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Gegen Altersarmut und Langeweile

Laut Bundesagentur für Arbeit hatten 2010 in Deutschland mehr als 870.000 Männer und Frauen über 65 einen Minijob oder eine sozialversicherungspflichtige Arbeit. Tendenz steigend. Ein Grund ist die wachsende Altersarmut. Ein zweiter der demografische Wandel. Wir werden älter und sind zudem körperlich fitter und gesünder.

Von Svenja Pelzel |
    Monika Schulz ist 68 Jahre alt, hat 42 Jahre als Sekretärin und Verkehrskauffrau bei DDR-Staatsbahn und Deutscher Bahn gearbeitet. Dafür bekommt sie 750 Euro Rente im Monat. Jetzt jobbt sie als Toilettenreinigerin im Kaufhaus.

    "Ich möchte nicht jammern, es bringt nichts zu jammern. Entweder man tut was oder man sitzt da und sagt 'aaach', und das muss man nicht haben. Sagen manche Freundinnen von mir auch, ah, und da würde ich nicht auskommen. Ich sage, ja du musst, was soll’s? Entweder man erschießt sich oder es geht weiter."

    Monika Schulz wirkt jünger als Ende 60. Das liegt nicht nur an ihrer schmalen, hautengen Jeans und dem blondierten Pferdeschwanz, sondern vor allem an ihren schwungvollen Bewegungen. Nach jeder Kundin wischt sie schnell über Waschbecken, WC-Brille und Boden, immer einen Spruch auf den Lippen.

    Drei Kinder hat Monika Schulz im Osten groß gezogen und dabei immer gearbeitet. Zuletzt schulte sie sogar als Betriebsstandortbetreuerin für die Deutsche Bahn Mitarbeiter in der Software SAP. Mit 55 sollte sie nach Hamburg versetzt werden. Monika Schulz ging lieber in Frührente, nahm die hohen Abschläge auf ihre Altersversorgung in Kauf.

    Doch schon bald merkte sie, wie wenig Geld ihr jetzt nur noch blieb. Sie suchte sich einen Job im Altersheim, brach sich das Handgelenk, konnte nicht mehr schwer tragen und bewarb sich als Reinigungskraft für Toiletten. Rumflitzen und putzen geht noch. Noch.

    "Das ist körperlich anstrengend, ich glaube, das wird von vielen unterschätzt. Wenn ich nach Hause komme, ich merke meine Knochen. Wenn man’s richtig macht. Nun habe ich auch ein bisschen einen Anspruch. Also so das alte Klischee, dass die jetzt auf einem Stühlchen sitzt und strickt, das ist gar nicht drin."

    Ministerin Ursula von der Leyen will Strategien gegen Armut im Alter entwickeln. Dazu hat sie Anfang September einen "Regierungsdialog Rente" gestartet. Mit am Tisch sitzen Vertreter von Rentenversicherern, Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften, Arbeitgebern und Fachpolitiker. Derzeit liegt das Risiko, im Seniorenalter zu verarmen, noch unter dem der Gesamtbevölkerung. Die Tendenz ist jedoch steigend.

    Laut Statistik gelten alte Menschen in Deutschland als arm, wenn sie weniger als die gesetzliche Grundsicherung im Monat zur Verfügung haben. Diese liegt derzeit bei etwa 660 Euro im Monat.

    Hier setzt der erste Vorschlag der Ministerin beim "Regierungsdialog Rente" an. Niedrige Renten sollen aufgestockt werden können - auf einen Nettobetrag von 850 Euro im Monat. Geringverdiener sollen sich also nach lebenslanger Arbeitsleistung nicht nur mit der Grundsicherung zufriedengeben müssen. Sie sollen besser gestellt werden als Menschen, die nur wenig Erwerbstätigkeit vorzuweisen haben. Im Bundestag bekräftigte von der Leyen diesen Vorstoß:

    "Die Botschaft muss sein: Arbeit lohnt sich und private Vorsorge zahlt sich in diesem Fall, wenn man ein Leben lang arbeitet, zusätzlich aus."

    Hier sind bereits die hohen Hürden herauszuhören, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales für diese Zuschussrente vorgibt. 45 Berufsjahre sollen Bedingung sein, berücksichtigt werden für diese Anzahl an Jahren auch Ausbildung, mögliche Arbeitslosigkeit, Erziehungs- und Pflegezeit. Mindestens 35 Jahre lang soll man Beiträge gezahlt haben. Und etwa genauso lang soll man Zusatzvorsorge betrieben haben, etwa über eine Betriebs- oder eine Riesterrente.

    Diese Bedingungen sollen nicht ab sofort gelten. Die geforderte Zahl an Arbeits- und Vorsorgejahren wird nach den Plänen schrittweise erhöht. Für Geringverdiener dürfte es aber schwierig sein, von ihrem niedrigen Gehalt Jahrzehnte lang etwas in Altersvorsorge zu investieren, kritisieren die Sozialverbände. Wenn dafür überhaupt etwas übrig bleibt. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles moniert, von der Leyen lasse die Menschen mit den höchsten Armutsrisiken außer Acht, diejenigen, die lange arbeitslos waren und lange sehr wenig verdient haben. Deshalb sei die Zuschussrente eine "Mogelpackung". Die Ministerin sieht das anders:

    "Mit ganz kleinen Einkommen kann man auch riestern, weil es einen hohen staatlichen Zuschuss dafür gibt."

    Zudem will von der Leyen die Erwerbsminderungsrenten verbessern und flexiblere Zuverdienstmöglichkeiten für Frührentner schaffen.

    "Wir möchten eine Kombi-Rente vorschlagen. Man kann vorzeitig mit 63 in Rente gehen, eine Teilrente beantragen und das, was man vorher verdient hat, bis zu der Grenze kann man unschädlich auch in Zukunft hinzuverdienen."

    Es gehe jedoch weniger ums arbeiten Wollen als ums Müssen, heißt es aus den Reihen der Opposition. Die Regierung wolle die Menschen dazu zwingen, ihre niedrigen Renten mit Jobs aufzubessern, sagte die Linken-Abgeordnete Katja Kipping. Ähnlich äußerte sich Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt von den Grünen:

    "Die Frage ist doch: Wem muten wir eigentlich zu, dass er im Alter noch arbeiten muss, weil sein Einkommen nicht ausreicht. Das ist Altersarmut. Und um die geht es zum Beispiel."

    So wie im Fall von Monika Schulz. Sie macht den Job als Toilettenfrau nur, weil sie das Geld braucht. Die dazugehörigen Demütigungen versucht sie zu ignorieren.

    Zum Beispiel Szenen wie diese: Während Monika Schulz gerade die Wasserspritzer von den Waschbeckenrändern im Damen-WC entfernt, kommt ein Mann aus dem Toilettenraum, wechselt bei ihr mehrfach seine Münzen, sodass am Ende niemand mehr weiß, was er eigentlich auf den Teller gelegt hat.

    "Kann das sein, hab’ ich Ihnen den 50er gegeben und die 20 Cent?" – "Ich weiß nicht, was Sie mir gegeben haben." – "Jetzt ist er weg, der 50er." – "Bitteschön und Tschüss." – "Der 50er ist auch nicht mehr da, ich wollte Ihnen eigentlich den 20er da lassen, sehen Sie." - "Ist ja okay, alles ist schön."

    "Was weiß ich, ich hör’ da gar nicht zu. Ich bedanke mich auch nicht überschwänglich, weil ich sage, ich arbeite für die, muss ich da noch dankbar sein? Da bin ich auch wieder ein bisschen stur."

    Wie viel genau Monika Schulz verdient, will sie lieber nicht sagen, nur so viel: Es sind deutlich weniger als sechs Euro die Stunde.

    "Das Geld stinkt nicht und ich hab’ hier ein bisschen zu tun. Das ist natürlich nicht sehr geistaufwendig. Im Moment habe ich auch nüscht anderet gefunden."

    Nicht nur Monika Schulz findet ‚nüscht anderet’, wie sie sagt. Teilzeit-Jobs für Rentner, die auf wenige Tage beschränkt und nicht körperlich anstrengend sind, gibt es kaum. Deshalb hat sich in Berlin der Verein "Tätiger Lebensabend" auf genau solche Arbeitsplätze für Senioren spezialisiert.

    Brunhilde Wrona ist Geschäftsführerin des Vereins. Die 72-Jährige sitzt in einem kleinen Büro in Berlin, beantwortet Fragen am Telefon, sieht Stellenanzeigen durch, liest E-Mails. Sie bekommt 824 Euro Rente im Monat, hat dafür 40 Jahre als Buchhalterin gearbeitet. Und jetzt jobbt sie beim "Tätigen Lebensabend".

    "Dadurch ist es ganz schön, da mein Mann auch keine ganz hohe Rente hat, weil wir immer selbstständig waren und auch immer selber vorgesorgt haben, wenn da noch ein bisschen was dazu kommt. Wenn das weg ist, müssen wir ein bisschen mehr auf den Cent achten. So hat man ein kleines bisschen mehr Luft für Extras."

    Brunhilde Wrona arbeitet nicht wegen drohender Armut, sondern wegen drohender Langeweile. Damit ist sie bei ihrem Verein "Tätiger Lebensabend" allerdings die Ausnahme.

    "Heute ist es leider so, dass 75 Prozent unserer hier tätigen Rentner doch ganz froh sind, wenn sie ein bisschen was dazu verdienen können für gewisse Extras oder aber weil sie sonst in die Grundsicherung müssten, und das versuchen sie so lange, wie es geht, hinauszuziehen, weil bei der Grundsicherung muss man jedes bisschen Erspartes angeben. Und Rentner normalerweise versuchen schon ein kleines bisschen Erspartes zu haben, sei es für die eigene Beerdigung, so traurig wie sich das anhört."

    Seit vier Jahrzehnten vermittelt "Tätiger Lebensabend" Jobs an Senioren. Ähnliche Einrichtungen gibt es in ganz Deutschland. Am Anfang, in den 60er Jahren, wollten die Vereinsgründer Langeweile und Einsamkeit der Neurentner mit kleinen Tätigkeiten abmildern. Jetzt geht es in erster Linie um den Kampf gegen die drohende Altersarmut. Mit wachsendem Bedarf. Immer häufiger melden sich bei Brunhilde Wrona und den anderen Vereinsmitarbeitern ältere Menschen, die auf Jobsuche sind.

    Zum wiederholten Male tippt Brunhilde Wrona deshalb an diesem Morgen einen Brief in den Rechner, fragt bei einer großen Berliner Firma an, ob sie nicht stundenweise leichte Jobs an fitte und absolut zuverlässige Senioren zu vergeben haben. Wahrscheinlich wird auch dieser Brief wieder vergeblich sein, wie so zahlreiche davor.

    "Es ist sehr schwer. Wir senden immer wieder mal solche Bitten an mehrere Firmen auch oder an die staatlichen Museen, aber meistens ohne Erfolg. Das ist auch das Problem, dass die staatlichen Museen verpflichtet sind, solche Leute zu beschäftigen, damit die vom Arbeitsmarkt kommen, entweder Langzeitarbeitslose oder diese anderen Stellen, die sogenannten ABM, was man auch verstehen kann."

    Zudem scheuen sich noch immer viele Firmen, ältere Arbeitnehmer einzustellen. Und das betrifft bereits Menschen, die noch weit vom Rentenalter entfernt sind. Lediglich 13 Prozent aller Neueingestellten sind älter als 50. Diese Zahl ist seit Jahren konstant. Vor allem Geringqualifizierte im Alter von 50 plus finden nur selten einen neuen Job. Dabei könnte sich Brunhilde Wrona unendlich viele Arbeitsmöglichkeiten für die 130 Mitglieder des Vereins vorstellen.

    "Kindergarten, Kinderhort, Schule, Heime, alles, was mit jungen Leuten zu tun hat. Gerade weil die Älteren ja die Erfahrung mit den Kindern schon mal gemacht haben und ganz anders ran gehen als junge Leute. In der Wirtschaft, alles was mit Büro und Verwaltung zu tun hat, da würden die Älteren klarkommen, viele kommen ja aus der Branche. Können fast alle mit dem PC umgehen, die meisten Internet sind die fähig und alles. Ein Rentner, der heute neu zu uns kommt und um Aufnahme bittet, der ist im PC fähig, der ist fit."

    Doch im sozialen Bereich, in Schulen und Kindergärten werden viele Tätigkeiten durch ehrenamtliche Helfer übernommen. Gute Chancen bestehen in Seniorenheimen. Dort sind vor allem an den Wochenenden Festangestellte wegen tariflicher Zuschläge teuer. Die Mitarbeiter vom "Tätigen Lebensabend" kosten dagegen nur 5,65 Euro, egal, wann sie arbeiten. Das ist weniger als der gewerkschaftlich geforderte Mindestlohn.

    Laut Bundesagentur für Arbeit hatten 2010 in Deutschland mehr als 870.000 Männer und Frauen, die älter waren als 65, einen Minijob oder eine sozialversicherungspflichtige Arbeit. Tendenz steigend.

    Ein Grund hierfür ist die wachsende Altersarmut. Ein zweiter der viel zitierte demografische Wandel. Derzeit leben in Deutschland knapp 17 Millionen Senioren, zweieinhalb Millionen mehr als noch vor neun Jahren. Wir leben länger und sind zudem körperlich fitter und gesünder.

    Und diese fitten Älteren wollen schlicht weiter arbeiten. Vor allem Selbstständige wie zum Beispiel Ärzte und Rechtsanwälte, die ihren Beruf gerne ausüben, machen freiwillig weiter, sagt Laura Romeu Gordo. Die spanische Wirtschaftswissenschaftlerin arbeitet am Deutschen Zentrum für Altersfragen in Berlin. Romeu Gordo und ihre Kollegen untersuchen derzeit in einer Langzeitstudie im Auftrag der Bundesregierung die Gründe dafür, warum immer mehr ältere Menschen jobben. Von den 4.000 befragten Rentnern der Studie waren 300 berufstätig.

    "Von diesen 300 Leuten antworten nur, 'nur' 30 Prozent, dass sie das aus finanziellen Gründen machen. Aber 70 Prozent der Leute antworten, weil sie Spaß bei der Arbeit haben. Und dieser finanzielle Aspekt kam auch vor, aber man hätte ja auch eher erwartet, dass das das Hauptargument wäre, und es ist nicht."

    Ihre Zahlen seien zwar noch nicht repräsentativ, sagt Romeu Gordo, zeigten aber bereits eine Tendenz. Sie nennt einen dritten Grund für die steigende Zahl arbeitender Rentner:

    "Die andere Sache ist auch eine kulturelle Änderung. Früher war es auch kulturell mehr oder weniger akzeptiert, dass man sich mit 60 oder früher aus dem Arbeitsmarkt verabschiedet, und dann ist gut so. Und jetzt wird es schon ein bisschen anders, dann wird man schon ein bisschen komisch angeguckt, wenn man jung aussieht und sagt, ich bin schon Rentner. Es ist schon nicht mehr schön."

    Die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit bestätigen den Trend der Studie. Hatten im Jahr 2000 in der Altersgruppe der 60- bis 65-Jährigen knapp 20 Prozent einen sozialversicherungspflichtigen Job oder einen Minijob, waren es zehn Jahre später, also 2010, schon 40,5 Prozent, das heißt mehr als doppelt so viele. Bei den über 65-jährigen Männern und Frauen ist der Anstieg der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ebenfalls sehr hoch: Er liegt für den Zeitraum von 2002 bis 2010 bei knapp 43 Prozent.

    "Manchmal denke ich, ein bisschen gespalten ist das trotzdem. Wir denken alle, ach ja, man sollte länger arbeiten, es ist sowieso gut für die Person, ist gut für die Gesellschaft, man kann arbeiten gehen, sollte arbeiten gehen. Aber wenn wir uns jetzt konkret einen alten Menschen vorstellen und dann die konkrete Frage kommt, sollte er denn länger arbeiten, dann sagen wir, och nee, lass ihn in Ruhe."

    Noch sind Demografie, wachsende Gesundheit und kultureller Wandel die Hauptgründe dafür, warum Senioren jobben. Im Moment kann die Mehrheit der Rentner von ihren monatlichen Alterseinkünften gut leben, auch wenn diese auf den ersten Blick sehr gering erscheinen. Männer haben in Deutschland im Schnitt um die 1000 Euro Rente im Monat zur Verfügung, Frauen zwischen Fünf- und Siebenhundert.

    Allerdings, so erklärt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in seiner neuesten Studie, weisen diese Zahlen in die Irre. Viele Senioren leben in Zweipersonenhaushalten, was die monatlichen Kosten reduziert. Außerdem besitzen sie neben den monatlichen Einkünften oft ausreichend Vermögen oder ein Eigenheim. Das Risiko zu verarmen ist deshalb für sie im Moment noch geringer als für den Durchschnittsbürger. Das Armutsrisiko liegt für Paarhaushalte in der Altersklasse über 65 bei zehn Prozent, für die Gesamtbevölkerung bei 14 Prozent.

    Mittel- und langfristig wird sich das jedoch ändern. Schon jetzt beendet fast jeder fünfte Arbeitnehmer sein Berufsleben aus gesundheitlichen Gründen vor dem Rentenalter. Vor allem Geringqualifizierte steigen vorzeitig aus, wodurch sich ihre niedrigen Altersbezüge noch einmal drastisch verringern.

    Andere Menschen absolvieren oft lange Ausbildungs- und Praktikumszeiten, die die Rentenansprüche mindern. Viele Männer und Frauen arbeiten in Minijobs, mit Zeitverträgen, erleben Phasen der Arbeitslosigkeit und wechselnde Festanstellungen. So zum Beispiel Andreas Berg.

    Andreas Berg steht vor einem evangelischen Gemeindehaus in Berlin-Neukölln in einer langen Warteschlange. Es ist Donnerstag, heute werden hier Lebensmittel an Arme verteilt. Berg ist 58 Jahre alt, Frührentner, ein intellektuell aussehender Typ mit leicht ergrautem Haar, Dreitagebart, dunkler Kleidung und schwacher Alkoholfahne.

    "Jetzt habe ich schon fast wieder kein Geld für diesen Monat, und dann kriegt man hier für den einen Euro bisschen Brot, Gemüse und was weiß ich alles, damit es einigermaßen geht. Den einen Euro, den treibt man immer irgendwo auf, ist ja klar. Aber wenn ich Geld habe, komme ich nicht her, weil das kostet einen immer drei oder vier Stunden hier."

    Nach drei Stunden Wartezeit bekommt Berg im großen Saal des Gemeindehauses Obst, Gemüse und Brot ausgehändigt, das er verschämt in mitgebrachte Taschen verstaut. Lediglich 430 Euro Rente erhält er im Monat, das Ergebnis eines unsteten Berufslebens: Als junger Mann bricht Berg sein Pharmaziestudium ab, wird Klavier-Cembalobauer, arbeitet in Moskau, anschließend als Kulissen- und Filmarchitekt in München. Zwischendurch ist er immer wieder lange arbeitslos.

    Berg würde gerne wieder irgendetwas tun, seine 430 Euro Rente aufbessern. Kürzlich hat er deshalb eine Weiterbildung zum Kunst- und Galerieassistenten gemacht - vergeblich. Jetzt helfen ihm seine Freunde aus der Film- und Kunstszene mit kleinen Handwerker-Jobs und die Kirchengemeinde mit Lebensmittelspenden.

    "Ich denke, ich bin arm. Ich hab’ zwar auch einen Computer und ein Handy, aber das ist heute eine Selbstverständlichkeit, kostet ja fast nix mehr. Aber so mal für zwanzig Euro ein Buch kaufen, das überlege ich mir zwei Mal. Weil wenn meine Waschmaschine kaputt geht, muss ich ein Jahr sparen, damit ich mir eine neue kaufen kann. Also man überlegt sich wirklich jeden Cent."

    Verhungern wird Andreas Berg nicht und auch nicht obdachlos werden. Dafür reichen Frührente, Aushilfsjobs und Essensspenden, die staatliche Grundsicherung will er demnächst ebenfalls beantragen. Doch für Berg beginnt Armut früher.

    "In solchen entwickelten Ländern wie Deutschland, da beginnt Armut ziemlich bald. Sobald ich mir kein Buch mehr leisten kann, nicht mehr ins Konzert, nicht mehr ins Kino oder überhaupt am kulturellen Leben der Gesellschaft teilnehmen kann, bin ich arm. Wenn ich mir das nicht mehr leisten kann, dann stehe ich schon praktisch neben der Gesellschaft."