dann wieder anstecken. Man weiß, es reicht ein Virus, was sozusagen aktiv wird, um eine ganze Infektionskette wieder auszulösen – und das ist gefährlich. Also ein Argument mehr, diese Medikamente regelmäßig zu nehmen und so zu nehmen, dass die Viren sich tatsächlich nicht vermehren können.
Seynsche: Man hat jetzt dieses neue Reservoir gefunden. Was muss denn jetzt noch geklärt werden?
Winkelheide: Viele Fragen sind tatsächlich noch offen. Also man weiß jetzt, diese Zellen, diese Vorläuferzellen sitzen im Knochenmark, also sozusagen in der Schaltzentrale. Und man weiß aber nicht: Kommen die Medikamente, die man heute zur Verfügung hat auch bis dorthin, also wirken die tatsächlich? Dann weiß man nicht: Wie reif müssen die Zellen sein, um infiziert zu werden? Also werden vielleicht sogar richtig Blutstammzellen, die unreifste Form der Alleskönnerzellen oder fast Alleskönnerzellen infiziert? Und die Frage ist eben auch, kann man die Zellen irgendwie schützen und kann man das Reservoir irgendwie ausräumen? Denn diese Virusreservoirs im Knochenmark wie man jetzt weiß, aber auch im Darmgewebe zum Beispiel, sind ein großes Problem und das größte Hindernis dafür, eine HIV-Infektion tatsächlich zu heilen, also das Virus aus dem Körper rauszuschmeißen.
Seynsche: Vielen Dank an Martin Winkelheide über ein HIV-Versteck in blutbildenden Zellen.