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Gefälschte Internet-Profile
Der falsche Freund im Netz

Zwei Jahre lang steht Victoria Schwartz mit Kai in Kontakt. Sie hat ihn im Netz kennengelernt und mit der Zeit Vertrauen zu ihm gefasst, sie schicken sich Briefe und Geschenke. Bis Schwartz feststellt: Kai gibt es nicht. Jemand hat sich sein Internet-Profil ausgedacht. Die Geschichte ist kein Einzelfall.

Von Catalina Schröder |
    Der Schatten eines Jugendlichen mit einem Laptop
    Mit falschen Profilen im Internet erschleichen sich sogenannte Realfakes das Vertrauen ihrer Opfer (dpa / Armin Weigel)
    "Mir ist ein Realfake auf Twitter begegnet. Und dieser Realfake hat sich im Grunde nicht nur meine Aufmerksamkeit, sondern auch - und das finde ich eigentlich das Perverse daran - auch ein bisschen mein Vertrauen erschlichen, weil diese Person sehr genau wusste, worauf ich anspringe. Sprich, das eine Profil war ein Celloliebhaber. Das nächste Profil fuhr genau das gleiche Motorrad wie ich. Das dritte Profil hatte auch einen Golden Retriever, der 16 war, und so ging das im Grunde weiter und dann gab’s eben auch ein Profil, der sich als Pfleger ausgegeben hat."
    Realfakes erschleichen Vertrauen, Zuneigung oder Liebe
    Dunja Hayali, Moderatorin des ZDF-Morgenmagazins, sitzt nach einer Live-Sendung morgens um kurz vor zehn in ihrem Büro im ZDF-Hauptstadtstudio. Sie erzählt eine Geschichte, die ihr, die viel auf Twitter und Facebook aktiv ist, kürzlich passiert ist. Hayali will damit andere Internetnutzer warnen: vor Menschen, die unter erfundenen Identitäten im Netz unterwegs sind und sich dort das Vertrauen, die Zuneigung und manchmal sogar die Liebe anderer erschleichen. Man nennt diese Menschen Realfakes. Anders als bei Bots steckt hinter einem Realfake kein Computerprogramm, sondern eine echte Person. Und im Unterschied zu Trollen geht es Realfakes nicht ausschließlich darum, andere zu provozieren.
    "Ein Realfake ist eine Person im Internet, die vorgibt echt zu sein, einen Social-Media-Account hat und dazu dann aber noch Freunde und Verwandte aufweisen kann und Mitschüler oder was auch immer, also ein großes Netzwerk hat, was die Echtheit bestätigt. Viele Fotos, die Accounts sind gut gemacht. Und im Laufe der Zeit stellt sich dann raus, dass es die Person nicht gibt, sondern jemand ganz anderes dahinter steckt, von dem man nichts weiß."
    Erklärt Victoria Schwartz. Die Hamburgerin ist selbst vor sechs Jahren Opfer eines Realfakes geworden.
    Über fast zwei Jahre freundete Victoria Schwartz sich damals in intensiven Chatgesprächen im Netz mit einem Mann namens Kai an. Erst auf Twitter, später per WhatsApp. Kai schrieb ihr Briefe, schickte Geschenke, auch für Schwartz Kinder. Er erfand sogar einen kompletten Freundeskreis. Doch irgendwann wurde Schwartz misstrauisch - und deckte nach langer Recherche auf, dass sich hinter Kai eine US-amerikanische Psychologin verbarg, die an einer Uni arbeitete.
    Komplexe Beweggründe
    Victoria Schwartz begann, über ihre Erfahrungen zu bloggen. 2015 brachte sie ein Buch zum Thema heraus. Seitdem hat sie hunderte Zuschriften erhalten von Menschen, die Opfer eines Realfakes geworden sind. Aber auch Realfakes selbst schreiben ihr immer wieder. Manche erklären ihr dann, wieso sie unter einer oder sogar mehreren falschen Identitäten im Netz unterwegs sind.
    "Also die Beweggründe sind ganz komplex und auch ganz unterschiedlich, es gibt überhaupt keine Studien dazu. Einige beginnen das einfach aus Langeweile, die wollen mal gucken, wie das ist, einen anderen Account zu haben. Dann gibt’s aber auch welche, die die Macht tatsächlich genießen, die gezielt Kontakt suchen zu anderen Personen und die emotional abhängig machen."
    Der Berliner Diplom-Psychologe und Stalking-Experte Wolf Ortiz-Müller hat noch eine weitere Erklärung:
    "Ich glaube, dass tatsächlich da im Grunde genommen auch eine bestimmte Selbstwertproblematik bei den Realfake-Personen hintersteht, nämlich, dass sie befürchten, wenn sie sich so präsentieren, wie sie nun mal sind, in dem Körper, in dem Alter, in der Rolle, mit diesem Hintergrund, könnte die andere Person sie zurückweisen. Und psychologisch würden wir natürlich immer fragen: Welches Ohnmachtsgefühl muss denn damit kompensiert werden? Also warum hat das denn jemand nötig?"
    Manchmal schwappen Beziehungen oder Freundschaften zwischen Realfake und Opfer auch ins echte Leben über. Dann telefonieren die beiden etwa miteinander, schicken sich, wie im Fall von Schwartz, Briefe oder Geschenke. Ein wichtiges Merkmal von Realfakes ist: Sie fordern ihre Opfer nicht auf, ihnen Geld zu schicken. Diese Menschen nennt man Scammer. Auch vor der Haustür ihres Opfers, wie es für Stalker üblich ist, tauchen Realfakes nicht auf. Schließlich funktioniert ihre Taktik nur, wenn sie anonym bleiben.

    Menschen, die unter falschen Identitäten im Netz unterwegs sind, gibt es vermutlich, seitdem das Internet existiert. Und nicht immer ist das ein Problem, findet der Psychologe Wolf Ortiz-Müller:
    "In Chatrooms würde man nie annehmen, dass derjenige, der sich da als Horst anmeldet, im wirklichen Leben Horst heißt."
    Das gestellte Foto zeigt eine maskierte Person, die mit einem Fernglas durch die Lamellen einer Jalousie hindurch eine Frau beobachtet, aufgenommen am 06.3.2007.
    Stalker suchen auch den direkten Kontakt zum Opfer - Realfakes bleiben hingegen immer anonym (picture alliance / dpa / Hans Wiedl)
    Keine Treffen, keine aktuellen Fotos: Zweifel angebracht
    Dunja Hayalis Realfake nahm Kontakt mit ihr auf, nachdem eine Fernsehreportage ausgestrahlt worden war, in der die Moderatorin ein Altenheim besucht und über die Missstände auf deutschen Pflegestationen berichtet hatte. Der Realfake schrieb ihr:
    "… dass er eben auch Erfahrungen gemacht hat, weil er in dem Beruf arbeitet ganz normal, wie in einer Kneipe fängt man dann natürlich an: Ach echt, wo denn und wie ist es denn bei Ihnen? Und ich hab die und die Erfahrung. Und: Sind Sie auch überfordert, überarbeitet? Verdienen Sie auch zu wenig? Wie gehen Sie mit Ihren Alzheimer-Patienten um? Also wir haben uns da wirklich intensiv ausgetauscht und ich wär nie auf die Idee gekommen, dass die Person kein Pfleger ist."
    Mehrere Wochen schrieb Dunja Hayali sich mit dem vermeintlichen Pfleger auf Twitter hin und her. Als sie beruflich in München zu tun hatte, wo der Mann angeblich lebte, vereinbarten sie sogar ein Treffen, dass dieser kurzfristig absagte. Angeblich, weil er arbeiten musste. Eine klassische Ausrede, weiß Autorin Victoria Schwartz aus vielen Gesprächen mit Opfern von Realfakes. Und ein Moment, in dem viele zum ersten Mal misstrauisch werden.
    "Die ersten Zweifel kommen eigentlich, wenn die Bitte nach Treffen immer wieder nach hinten geschoben wird oder wenn Treffen einfach nicht klappen. Und das zweite ist dann: Viele Opfer hätten dann gerne mehr Bilder, die so aus der Situation heraus geschossen werden und wundern sich dann, dass das halt immer ältere Bilder sind, aus dem Urlaub meinetwegen. Und dann wird schon mal gefragt: Ja, mach doch mal jetzt ein Selfie von dir und das geht dann natürlich auch nicht."
    Denn die Fotos, die Realfakes im Netz preisgeben, zeigen nicht sie selbst, sondern andere Personen. Sie haben die Bilder in der Regel von fremden Accounts oder Webseiten geklaut. Ein Verstoß gegen das Urheberrechtsgesetz, der mit einer Geld- und sogar mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren geahndet werden kann. Gerichtsverfahren gibt es in solchen Fällen aber so gut wie nie, da die Person, deren Bilder gestohlen wurden, oft gar nichts davon mitbekommt.
    Aufgeflogen ist der Realfake im Fall von Dunja Hayali, weil die Person nicht nur hinter einem, sondern gleich hinter mehreren gefälschten Accounts steckte, die alle mit Hayali Kontakt aufgenommen hatten. Anderen Followern der Moderatorin fiel auf, dass all diese Profile in einem sehr ähnlichen Duktus schrieben und ähnliche Rechtschreib- und Grammatikfehler machten. Eine Freundin von Hayali fand schließlich über eine aufwendige Recherche im Netz heraus, welche reale Person dahinter steckte und konfrontierte sie am Telefon. Sie gab sofort alles zu.
    Opfer haben Schuldgefühle und ziehen sich zurück
    "Sie sind in allererster Linie - ich jedenfalls - erst mal wahnsinnig wütend, weil das Zeitverschwendung war und weil man sich verarscht fühlt und ja auch verarscht wurde. Dann hinterfragt man sich, was man selber vielleicht hätte besser machen können und welche Konsequenzen man daraus zieht: Ziehe ich mich total zurück?"
    Genau das erlebt Victoria Schwartz sehr häufig.
    "Viele Opfer ziehen sich danach aus dem Internet erst mal total zurück und verdammen auch das Internet so ein bisschen und hadern auch wahnsinnig mit sich selber: Wie konnte ich so dumm sein. Und das Schlimme ist, dass viele, eigentlich die meisten, nicht mit ihrem Umfeld darüber reden können, was da los war. Weil da kommt dann Häme: Ja, hab ich dir doch gleich gesagt."
    Anlaufstellen, in denen die Opfer Hilfe bekommen, gibt es bislang nicht, berichtet Schwartz:
    "Es gibt ja zum Beispiel die Telefonseelsorge, aber es haben mir schon mehrere Opfer erzählt, dass sie angerufen haben und komplett auf Unverständnis gestoßen sind. Dass genau die Vorwürfe kamen: Ja, aber es ist ja nur das Internet. Sie müssen mal rausgehen und sich mal ablenken. Und das ist halt nicht der Punkt, das ist nicht das Problem des Opfers in dem Moment. Das Problem sind die Schuldgefühle, sich selber zu sagen: Mann, war ich bescheuert, wie konnte mir denn das jetzt passieren? Was macht mich denn zum Opfer?"
    Vortäuschen nicht strafbar - Belästigung schon
    "Ja, es ist im Grunde Betrug. Also wenn man es als Laie mal betrachtet. Ich bin ja auch kein Jurist, aber für mich ist es schon Betrug."
    Findet Dunja Hayali. Rein juristisch gesehen trifft das allerdings nicht zu, erklärt Gerald Spindler, der Jura-Professor von der Universität Göttingen ist Experte für Urheber-, Internet- und Telekommunikationsrecht.


    "Der Betrug nach Strafrecht verlangt eine sogenannte Vermögensverfügung und einen Vermögensschaden. Das ist ja hier nicht der Fall. Also Frau Hayali hat ja nun nichts an jemanden irgendwie bezahlt oder ist kein Geschäft eingegangen und nichts und gar nichts. Also das reine Vortäuschen irgendeiner Identität ist per se nicht strafbar."
    Der Klau fremder Profilbilder wäre es hingegen schon. Doch der wird wie beschrieben kaum verfolgt.
    Autorin Victoria Schwartz weiß aus Erfahrung, dass Realfakes sich in vielen Fällen zurückziehen, sobald sie enttarnt wurden, weil sie sich für ihr Verhalten schämen. Passiert das jedoch nicht und fühlt sich das Opfer von dem nun aufgeflogenen Fake belästigt, kann es sich gegen diese Belästigung juristisch wehren.
    "Also im Zentrum steht da Paragraf 238 Strafgesetzbuch, der berühmte Stalking-Paragraf, auch auf Deutsch Nachstellung, der also in seinen Tatbeständen tatsächlich auch das erlaubt zu verfolgen."
    TV-Journalistin Dunja Hayali kommt am 08.07.2015 zur Modenschau von Guido Maria Kretschmer bei der Mercedes-Benz Fashion Week in Berlin. Portraifoto.
    Auch die TV-Moderatorin Dunja Hayali wurde Opfer eines Realfakes (dpa / Matthias Balk)
    Erklärt Jurist Gerald Spindler.
    "Da muss man eben bei der Staatsanwaltschaft ne Anzeige machen, beziehungsweise bei der Polizei, die das dann eben ermittelt. Und dann wird gegen diese Person vorgegangen, also das geht schon und das geht dann mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe."
    Opfer muss schwerwiegende Beeinträchtigung nachweisen
    Nachweisen - beispielsweise durch ein psychologisches Gutachten - muss das Opfer dafür:
    "Eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung. Das ist der entscheidende Punkt."
    Soweit die Theorie des Strafrechts. Doch in der Praxis hilft das oft wenig: Der Nachweis einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung kann schwierig werden, wenn das Opfer noch bis vor kurzem freundschaftlich oder gar partnerschaftlich mit dem Realfake kommuniziert hat. Denn so eine Beeinträchtigung ist dann meist noch gar nicht eingetreten. Unter die Beeinträchtigungen fällt beispielsweise:
    "Das dürften dann Angstzustände sein. Also bei Charakteren, die jetzt vielleicht ein bisschen sensibler sind. Das dürfte dies Gefühl der Verfolgung sein und so weiter und so fort. Also die reine Belästigung selber, das erreicht noch keine Strafbarkeitsschwelle."
    Trotz Anzeige häufig keine Ermittlung
    Außerdem sind potenzielle Ermittlungen gegen Realfakes auch deshalb schwierig, weil viele Opfer, anders als Dunja Hayali, gar nicht herausfinden, wer hinter der falschen Identität steckt, mit der sie in Kontakt waren. Anzeige erstatten können sie also nur gegen Unbekannt.
    "Die Erfahrung lehrt leider aus dem Internet, dass es manchmal nicht besonders erfolgversprechend ist, diesen Weg einzuschlagen. Also unsere Polizei und genauso die Staatsanwaltschaften haben ja nun nicht nur damit zu tun, sondern mit allen möglichen Dingen, und die sind also teilweise hemmungslos überlastet."
    Anders gesagt: Auch wenn das Opfer Anzeige erstattet, wird die Ermittlung häufig nicht aufgenommen. Es wäre für die Behörden sehr aufwendig, der Anzeige nachzugehen und der Ausgang wäre ungewiss, sagt Gerald Spindler.
    Victoria Schwartz hielte eine Geld- oder gar Freiheitsstrafe ohnehin nicht für den richtigen Weg, einen Realfake zu bestrafen.
    "Also wenn ich mir völlig unrealistisch wünschen dürfte, was mit Fakes, die aufgedeckt werden, geschieht, dann würde ich mir wünschen, dass die ein Gespräch mit einem Psychologen, einer Psychologin haben müssten und da sich erklären. Und über ihren eigenen Kummer reden können, aber vielleicht auch erfahren, was sie dem anderen antun."
    Auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das Anfang Januar in Kraft getreten ist, hilft in Fällen von Realfakes in der Regel nicht weiter. Denn es besagt nur, dass Anbieter sozialer Netzwerke verpflichtet sind, "rechtswidrige Inhalte", wie Volksverhetzung, Anleitungen zu schweren Straftaten oder die Verbreitung verbotener Symbole binnen 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde zu entfernen oder zu sperren. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz greift jedoch nicht, wenn Menschen sich falsche Identitäten ausdenken.
    Jurist Gerald Spindler empfiehlt Menschen, die Realfakes enttarnt haben und sich dann von ihnen belästigt fühlen:
    "Das muss ich leider so sagen: am besten überhaupt nicht reagieren, das Ding im Sande verlaufen lassen. Das ist nämlich genau das, was die Leute wollen, dass man sich dann nämlich ihnen widmet. Accounts sperren, versuchen, Muster zu erkennen und dann ist es vorbei."
    Bei Verdacht Bilder googlen
    Als Victoria Schwartz vor sechs Jahren anfing, über dieses Thema zu bloggen, hatte sie häufig mit Opfern zu tun, die einem Fake mehrere Jahre auf den Leim gegangen waren. Heute, sagt Schwartz, tauche das Thema immer mal wieder in den Medien auf, sodass viele Leute schon mal davon gehört haben und einem Fake gegenüber schneller misstrauisch werden. Auch die technischen Möglichkeiten sind inzwischen ausgereifter. Victoria Schwartz kennt einen einfachen Trick, um potenzielle Realfakes zu enttarnen.
    "Also wenn man den Verdacht hat, sollte man zumindest schleunigst die Bilder mit der Bildersuche mal checken und gucken, ob die Bilder gestohlen wurden."
    Zum Beispiel mit der Bildersuche von Google. Dort kann man Fotos, auf denen der angeblich neue Freund aus dem Netz zu sehen ist, hochladen. Google durchforstet das Internet dann nach diesen Bildern - und wird, wenn es sich um einen Fake handelt, meist auf ganz anderen Social-Media-Profilen oder Webseiten fündig.
    Realfakes sind häufiger junge Frauen
    Obwohl auf den Bildern mal Männer und mal Frauen zu sehen sind, stecken hinter den Fakes, die sich Victoria Schwartz gegenüber offenbart haben, häufiger Frauen als Männer.
    "Der Großteil ist tatsächlich weiblich. Interessanterweise viele in Pflegeberufen, was ich wirklich interessant finde. So, als ob die ein Ventil brauchen. Eher jung, also die waren so im Alter von - ja tatsächlich einige ab 15, aber dann so bis 30. Bei Männern ist es häufiger dann so, dass die sexuelle Hintergedanken haben. Dass die eine völlig falsche Identität annehmen, um dann meinetwegen Nacktbilder zu bekommen."

    Auch nach welchen Mustern Fakes ihre Opfer aussuchen, darüber kann der Berliner Psychologe Wolf Ortiz-Müller nur mutmaßen:
    "Wenn es jemand Nicht-Prominentes ist, dann muss man sich angucken, also was ist die Motivation? Will jemand den anderen eher ärgern, austricksen, auch in dem Sinn vielleicht von Mobbing? Ihn mit einer Fake-Identität beleidigen, aus einer Gruppe rausdrängen? Oder will jemand den anderen für sich gewinnen? Also diese Menschen mit einer Realfake-Identität suchen ja auch gezielt aus und wollen eine Form von Intimität schaffen, die sich also zumindest mal in einer Exklusivität ausdrückt. Ich werde von dem anderen gesehen."
    Wolf Ortiz-Müller hat es in seiner Praxis schon häufiger erlebt, dass Menschen in der Anonymität des Internets einen Ausweg für ein Problem im realen Leben gesucht haben.
    "Wir haben das alltäglich, dass Menschen, die als Stalker zurückgewiesen wurden, sich bei Facebook oder irgendwo anders eine neue Identität zulegen, einen neuen Account zulegen und so tun, als wären sie jemand anderes. Und in meiner Praxis hatte ich das sehr deutlich bei einem jungen Mädchen von damals 17 Jahren, die in eine Schülerin verliebt war. Die hat die gestalked und wurde von der zurückgewiesen, hatte aber durchaus eine zeitlang viel Kenntnisse von ihr und hat es dann genutzt, um in einem Chatroom sich als Justus auszugeben und konnte wunderbar eingehen auf die Bedürfnisse, auf die Schwächen, auf die Sorgen der anderen, weil das ja schon bekannt war und hat sich dann sozusagen kompensatorisch das geholt, das Nähe-Gefühl geholt, was sonst nicht mehr zu halten gewesen wäre."
    Ist das Opfer berühmt, spielt laut Wolf Ortiz-Müller noch eine weiter Komponente eine Rolle:
    "Im Fall dessen, dass ich mir einen Prominenten suche, ist natürlich mein Bestreben, etwas von der Aufmerksamkeit oder etwas von dem Glanz, was das Promi-Dasein ausmacht, auf mich zurückscheinen zu spüren. Dann ist es ja auch so eine narzisstische Selbstüberhöhung, im Freundeskreis zu sagen: Ja, als ich gestern mit Dunja Hayali geschrieben hab, so. Das muss man gar nicht unbedingt nach außen kommunizieren, man kann auch innerlich sich sozusagen das beschädigte Selbstwertgefühl dadurch kompensieren, überkompensieren, dass man denkt: Ich weiß, was Dunja Hayali macht."
    Im Fall von Dunja Hayali verbarg sich hinter dem Realfake ein weiblicher Fan. Die Frau kontaktierte Hayali regelmäßig mit mindestens fünf Fake-Accounts. Gut möglich, dass auch sie es auf die Nähe zur prominenten Fernsehmoderatorin abgesehen hatte.
    Autorin Victoria Schwartz 
    Victoria Schwartz brachte 2015 ein Buch zum Thema Realfakes heraus (dpa / Georg Wendt)
    Jeder kann Opfer werden
    Klar ist für die Hamburger Autorin Victoria Schwartz, dass jeder, der sich viel mit anderen in sozialen Netzwerken austauscht, immer auch Gefahr läuft, Opfer eines Realfakes zu werden.
    "Wenn man sich die Opfer anguckt, kann man wirklich sagen, das kann jedem passieren. Das ist von Männern, Frauen im Alter von 14 bis 60. Und in ganz normalen Berufen, Studenten, teilweise Mediziner, dann auch Journalistinnen, es ist alles. Das sind eben die Leute, die im Netz offen sind, mit anderen zu kommunizieren, denen kann das halt passieren. Das sind nicht besonders einsame Menschen oder Menschen, die nur 24/7 im Internet hängen. Das ist der ganz normale Durchschnitt durch die Gesellschaft."