Gefangenenaustausch
Auswege aus der "Geiseldiplomatie"

Der russische Agent und verurteilte "Tiergartenmörder" Wadim Krassikow wurde von Deutschland freigelassen, im Austausch gegen politische Geiseln. Macht sich der Westen damit erpressbar? Und welche Alternativen zum Gefangenenaustausch gibt es?

    Zwei Männer steigen bei Dunkelheit aus einem Flugzeug aus.
    Konnte nach einem Deal zwischen Deutschland und Russland in sein Heimatland zückkehren: der als „Tiergartenmörder“ bekannte Russe Wadim Krassikow (r.). (picture alliance / dpa / POOL / Mikhail Voskresensky)
    Im August 2019 erschoss der russische Agent Wadim Krassikow am helllichten Tag in Berlin einen georgischen Staatsbürger mit tschetschenischen Wurzeln. Nun ist der in Deutschland verurteilte Auftragsmörder freigekommen - beim größten Gefangenenaustausch zwischen Russland und dem Westen seit dem Kalten Krieg.
    Die Menschen, die im Gegenzug für Krassikow freigelassen wurden, gelten als unschuldig gefangen genommene westliche Geiseln. Die Zahl der Geiselnahmen, die als diplomatisches Druckmittel eingesetzt werden, steigt weltweit. Ein Blick auf Auswirkungen und Alternativen zum Gefangenenaustausch.

    Inhalt

    Was bedeutet „Geiseldiplomatie“?

    Von "Geiseldiplomatie" spricht man dem britischen Menschenrechtler und Podcaster Daren Nair zufolge, wenn unschuldig im Ausland verhaftete Menschen als Druckmittel benutzt werden, um Zugeständnisse ihres Heimatlandes zu erzwingen. Typisch sind laut Nair ein unfairer Prozess und oft langjährige Haftstrafen. Zu diesem Mittel der Erpressung greifen sowohl Staaten als auch nicht-staatliche bewaffnete Gruppen wie die Terrororganisationen Hamas und Al Kaida oder somalische Piraten.
    Unter den Staaten bedienten sich laut Nair in jüngster Zeit vor allem Iran, Russland und China der „Geiseldiplomatie“. Dabei scheint zu gelten: Je schlechter die bilateralen Beziehungen sind, desto höher ist das Risiko. So wurden etwa in Russland seit dem Überfall auf die Ukraine 2022 bereits zwei amerikanische Staatsbürger in Haft gekommen: die Basketballspielerin Brittney Griner und der Journalist Evan Gershkovich.

    Ermutigen solche Deals Geiselnehmer?

    Die Befürchtung, dass Deals wie der aktuelle Gefangenenaustausch zwischen westlichen Staaten und Russland Geiselnehmer in Zukunft ermutigen, teilen Sicherheitspolitiker und verfolgte Aktivisten.
    Der bei dem Deal freigelassene Aktivist Ilja Jaschin etwa warnt, dass der Austausch zu weiteren willkürlichen Festnahmen in Russland führen könne. „Es ermutigt Putin, noch mehr Geiseln zu nehmen“, sagt er. Auch der CDU-Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter befürchtet, dass gerade ein Präzedenzfall geschaffen worden sein könnte, den Russland massiv ausnutzen könnte. Der Grünen-Sicherheitspolitiker Konstantin von Notz mahnt, diese Logik dürfe nicht zum Geschäftsmodell werden.
    Dass sich Geiselnehmer durch Zugeständnisse tatsächlich ermutigt fühlen könnten, legen die Fälle der US-Amerikaner Griner und Gershkovich nahe. Im Dezember 2022 wurde die Basketballerin Brittney Griner gegen den russischen Waffenhändler Viktor But ausgetauscht. Nur drei Monate später wurde Evan Gershkovich, Reporter des "Wall Street Journal", in Russland in Untersuchungshaft genommen. Gershkovich ist einer derjenigen, die bei dem aktuellen Deal mit Russland frei gelassen wurden.
    Daren Nair, der auch den Podcasts „Hostage Diplomacy“ betreibt, hält dagegen. Er ist davon überzeugt, dass es egal sei, ob ein Land Zugeständnisse mache oder hart bleibe - es würden weiter Geiseln genommen.

    Welche Alternativen zum Gefangenenaustausch gibt es?

    Besonders westliche Regierungen betrachten Geiselnahmen als Problem, für das es derzeit keine gute Lösung zu geben scheint. Einige Maßnahmen könn(t)en aber Wirkung zeigen.
    Eine Möglichkeit ist, dass Staaten den Druck auf Geiselnehmer erhöhen, indem sie Sanktionen verhängen. Im Fall des 2018 in der Türkei inhaftierten US-Amerikaners Andrew Brunson beispielsweise drohte die US-Administration unter Donald Trump mit „bedeutsamen“ Strafmaßnahmen. Der türkische Staatspräsident Erdogan wollte mit einer Freilassung Brunson die Auslieferung des in den USA lebenden islamischen Predigers Fethullah Gülen erzwingen. Erdogan macht Gülen für den gescheiterten Putschversuch 2016 verantwortlich. Doch die Drohung der USA wirkte: Brunson wurde ohne Gegenleistung freigelassen und durfte in die Vereinigten Staaten zurückkehren.
    Möglichkeiten, um Druck beispielsweise auf den Iran auszüben, bieten sich nach Ansicht des 2023 aus dem Iran freigekommenen Österreichers Kamran Ghaderi auch dadurch, dass sich viele Verwandte iranischer Politiker in den USA aufhielten, dort studierten oder auf Konten in Europa Millionen liegen hätten. Gazelle Sharmahd, Tochter des 2020 im Iran zum Tode verurteilten Deutsch-Iraners Jamshid Sharmahd, fordert gar eine internationale Task Force. Mit dieser Task Force soll nach ihrer Vorstellung Druck auf Regime wie Iran ausgeübt werden. So könnten jede Woche Sanktionspakete verabschiedet oder ein Diplomat ausgewiesen werden, bis die Geiseln freikämen, erklärt Sharmahd.
    Daren Nair lässt in seinem Podcast immer wieder Angehörige von zu Unrecht Inhaftierten zu Wort kommen. Abgesehen von langfristigen Strategien, die noch entwickelt werden müssten, gibt es aus seiner Sicht nur eine Möglichkeit, um Geiselnahmen durch Staaten zu verhindern: eine deutliche Warnung vor Reisen in die betreffenden Länder. Wenn erst einmal Akademiker, Sportler, Prominente und auch Touristen nicht mehr in diese Länder reisten, weil sie Angst haben, dass sie als Geiseln genommen werden, dann würde sich das auf die Wirtschaft dieser Länder auswirken, hofft der Menschenrechtler.

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