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Gefundenes Fressen für den Front National

Eine umfassende Justizreform hatte Frankreichs Präsident François Hollande vor seiner Wahl versprochen. Die ist angesichts übervoller Gefängnisse auch dringend nötig. Nun präsentierte das Kabinett seinen Entwurf – und die extreme Rechte wittert ein ergiebiges Wahlkampfthema.

Von Ursula Welter |
    "Im Gefängnis hatte ich nichts zu suchen, ich war verurteilt und trotzdem: Das war nicht mein Platz."

    Fabien sagt das im Sender France Info. Der junge Straffällige gilt, wie andere, als Beleg für die These der sozialistischen Regierung: "Nicht alle Täter gehören hinter Gitter".

    "Ich habe da mit Schwerverbrechern Karten gespielt, und Viele sagen, man wird erst im Gefängnis zum Wiederholungstäter. Du gehst da als Kleinkrimineller rein und kommst als Fortgeschrittener wieder raus, das muss man wissen."

    In Frankreichs Gefängnissen herrschen keine republikanischen Verhältnisse, 20 Prozent Überbelegung, drei Personen auf zehn Quadratmetern, unzumutbare Hygienezustände, heruntergekommene Gebäude – in ihrem jüngsten Bericht ließen die staatlichen Kontrolleure alle Alarmglocken schrillen. Auch der Europarat hat Frankreich deshalb im Visier. Richter setzen inzwischen die Haftstrafen aus, wegen Überfüllung der Zellen.

    "Das Ziel ist eine Justizreform, die unsere Gerichtsbarkeit effizienter macht."

    Sagt Premierminister Ayrault. Diese Justizreform hat die zuständige Ministerin, Christiane Taubira auf den Kabinettstisch gelegt. Das System der automatischen Mindeststrafen für Wiederholungstäter, das unter konservativer Regierung eingeführt worden war und das seine Wirkung verfehlte, soll abgeschafft werden, zugunsten alternativer Lösungen. Als neues Element will die Ministerin eine Bestrafung unter Auflagen einführen für Delikte, die weniger als 5 Jahre Gefängnis bedeutet hätten.

    "Der Richter legt die Verbote und Verpflichtungen fest, je nach Situation und Tatschwere. Das heißt, wir bekommen eine möglichst effiziente Anpassung für jeden Fall."

    Erläutert Taubira. Elektronische Fußfesseln, gemeinnützige Arbeiten, Entwöhnungskuren, psychologische Betreuung – die Ministerin will Wege jenseits der Gefängnismauern beschreiten und außerdem die automatische Haftprüfung nach zwei Dritteln verbüßter Strafe einführen. Der Premier versprach tausend neue Posten, damit die Reform greifen kann.

    "Die wollen die Gefängnisse leeren", kontern die Konservativen, "Freie Fahrt für Gauner", witzeln sie und werfen Taubira ideologisch motivierte "Laxheit" vor. Einer Ministerin, die der Opposition seit dem Ehegesetz für gleichgeschlechtliche Paare als das rote Tuch erscheint.

    Madame Taubira befördere den Front National, unterstellt ihr der UMP-Abgeordnete Gérard Longuet. Mit ihrer Justizreform treibe sie die Wähler in die Arme der Rechtsextremen.

    Die wachsende Wählergunst des "Front National" ist das große Thema in Frankreich, alles deutet auf starkes Abschneiden bei den Kommunal- und den Europawahlen im nächsten Jahr hin. Und ausgerechnet zwischen beiden Urnengängen soll die Justizreform von Christiane Taubira im Parlament beraten werden.

    Für den Front National ein gefundenes Fressen. Die Ministerin sei die "Heilige von Lourdes für laxe Strafen", höhnte es aus dem Lager der extremen Rechten, sie mache sich über die Opfer lustig. Die Mittel für die Opferverbände seien aufgestockt worden, verteidigte sich Taubira auch deshalb nach der Kabinettssitzung. Und:

    "Wir zeigen unsere Entschlossenheit, gegen Wiederholungstäter zu kämpfen, das bedeutet auch weniger neue Opfer."

    Die Angriffe von rechts sind aber nicht das einzige Problem der streitbaren Ministerin. Im eigenen Lager gibt es Widerstand, der Innenminister, der für den Präsidenten die rechte Flanke abdeckt, gilt als Hardliner und nahe an konservativen Methoden. Manuel Valls hatte im Sommer dem Präsidenten geschrieben, dass er die Justizreform seiner Kollegin in Teilen bedenklich finde. Zufall oder nicht, der Brief des Ministers an den Staatschef stand in der Zeitung.

    "Ich denke, es gibt nicht zwei Linien, es gibt nur eine."

    Dies musste der Premier diesen Streit in seinem Kabinett erklären, wie er häufig in Erklärungsnot gelangt, weil Minister sich behaken. In der Sache konnte Manuel Valls aber offenbar punkten: Die ursprüngliche Idee der Justizministerin, die Möglichkeit einer Bestrafung unter Auflagen außerhalb der Gefängnisse auf alle Strafmaße auszuweiten ist vom Tisch und auch die automatische Haftentlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe.