Jugendstrafanstalt Berlin, belegt mit derzeit 320 Gefangenen. Jeden Tag, sogar am Wochenende, werden hier Therapie- und Resozialisierungsprogramme angeboten, sagt Janina Deininger, Leiterin der sozialpädagogischen Abteilung:
"Suchttherapiegruppen, Alkoholgruppe, Antigewalttrainingskurse, soziale Trainingskurse, auch Ausbildungs- und Schulmaßnahmen, denn das soll sie letztendlich später auch qualifizieren, außerhalb des Gefängnisses sich integrieren zu können."
Wer von ihren Schützlingen Christ oder Muslim ist, kann Janina Deininger nicht sagen. Die Religionszugehörigkeit wird nicht erfasst. Nur anhand der "islamkonformen Essensausgaben" - also ohne Schweinefleisch - kann sie einschätzen, dass mehr als die Hälfte der Insassen Muslime sind. Jugendsozialarbeiter Thomas Mücke bietet mit seinem Verein Violence Prevention Network Kurse im Gefängnis an: 23 Sitzungen zu je vier bis fünf Stunden. Es geht um Abschied nehmen von Hass und Gewalt:
"Wir haben einen Vorteil: Wir kommen von außen. Wir sind nicht Teil der Anstalt. Es hat sehr viel damit zu tun, dass die jungen Menschen das Gefühl haben: Da ist mir jemand gegenüber, der meint es ernst. Das sind ja oft junge Menschen, die in ihrem Leben Anerkennungsdefizite bekommen haben."
Orientierungslos in den Islamismus
Das ist einer der Gründe, warum sie ein islamistisches Weltbild entwickeln. Gerade junge Gefangene seien ausgesprochen orientierungslos. Oft fehle eine positive Vaterfigur. Die jungen Männer suchten Autorität und Identifikation. Internet gebe es zwar nicht im Gefängnis, aber manchmal reichten schon Fernsehbilder. Thomas Mücke:
"Natürlich verfallen sie schnell solchen Verschwörungstheorien, Muslime werden weltweit verfolgt, muslimische Frauen werden vergewaltigt, muslimische Kinder werden getötet und versuchen, auf ein diffuses Gerechtigkeitsgefühl anzusprechen: Ihr dürft da nicht zuschauen, ihr müsst da was machen; und junge Menschen fallen da oft auch drauf rein."
Jugendsozialarbeiter Thomas Mücke versteht sich selbst als Atheist. Deswegen geht er immer zusammen mit einem muslimischen Kollegen ins Gefängnis. Ziel ist die Dekonstruktion festgefügter Weltbilder:
"Und das ist dann ein Türöffner, auch mit ihnen über dieses Thema zu reden, und dann erfahren sie schon manchmal, aha, der Islam ist anscheinend doch noch mal was anderes als das, was ich bis jetzt in der neosalafistischen Szene gehört habe."
Nicht nur, dass es im Gefängnis keine genauen Angaben über die Religionszugehörigkeit gibt. Auch ist unklar, wie viele der Gefangenen bereits radikalisiert sind. Berlins Justizsenator Thomas Heilmann sieht aktuell aber keine Gefährdungslage:
"Wir haben, ich glaube, aktuell acht Gefangene, die aus einem radikal-islamistischen Hintergrund in Haft sitzen. Das sind die Syrien-Heimkehrer und ähnliche. Die sind also nicht in der Haftanstalt radikalisiert, sondern die sind radikalisiert und sitzen jetzt in Haft. Wir haben bisher keine Anhaltspunkte dafür, dass in der Haft, wie es ja in anderen Ländern leider der Fall war, Muslime radikalisiert werden oder wurden."
Muslime gegen Radikalisierung
Keine Radikalisierung in Gefängnissen? Chalid Durmosch vom muslimischen Verein "Lichtjugend" sieht das anders:
"Gerade im Gefängnis, wo man das Gefühl hat, als Außenseiter da zu stehen, wo man die Schuld bei anderen sucht und die Gesellschaft als Schuldigen sieht, ist auch dieses salafistische Gedankengut sehr attraktiv."
Akademisch ausgebildete Muslime, Juristen, Ingenieure, Mediziner, aber keine Theologen, haben nach den Anschlägen vom 11. September 2001 den Verein "Lichtjugend" gegründet, um über den Islam aufzuklären. Die Polizei selbst habe den Verein gebeten, auch in Gefängnisse zu gehen, um Gefangene religiös zu betreuen. Als Muslime hätten sie oftmals einen besseren Zugang als die Therapeuten im Gefängnis, meint Durmosch:
"Ich nehme so eine Art Parallelwelt wahr. Wenn Jugendliche sagen, ich gehe zum Antigewaltkurs und mache hier diesen Kurs, aber da geht es mir nur darum, meine Kumpels zu sehen. Da geht es mir nur darum, Haftverschonung oder Hafterleichterung zu erreichen, aber der Rest ist mir völlig wurscht, was gelabert wird, das geht mich nichts an. Und das nehm ich nicht ernst."
Durmosch bietet zusammen mit anderen Ehrenamtlichen einmal in der Woche einen zweistündigen Islamunterricht an, Platz für gerade einmal zwölf Insassen in der Jugendstrafanstalt Berlin. Immer wieder versuchen sie die jungen Gefangenen davon zu überzeugen, dass ein Muslim seinen Glauben friedlich vertreten soll:
"Jugendliche fragen auch immer wieder: Müssen wir nicht in den Dschihad ziehen? Wir haben auch Pappenheimer, die sagen, wenn ich hier raus komme, dann geh ich nach Israel als Beispiel und spreng mich in die Luft oder: Dschihad heißt ja Anstrengung, Anstrengung auf dem Wege Gottes, und es ist keine Anstrengung auf dem Wege Gottes, seine Kunstwerke zu zerstören."
Der Mensch als Kunstwerk Gottes sei zu schützen. Ihn als Muslim würden die Gefangenen als Glaubensbruder und als Autorität anerkennen. Durmosch sagt, es brauche eine Einzelseelsorge von Muslimen für Muslime. Vor gut drei Jahren hatte es dazu bereits ein Ausbildungskonzept in Berlin gegeben, doch Justizsenator Thomas Heilmann hatte das Projekt gestoppt, aus Sicherheitsgründen, wie es hieß. Jetzt soll ein Beirat aus muslimischen wie nichtmuslimischen Vertretern das Projekt weiterführen. Aber muslimische Seelsorge sei sowieso kein Mittel gegen radikalen Islamismus, meint Heilmann:
"Ich kann ja den radikalisierten Muslim gar nicht zwingen, zum Imam zu gehen, geschweige denn mit ihm vernünftig zu reden."
Durmosch dagegen meint, in Einzelgesprächen könnten Seelsorger radikalisierte junge Muslime besser erreichen. Solange aber eine muslimische Individualseelsorge nicht möglich ist, bleibt nur die Aufklärung in der Gruppe:
"Wieso bete ich? Was ist der Grund des Fastens? Diese Inhalte, die oftmals auf der Strecke bleiben, sind verbindende Elemente, die interreligiös zusammenschweißen. Also ein Jude hat auch seine Gebete zu machen, ein Christ ebenfalls, der Grund ist derselbe."