Archiv


Gefährliches Ostseegut

Nach der Bombenentschärfung von Koblenz drängt sich der Verdacht auf, dass noch viele solcher Sprengkörper aus dem Zweiten Weltkrieg im Land unentdeckt herumliegen. Allerdings: Die Anzahl an Granaten und Bomben, die in der Ostsee schlummern, dürfte ungleich höher sein.

Von Verena Herb |
    "Bei konventionellen gehen wir von ungefähr 1,6 Millionen Tonnen in Nord- und Ostsee aus. Die chemische Munition beziffert sich auf etwas über 5000 Tonnen ."

    1,3 Millionen Tonnen konventioneller Munition findet sich alleine in der Nordsee, erklärt Tobias Knobloch, Chemiker am Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie. Er ist Mitglied einer Arbeitsgruppe von Bund und Ländern, die einen umfassenden Bericht über den Bestand von Munitionsaltlasten in deutschen Gewässern erstellt hat. Nach und nach soll ein umfangreiches und detailliertes Lagebild entstehen. Denn nach Meinung der Experten sind längst noch nicht alle tatsächlich durch Kampfmittel belasteten Flächen bekannt. Die Informationslage ist nach wie vor lückenhaft. Diese Lücken betreffen vor allem die Gewässer vor den Küsten Mecklenburg-Vorpommerns. Aussagen von Zeitzeugen zufolge soll beispielsweise auf einem ehemaligen Zufahrtsweg zum Verladehafen Wolgast weitere Munition versenkt worden sein. Daten und Fakten über diese Vorgänge wurden jedoch nie schriftlich festgehalten. Von anderen Regionen jedoch weiß man um die Belastung, besonders die Nordsee ist relativ gut erfasst. Tobias Knobloch:

    "Ein Versenkungsgebiet für konventionelle Munition ist das Gebiet Hooksiel Plate im Bereich der Jade. Weiter gibt es südlich von Helgoland ein Gebiet, in dem Tabun-Granaten versenkt worden sind, südlich des kleinen Belts gibt es ein Gebiet, wo chemische Munition als auch alle Arten konventioneller Munition liegen."

    Dass unter Wasser mit dem Nervenkampfstoff Tabun gefüllte Granaten lagern, macht Angst. Doch sind gerade die chemischen Munitionen weniger gefährlich, weiß der Geologe Niels-Peter Rühl, Berater des Bundesumweltministeriums und ebenfalls Mitglied der Arbeitsgruppe:

    "Es ist so, dass manche, insbesondere die besonders problematischen Nervenkampfstoffe wie Phosgen und Tabun, wenn sie ins Meer gelangen, durch die Hydrolyse relativ schnell abgebaut werden zu unproblematischen Produkten. Und von daher könnte man sagen: Das ist kein schlechter Platz."

    Anders indes sieht es bei der konventionellen Munition aus. Häufig liegen die Bomben und Granaten bereits seit 65 Jahren im Meer – das hat Auswirkungen. Tobias Knobloch:

    "Insbesondere die instabil gewordene Altmunition ist da sehr empfindlich. Und verhält sich nicht wie neuwertige Munition. Im Zweifelsfall sind sie anfälliger zu explodieren als neuwertige Munition."

    Und so besteht eine latente Gefährdung für die Seefahrt im Allgemeinen, aber auch für Personen, die direkt mit dem Meeresboden in Verbindung kommen. Taucher zum Beispiel, die bei Bauvorhaben wie Pipeline-Verlegungen oder Off-Shore-Anlagen eingesetzt werden. Aber auch für die Schleppnetzfischerei. Die Arbeitsgruppe empfiehlt diesbezüglich Fischereiverbote zum Beispiel im ehemaligen Munitionsversenkungsgebiet Helgoländer Loch sowie Merkblätter mit Verhaltensregeln für die betroffenen Personengruppen.

    Die Bergung oder Beseitigung der Munition muss sorgfältig abgewogen werden, sie ist ein teures und planungsaufwendiges Projekt, macht Niels-Peter Rühl deutlich. Die Experten empfehlen, erneut Untersuchungen für die Hauptbelastungsgebiete durchzuführen, mit einer entsprechenden Risikoanalyse.

    "Wenn diese Risikoanalyse ergibt, dass es eine unmittelbare Gefahr gibt, für Menschen oder auch für die Umwelt, dann sollte die Bergung eine Alternative sein. Aber auch nur dann."