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Gegen den Willen der Altkader

Zwei Sportverbände wurden nach der Wende zusammengeführt - und sollten eine gemeinsame, starke deutsche Olympiamannschaft bei den Spielen 1992 bilden. Das Team kristallisierte sich im Sommer 1990 heraus - parallel zum politischen Vereinigungsprozess.

Von Jens Weinreich |
    Im Sommer 1990 wurden die Weichen gestellt für die Zusammenführung beider deutscher Sportsysteme. Dieser Sommer begann mit dem dritten Weltmeistertitel der deutschen Fußballer und einer Aussage des damaligen Trainers Franz Beckenbauer, die vielleicht nicht hundertprozentig ernst gemeint war, aber doch die damaligen Erwartungen widerspiegelte:

    ""Wir sind jetzt die Nummer eins in der Welt. Wir sind schon lange die Nummer eins in Europa. Jetzt kommen die Spieler aus Ostdeutschland noch dazu. Ich glaube, dass die deutsche Mannschaft über Jahre hinaus nicht zu besiegen sein wird. Das tut mir leid für den Rest der Welt, aber wir werden für die nächsten Jahre nicht zu besiegen sein.”"

    Die Nummer eins weltweit - auf Jahre hinaus. Davon träumten Sportfunktionäre in Ost und West tatsächlich.

    Nachdem etliche Verantwortliche, etwa im Deutschen Fußball-Bund (DFB), die Zeichen der Zeit nicht erkannt und den Vereinigungsprozess verschlafen hatten, mussten im Sommer 1990 alle handeln.

    Die Vereinigung der Dachorganisationen Deutscher Sportbund (DSB) und Deutscher Turn- und Sportbund (DTSB) lief nach politischem Vorbild ab, gemäß Einigungsvertrag und Artikel 23 des Grundgesetzes. Nach der Gründung der ostdeutschen Bundesländer sollten sich sofort entsprechende Landessportbünde gründen - diese sollten dann nach Auflösung des DTSB Anfang Dezember 1990 dem DSB beitreten.

    Die Altkader im DTSB leisteten sich weiter ihre Grabenkämpfe mit der DDR-Sportministerin Cordula Schubert. Etliche langjährige Doper und Stasi-Mitarbeiter fanden Unterschlupf in den zu fusionierenden Einheiten - und wurden von einflussreichen Sportkameraden aus dem Westen gedeckt und gefördert.

    Die Nationalen Olympischen Komitees (NOK) waren seit Januar 1990 in Gesprächen auf der Ebene der Generalsekretäre Walther Tröger (West) und Wolfgang Gitter (Ost), wobei letzterer zu den vielen Stasi-Mitarbeitern zählte. Und natürlich auf der Ebene der Präsidenten, hier hatte Willi Daume (West) auf der Ost-Seite mehrere Ansprechpartner: Bis Anfang Januar war noch Manfred Ewald Präsident, dann übernahm das ostdeutsche IOC-Mitglied Günter Heinze, und im Juni der Leipziger Kanu-Funktionär Joachim Weiskopf, der einst sogar Olympiasieger aus seinem Sportverband schikaniert hatte.

    Weiskopf hatte sich im März mit Tröger, damals auch IOC-Sportdirektor, und Daume getroffen und den groben Fahrplan besprochen. In jenen Wochen hatten bereits Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière die Richtung vorgegeben: Beide CDU-Politiker kündigten gemeinsame Olympiamannschaften bei den kommenden Olympischen Spielen an.

    Drei Monate später sagte Joachim Weiskopf im Interview des Deutschlandfunks unmittelbar nach seiner Wahl zum NOK-Präsidenten in Kienbaum:

    Deutschlandfunk: ""Ihre Arbeit richtet sich auf eine gemeinsame deutsche Olympiamannschaft für 1992?"

    Joachim Weiskopf:/ "”Ohne jegliche Einschränkung. 1992 kann es nur noch eine deutsche Olympiamannschaft geben. Und es ist sogar darüber nachzudenken, wie wir mit anregen, dass die Sportverbände der Bundesrepublik und der DDR den Weg finden, bereits 1991 gemeinsam Weltmeisterschafts-Mannschaften aufzustellen, internationale Höhepunkte zu gestalten, damit wir nicht erst im olympischen Jahr mit dem Zusammenführender Olympiamannschaft beginnen, sondern dass wir schon ein Jahr vorher Erfahrung haben. Aber 1992, Albertville und Barcelona wird eine deutsche Olympiamannschaft haben.”"

    Im Vergleich zu manch anderen Aussagen aus jenen Tagen waren Weiskopfs Äußerungen der Lage angemessen. Zur Fusion gab es Anfang Juli 1990 ein Gipfeltreffen der NOK-Präsidenten, Anfang August eine präsidiale Runde in Baden-Baden - und Mitte August dann ein Zusammentreffen mit IOC-Präsident Samaranch in Berlin.

    Viele Sportler allerdings waren gegen eine gemeinsame Olympiamannschaft - sie fürchteten um ihre Qualifikationschancen. Das betraf West- und Ostdeutsche, etwa den Rodler Georg Hackl oder den Diskuswerfer Jürgen Schult. Beide plädierten für zwei Mannschaften. Auch sie mussten sich letztlich den Zeitläufen beugen.