So plan wie an dieses naturalistische Stück hat sich im Münchner Residenztheater noch kein Regisseur getraut. Keine Effekte, nichts Dekoratives, keine Ablenkungsmanöver vom Eigentlichen, dem Spiel. Eine bühnenfüllende, glatte, abschüssige Rampe, schmucklos, haltlos, steingrau. In einer Ecke zwei Dutzend Blecheimer mit der Kirschernte, mit einem gellenden Schrei stößt "Rose Bernd" ein paar Eimer um und rutscht zersaust und besudelt im sickernden Kirschsaftblut die Rampe hinunter auf die Zuschauer zu. Und alles in düsteres, braungraues Licht getaucht. Das kann nicht gut gehen:
"Was ist denn, Mädel! Immer muss sie rackern gehen. Wochentag oder Feiertage. Wenn das unser guter Herr Pastor säh! Das tät ihn ja in der Seele bekümmern. - Das Mädel ist fleißig! Kopf oben so'n wie!..- Legst du's doch unterm Kirschbaum. - Sieh dir doch den Kirschbaum an! Piff, paff, puff. Brauchst bloß mal eben so'n - Streckmann!- Was hat sie denn?"
So wie diese scheinbar aufgeräumte Stimmung nach dem Kirchgang mit der aufgezwungenen Verbrüderung zwischen Vater Bernd, dem Verlobten August und dem brutalen Macho Streckmann wird jedes Bild, jede Situation, jedes Zusammentreffen um und mit "Rose Bernd" zynisch und ausweglos. Jeder will etwas mit ihr, keiner lässt sie in Ruhe. Der bigotte Vater, der Gottesfürchtige, verklemmte Aufsteiger August. Der Leutnant und wohlhabende Dorfschulze "Herr Flamm", seine frustrierte Ehefrau. Der schmierige Widerling "Streckmann". Und, als ob das nicht reichte, tritt auch noch im dritten Akt der "Dorftratsch" auf, der wie in einem Requiem die unsichtbaren Schlingen um das Mädchen immer fester zurren lässt:
"Wenn man denkt, wie er erscht mit der Tasche ging und all den Berglern Schnitzler verkofte! - Professor - Professor - Professor. Du lässt ja eur Liebste verhungern! Halt aweng an dich, der alte Bernd versteht manchmal keen Spaß! - So sagt er nicht weiter, lasse ook. - Was treibt dich mit der Kerle rum? - Da müsst man jetzt den Maschinist Streckmann fragen."
Das Mädchen hat keine Chance? Das Hauptmannsche Stück, Anfang des vorigen Jahrhunderts geschrieben, auch noch weitgehend im schlesischen Dialekt, ist Schnee von gestern? Heute gibt es doch Dorf, Schlesien, Macho-Patriarchat und verängstigte Frauen nicht mehr? Eben das ist die hohe Kunst dieses jungen Regisseurs Enrico Lübbe, mit dieser Aufführung zu zeigen, wie einsam, verzweifelt, trostlos sich in der heutigen Welt Menschen fertigmachen können. Hier und jetzt. Enrico Lübbe hat nicht nur das Bühnenbild entschlackt, sondern auch den Text und die Inszenierung. Mit der Konzentration auf die Psyche der einzelnen Charaktere spielt sich das Stück in der Mimik und den Gesten ab. Sprachlose, endlos scheinende Minuten in einer erschreckend wirkenden Normalität verdichten die beklemmende Atmosphäre. Jede Figur steht für sich allein, fast statisch und vor allem berührungsfrei wird dadurch unsere beziehungsunfähige Gesellschaft symbolisiert. Dramaturgisch gesehen gibt es nur eine Bewegung, und die geht - auch real auf der Rampe - konstant abwärts:
"Ich hab mich versteckt, ich hab mich geflücht. ich hab solche Angst vor Männern gehabt. Half nicht. Es ward immer schlimmer dann hier. Und hernach bin ich von Schlinge zu Schlinge getrieben, dass ich gar nicht mehr bin zur Besinnung gekomm."
Die sehr junge Lucy Wirth spielt die am ganzen Leib zitternde Rose Bernd, hin- und hergerissen zwischen ihrem unbedarften Lebenshunger und dem Druck, es allen Recht zu machen. Ein geschlagenes Bauernmädchen, das diesmal nicht an den sozialen, sondern an den psychischen Verhältnissen scheitert. Es geht nicht gut aus. Rose bringt ihr Neugeborenes um. Das gibt ihr die Freiheit, mit allen zu brechen, um - in dieser atemberaubenden Inszenierung - zu sich selber zu kommen. Ein starkes Stück.
"Was ist denn, Mädel! Immer muss sie rackern gehen. Wochentag oder Feiertage. Wenn das unser guter Herr Pastor säh! Das tät ihn ja in der Seele bekümmern. - Das Mädel ist fleißig! Kopf oben so'n wie!..- Legst du's doch unterm Kirschbaum. - Sieh dir doch den Kirschbaum an! Piff, paff, puff. Brauchst bloß mal eben so'n - Streckmann!- Was hat sie denn?"
So wie diese scheinbar aufgeräumte Stimmung nach dem Kirchgang mit der aufgezwungenen Verbrüderung zwischen Vater Bernd, dem Verlobten August und dem brutalen Macho Streckmann wird jedes Bild, jede Situation, jedes Zusammentreffen um und mit "Rose Bernd" zynisch und ausweglos. Jeder will etwas mit ihr, keiner lässt sie in Ruhe. Der bigotte Vater, der Gottesfürchtige, verklemmte Aufsteiger August. Der Leutnant und wohlhabende Dorfschulze "Herr Flamm", seine frustrierte Ehefrau. Der schmierige Widerling "Streckmann". Und, als ob das nicht reichte, tritt auch noch im dritten Akt der "Dorftratsch" auf, der wie in einem Requiem die unsichtbaren Schlingen um das Mädchen immer fester zurren lässt:
"Wenn man denkt, wie er erscht mit der Tasche ging und all den Berglern Schnitzler verkofte! - Professor - Professor - Professor. Du lässt ja eur Liebste verhungern! Halt aweng an dich, der alte Bernd versteht manchmal keen Spaß! - So sagt er nicht weiter, lasse ook. - Was treibt dich mit der Kerle rum? - Da müsst man jetzt den Maschinist Streckmann fragen."
Das Mädchen hat keine Chance? Das Hauptmannsche Stück, Anfang des vorigen Jahrhunderts geschrieben, auch noch weitgehend im schlesischen Dialekt, ist Schnee von gestern? Heute gibt es doch Dorf, Schlesien, Macho-Patriarchat und verängstigte Frauen nicht mehr? Eben das ist die hohe Kunst dieses jungen Regisseurs Enrico Lübbe, mit dieser Aufführung zu zeigen, wie einsam, verzweifelt, trostlos sich in der heutigen Welt Menschen fertigmachen können. Hier und jetzt. Enrico Lübbe hat nicht nur das Bühnenbild entschlackt, sondern auch den Text und die Inszenierung. Mit der Konzentration auf die Psyche der einzelnen Charaktere spielt sich das Stück in der Mimik und den Gesten ab. Sprachlose, endlos scheinende Minuten in einer erschreckend wirkenden Normalität verdichten die beklemmende Atmosphäre. Jede Figur steht für sich allein, fast statisch und vor allem berührungsfrei wird dadurch unsere beziehungsunfähige Gesellschaft symbolisiert. Dramaturgisch gesehen gibt es nur eine Bewegung, und die geht - auch real auf der Rampe - konstant abwärts:
"Ich hab mich versteckt, ich hab mich geflücht. ich hab solche Angst vor Männern gehabt. Half nicht. Es ward immer schlimmer dann hier. Und hernach bin ich von Schlinge zu Schlinge getrieben, dass ich gar nicht mehr bin zur Besinnung gekomm."
Die sehr junge Lucy Wirth spielt die am ganzen Leib zitternde Rose Bernd, hin- und hergerissen zwischen ihrem unbedarften Lebenshunger und dem Druck, es allen Recht zu machen. Ein geschlagenes Bauernmädchen, das diesmal nicht an den sozialen, sondern an den psychischen Verhältnissen scheitert. Es geht nicht gut aus. Rose bringt ihr Neugeborenes um. Das gibt ihr die Freiheit, mit allen zu brechen, um - in dieser atemberaubenden Inszenierung - zu sich selber zu kommen. Ein starkes Stück.