Erftstadt-Blessem ist immer noch abgeriegelt. Dort, wo der Ortsrand unterspült wurde und drei Häuser in sich zusammenfielen, wo Äcker und Pferdeweiden einfach verschwunden sind und die Burg jetzt praktisch an einer Steilklippe steht, hat man eine Sperrzone eingerichtet. Sie ist hundert Meter breit:
"Teilweise besteht weiterhin akute Lebensgefahr, insbesondere in der Nähe der Abbruchkante", so Landrat Frank Rock gestern Nachmittag auf der Pressekonferenz des Rhein-Erft-Kreises.
Vor Ort in Blessem sind Experten des Geologischen Dienstes von Nordrhein-Westfalen. Früher floss die Erft, ein schmaler Fluss, am Dorf und auch an der großen Sand- und Kiesgrube am nördlichen Ortsrand vorbei. Wie es jetzt aussieht, schilderte Roland Strauß, der Leiter der Fachabteilung Ingenieurgeologie beim Geologischen Dienst:
"Die Erft läuft aktuell in den Tagebau. Hier haben wir diesen riesigen See, kennen Sie ja aus den Bildern. Der ist relativ groß. Jetzt ist das ja eine Kiesgrube. Der Kies ist wasserdurchlässig und hat das Wasser aufgesogen wie ein Schwamm. Und dieser Kieskörper ist etwa hundert Meter mächtig. Darunter folgt die nächste wasserstauende Schicht. Und der Porenraum hat sich entsprechend mit Wasser gefüllt. Das läuft jetzt weiter."
Ein Damm soll die Erft ins alte Bett zurückleiten
Die Erft führt zwar kein Hochwasser mehr. Aber sie strömt nun überwiegend in die Kiesgrube, die auf diese Weise zu einem viel größeren See mutiert ist.
Michael Dietze, kommissarischer Professor für Hydrologie an der Universität Bonn, war zwar selbst noch nicht am Krisenort, hat sich aber die Verhältnisse in Karten und Luftbildern angeschaut:
"Der Stauraum der Kiesgrube, hatte ich mal überschlagen, von der Größe her und von der Tiefe, die sollte bei einigen Millionen Kubikmetern liegen. Inwiefern die jetzt schon vollgelaufen ist und die Möglichkeit hat, überzulaufen und wenn ja, in welche Richtung das Wasser dann weiterfließt – das müsste man wirklich vor Ort sich anschauen."
Der Geologische Dienst hat nach eigener Aussage Messsensoren an Ort und Stelle installiert, die alle Bodenbewegungen überwachen. Außerdem werde nun damit begonnen, einen Damm hochzuziehen, so Geologe Strauß. Er soll die Erft wieder zurück in ihr Ursprungsbett lenken:
"Es sind schon mehrere tausend Tonnen Material zwischengelagert. Das hat schon am Samstag angefangen. Wir brauchen Wasserbausteine. Das sind Hartgestein-Blöcke, sehr groß, die zum Beispiel im Kanalbau, im Deichbau verwandt werden, um einen Stützkörper hinzustellen. Dann werden sogenannte Big Packs zum Einsatz kommen. Das sind diese ganz großen Gewebesäcke, wo so ein Kubikmeter Material hineinpasst, die dann abdichten sollen."
Die Steinbachtalsperre spielt eine entscheidende Rolle
Wie Strauß weiter erklärte, soll gleichzeitig versucht werden, den Pegel der Erft abzusenken, damit mehr Wasser im Untergrund der Kiesgrube in tiefere Schichten versickert als oberirdisch nachfließt. So könnte der Wasserstand in dem neu entstandenen See allmählich sinken. Damit verringert sich dann mutmaßlich auch das Risiko für weitere Böschungsabbrüche und Erdrutsche am Ortsrand von Blessem, ausgelöst durch die starke Durchtränkung der Böden.
Bei diesem Vorhaben spielt die Steinbachtalsperre in der nahegelegenen Eifel eine entscheidende Rolle. Der Steinbach mündet nämlich in die Erft. Die Talsperre wurde bereits um ein Drittel geleert, so dass ihr Damm nicht mehr brechen kann. Doch das Technische Hilfswerk pumpe das Wasser weiter ab, so der Experte für Georisiken:
"Die Steinbachtalsperre wird entleert! Dann wird der Zufluss der Erft kleiner werden. Das ist im Prinzip ein Wettrennen: die Versickerung im Tagebau oder der Wassernachschub vom Oberstrom. Wenn nicht genug Wasser nachströmt, versickert das gesamte zulaufende Wasser im Tagebau."
Erosionsprozesse haben das Desaster ausgelöst
Solange das Wasser der Eifel-Talsperre abgelassen wird, fällt der Pegel der Erft noch nicht. Aber wenn der Stauraum ganz leer gepumpt ist, schon! Michael Dietze: "Danach kann man quasi über den Stopp des Abflusses den Hauptzustrom in die Erft hinein abstellen. Und dann würde der Wasserpegel sinken."
Wie ist es überhaupt zu dem Geo-Desaster von Blessem gekommen? Es waren Erosionsprozesse, sagt Michael Dietze, ausgelöst durch die extremen Fluten der Erft im Zusammenspiel mit dem Tagebau und seinen steilen Böschungen:
"Das fließende Wasser, was dann diese steile Böschung hinuntergeschossen ist in die Kiesgrube rein. Und während es diese Böschung überspült hat, wird die natürlich einfach durch das Wasser erodiert. Und gleichzeitig entstehen dabei natürlich sehr, sehr steile Kanten. Das hat man auch in den Luftbildern und in den Videos der Helikopter gesehen. Und diese steilen Kanten im wasserdurchsättigten, lockeren Material sind natürlich alles andere als stabil. Und die brechen natürlich dann genauso nach."
Das könne auch weiterhin passieren, warnt Dietze. Der Ortsrand von Erftstadt-Blessem bleibt also bis auf Weiteres eine Hochrisikozone.