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Gegen die "Verknoppisierung" des deutschen Geschichtsfernsehen

Holger Noltze: Von einigem publizistischen Getöse begleitet war am Aschermittwoch im Ersten Programm Jo Baiers "Stauffenberg"-Fernsehfilm zu sehen. Die Sache ist von Interesse, erstens kalendarisch - wir befinden uns im Jahr 60 nach dem gescheiterten Hitler-Attentat vom 20. Juli -, und der ARD-Film eröffnete eine ganze Reihe noch zu erwartender Geschichtsfernsehprojekte, aus den Werkstätten etwa von Guido Knopp im ZDF oder von Heinrich Breloer, der sich Hitlers Architekten Albert Speer widmen wird. Zweitens ist es zweifellos von Interesse, wie das Massenleitmedium Fernsehen heute das Thema des deutschen Widerstands verhandelt, zu dem es immer noch ein überraschend unklares Verhältnis gibt. Joachim Fest meint wohl dies, wenn er von einem "verschmähten Vermächtnis", einer "herrschenden denunziatorischen Laune gegenüber dem Widerstand" schreibt. Am Telefon ist der Publizist Klaus Harpprecht, der sich den "Stauffenberg"-Film gestern angesehen hat. Hatten Sie einen guten Fernsehabend?

Klaus Harpprecht im Gespräch |
    Klaus Harpprecht: Das kann man in diesem Sinn nicht sagen. Ich war oder bin grundsätzlich froh, wenn sich das Fernsehen zu einer Tageszeit bei der noch normal arbeitende Menschen zuschauen, zur Primetime sozusagen einem großen und wichtigen Thema unserer Geschichte, unserer Zeitgeschichte, kann man sagen, zuwendet. Aber es war für mich doch eher ein Abend der Konfusion. Man kann eben, um dies gleich voraus zu nehmen, einen so komplexen Stoff zusammen mit einer biographischen Schilderung des Hauptattentäters nicht auf die Sendezeit von 90 Minuten zusammenpressen. Das ging meiner Ansicht nach schief.

    Noltze: Zu Beginn wird sehr sprunghaft erzählt, Stationen im Leben von Claus Graf Stauffenberg werden etwas atemlos aneinander gereiht, man sieht relativ wenig von den Zusammenhängen, von dem Hintergrund, der Fokus bleibt dicht bei diesem Mann. Haben Sie denn etwas erkannt über Stauffenberg, was Sie noch nicht wussten?

    Harpprecht: Ich habe schon erfahren, dass es ein Mensch von großer Entschlossenheit war, nachdem er zu gewissen Einsichten gekommen war. Von der ganzen ungeheuren inneren Entwicklung, die ein Mann des deutschen Hochadels an sich selber erfahren musste, um zu dieser Tat zu kommen, davon habe ich wahrhaftig wenig erfahren. Auch nicht von den Wandlungen in dem Offizierkorps, einer Elite des Offizierkorps, die es dazu bedurfte. Ich erfuhr nichts über die politischen Erwägungen und die wirklich tieferen Beweggründe und eine menschlich wirklich ergreifende Biographie wurde insofern nicht sichtbar, weil der private Stauffenberg ja in der Tat nur am Rande und in einigen Klischeebildern zum Ausdruck kam.

    Noltze: Na ja, es gibt ja diese Szene in der Familie, wo seiner Frau Schlüsselsätze, wie ich den Eindruck hatte, in den Mund gelegt werden, in dem Sinne, du bist genauso fanatisch wie das Böse, das du bekämpfen willst. Das klingt sehr wie Text von heute. Ist das, Herr Harpprecht, durch eine geschichtsdidaktische Absicht und einen geschichtsdidaktischen Nutzen gerechtfertigt, solchen Hang zur nahezu Geschichtsklitterung?

    Harpprecht: Diese Art von Fanatismus sehe ich in einer Figur wie Stauffenberg nicht, der war sicher kein Mann von der breiten Humanität eines Bonhöfers, aber er war eben doch ein Mann, der - wenn auch kurz in seiner Jugend - vom George-Kreis geprägt aus dem deutschen Idealismus herausgewachsen ist. In diesem deutschen Idealismus liegen eben noch die tieferen Beweggründe seines Handelns und nicht zu vergessen natürlich auch in seinem Glauben.

    Noltze: Ist das Fernsehen geeignet, ein Aufklärungsinstrument über komplexere historische Vorgänge zu sein oder zeigt uns der gestrige Abend, dass es nicht geht?

    Harpprecht: Ich glaube, das Fernsehen kann nur dies machen, wenn es sich auf die Darstellung von dem Drama einzelner Menschen oder einer kleinen Menschengruppe konzentriert und daran das große Drama sichtbar werden lässt. Es geht mit diesem Aufwand, diesem enormen Aufwand an Personal, mit diesem choreographischen Ehrgeiz geht es nicht. Allerdings zu sagen, dass die Regie gestern sich doch durch eine relative Gelassenheit auszeichnete, verglichen mit der Video-, Discotechnik des Erzmeisters Knopp, von dem wir ja noch wieder viel Fernsehen in diesem Widerstandsgedenkjahr zu erwarten haben. Als ein kleiner Einspruch gegen das, was ich die Verknoppisierung des deutschen Fernsehen nenne, ist es ja vielleicht verdienstvoll gewesen.

    Noltze: Und darf man Hitler selber zeigen, wie hier als bleichen, irgendwie lächerlich dämonischen Repräsentanten des Bösen ohne das Ganze gleich irgendwie ins Kostümfilmhafte zu verzerren?

    Harpprecht: Hitler entzieht sich als Figur in seiner entsetzlichen, beinahe genialen Banalität bis jetzt jedenfalls einer Darstellung, und jeder, der es versucht, wird glaube ich, sich daran die Finger verbrennen.