Die Terrormiliz Islamischer Staat soll in Syrien, Libyen und dem Irak Tausende Blankopässe erbeutet haben. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex hatte am Wochenende gewarnt, das Terroristen des IS mit solchen Pässen nach Europa einreisen könnten.
Das Interview mit Stephan Mayer in voller Länge:
Jochen Spengler: Die Terrormiliz des sogenannten Islamischen Staates hat in Syrien, Irak und Libyen in mehreren Städten die offiziellen Behörden übernommen und dabei sollen die Extremisten Tausende echte Blankopässe erbeutet haben. Das meldete die EU-Grenzschutzagentur Frontex am Wochenende und warnte davor, dass Terroristen, mit solchen Pässen versehen, nach Europa einreisen könnten. Deutsche Politiker zeigten sich alarmiert, fordern Einzelfallprüfungen für einreisende Flüchtlinge.
Am Telefon ist nun Stephan Mayer, der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Guten Tag, Herr Mayer.
Stephan Mayer: Grüß Gott, Herr Spengler.
"Gefahr hat sich erhöht, dass IS-Kämpfer nach Europa gelangen"
Spengler: Herr Mayer, vor zwei, drei Monaten hieß es noch beschwichtigend, Terroristen hätten andere, hätten bessere Möglichkeiten, zu uns zu gelangen, als im großen Heer der Flüchtlinge. Gilt diese Einschätzung jetzt nicht mehr?
Mayer: Diese gilt so mit Sicherheit nicht mehr. Da hat sich die Situation deutlich geändert und deutlich verschärft. Insbesondere nachdem die Balkan-Route die von den Flüchtlingen bevorzugte Fluchtroute wurde, stieg auch die Gefahr und hat sich mittlerweile deutlich erhöht, dass verkappt über den Flüchtlingsstrom auch IS-Kämpfer nach Europa gelangen.
Und es ist ja mittlerweile bewiesen: Mindestens zwei der Attentäter vom 13. November in Paris sind als Flüchtlinge getarnt zunächst mal über die Insel Leros eingereist und dann über den Balkan weiter nach Paris gereist. Dieses Thema ist kein abstraktes, sondern es ist bedauerlicherweise ein sehr, sehr konkretes.
"Es darf keinen Rabatt mehr bei der Sicherheit geben"
Spengler: Und das heißt konkret: Sie halten die Terrorbedrohung heute für größer, seitdem die Passdokumente in die Hände des IS geraten sind?
Mayer: Ja. Bekanntermaßen verfügt der sogenannte Islamische Staat ja über Zugriff auf die Behördenstrukturen der Städte und der Orte, die er erobert hat, und deswegen ist natürlich jetzt diese Dimension eine neue. Aber es war schon davor bekannt, dass der sogenannte Islamische Staat über die Möglichkeit verfügt, Passdokumente auszustellen.
Wichtig ist nur, dass die Seriennummern dieser Dokumente jetzt eingestellt werden ins Schengener Informationssystem und dass wirklich lückenlos jeder überprüft und kontrolliert wird, der in den Schengen-Raum einreist, auch EU-Bürger. Es darf hier keinen Rabatt mehr geben bei der Sicherheit. Es muss bei jedem zunächst mal kontrolliert werden, ob es sich um ein echtes Passdokument handelt, das er vorweist, und dann auch entsprechender Abgleich vorgenommen werden mit den Sicherheitsdatenbanken der Europäischen Union.
"Erkenntnisse über die Seriennummern der Pässe"
Spengler: Aber wie sollen denn die europäischen Sicherheitsbehörden wissen, welche Seriennummern der IS in die Hände bekommen hat?
Mayer: Gott sei Dank arbeiten ja auch die Nachrichtendienste sehr gut zusammen und es gibt durchaus Erkenntnisse über die Seriennummern der Pässe, die der sogenannte islamische Staat erbeutet hat, und ein Teil dieser Seriennummern konnte auch schon erfolgreich in das Schengener Informationssystem eingespeist werden, sodass durchaus dann auch beim Grenzübertritt die Möglichkeit besteht, einen Abgleich vorzunehmen mit den Daten, die registriert sind beim Schengener Informationssystem.
Spengler: Nun haben Unions-Innenpolitiker - ich vermute, Sie schließen sich da an - und auch Innenpolitiker der SPD Einzelfallprüfungen für syrische Flüchtlinge gefordert. Das Innenministerium hat heute auch noch mal bestätigt, das wird es geben. Aber im Prinzip ist diese Einzelfallprüfung schon Anfang Dezember beschlossen worden. Warum wird sie nicht längst praktiziert?
Mayer: Das ist sehr richtig. Das war uns auch schon vor dieser neuen Erkenntnislage ein sehr wichtiges Thema, nachdem ja es auch Erkenntnisse gibt, dass 30 Prozent der Flüchtlinge, die behaupten, Syrier zu sein, es tatsächlich gar nicht sind. Deswegen müssen wir schnellstmöglich wieder zur Einzelfallprüfung zurückkehren. Die Vorarbeiten dafür sind gewährleistet.
Es ist wichtig, dass jeder Flüchtling, der behauptet, aus Syrien zu kommen, zumindest einmal auch Gesicht zu Gesicht einem Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gegenübersitzt, um dann auch entsprechend im persönlichen Gespräch feststellen zu können, ob es sich tatsächlich um einen syrischen Staatsangehörigen handelt, oder ob er vermeintlich nur vorgibt, Syrer zu sein und es tatsächlich gar nicht ist.
"Persönliche Befragung aller Asylbewerber in Deutschland"
Spengler: Das ist richtig. Aber warum gibt es diese Einzelfallprüfung nicht schon längst?
Mayer: Die ist jetzt wieder beschlossen worden Anfang Dezember. Das dauert natürlich immer eine gewisse Zeit, bis es umgesetzt wird. Aber ich habe auch noch mal die Rückmeldung aus dem Bundesinnenministerium bekommen, dass die Voraussetzungen dafür getroffen sind, dass schnellstmöglich auch wieder zur Einzelfallprüfung zurückgekehrt wird.
Spengler: Was schätzen Sie denn, ab wann es soweit ist, Herr Mayer?
Mayer: Ich gehe davon aus, dass in den nächsten Tagen mit der Einzelfallprüfung wieder begonnen wird, und natürlich fordert dies auch mehr Personalaufwand, auch mehr Bürokratie. Aber gerade die Erkenntnisse, was die Bedrohungssituation durch den sogenannten Islamischen Staat in den letzten Wochen anbelangt, zeigen, dass wir hier keinen Rabatt geben dürfen bei der Sicherheit.
Deswegen muss lückenlos jeder Flüchtling zum einen mal zeitnah registriert werden, wenn er nach Deutschland kommt. Deutschland muss den Anspruch erheben, dass wir wissen, wer in unser Staatsgebiet einreist, und dass dann auch eine persönliche Befragung, ein persönliches Interview aller Asylbewerber und aller Flüchtlinge auch in Deutschland stattfindet.
Spengler: Das ist die Meinung von Stephan Mayer. Herr Mayer, herzlichen Dank. Sie sind innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.