Fouad Chafiki blättert in einem Arabisch-Buch. "Hier ist so ein krasses Beispiel", sagt der Direktor beim marokkanischen Erziehungsministerium.
"Das ist ein Text der aus dem Persischen übernommen wurde und in dem ein 14-jähriges Mädchen verheiratet werden soll!" Chafiki sagt: Das musste aus dem Arabisch-Buch verschwinden:
"Dieser Text musste durch einen anderen ersetzt werden. In Marokko ist gesetzlich festgelegt, dass 14-jährige Mädchen nicht heiraten können. Dieses Buch ist vor mehr als zehn Jahren bereits von Kommissionen überprüft worden. Aber dieser Text wurde damals nicht beanstandet."
Über 300 Bücher werden überprüft
Jetzt verschwindet der Text aus dem Arabisch-Buch. Und das ist nur eines von insgesamt 364 Schulbüchern, die jetzt neu überprüft wurden. 70 Menschen haben daran gearbeitet. Und sie haben vieles gefunden, was mit Toleranz oder Gleichberechtigung der Geschlechter nicht vereinbar ist. Fouad Chafiki nimmt ein Französisch-Buch für 12-Jährige. Und liest einen Text vor, der einer grammatikalischen Übung dienen soll.
Beschrieben wird die Geschichte einer jungen Frau, deren Freund sich wegen einer anderen von ihr trennt. Daraufhin besorgt sich die Verlassene Benzin und schüttet sie ihrer Nebenbuhlerin ins Gesicht. Ein Text für 12-jährige Schüler, der in einem offiziell zugelassenen Schulbuch im Unterricht verwandt wurde. Jetzt nicht mehr.
"Wir haben genau 147 Schulbücher gefunden, die korrigiert werden mussten", sagt Chafiki. Müssen jetzt alle diese Schulbücher neu gedruckt werden? Nein, sagt Chafiki, aus Kostengründen machen wir das Schritt für Schritt. 30 Prozent der Lehrbücher werden turnusmäßig jedes Jahr erneuert. Solange noch alte Exemplare im Umlauf sind, können sich die Lehrer die geänderten Passagen auf einer Internetseite des Erziehungsministeriums herunterladen.
Überprüfung der Religionsbücher
Damit wären dann innerhalb von drei bis vier Jahren die Schulbücher für Fächer wie Arabisch, Französisch oder Gesellschaftslehre revidiert. Eine viel härtere Nuss war die Überprüfung der Religionsbücher. "Islamische Erziehung" heißt das Fach in marokkanischen Schulen. Und König Mohammed VI. wollte ausdrücklich, dass vor allem die Lehrbücher für dieses Fach auf radikale Inhalte durchgesehen werden.
Ahmed Assid setzt sich seit mehr als 20 Jahren für eine solche Überprüfung ein. Denn er hatte festgestellt, dass sich dort vieles findet, was Muslim-Brüder oder Theoretiker des Wahabismus aus Saudi-Arabien verbreiten. Und dass solches Gedankengut in marokkanische Schulbücher gelangte, dass sei dem Einfluss des marokkanischen König Hassan II in den 80er- und 90er-Jahren zu verdanken:
"Hassan II. arbeitete daran, eine bestimmte Mentalität zu verbreiten. Eine konservative Denkweise, die alles, was sich kritisch mit dem Staatschef oder der offiziellen Politik auseinandersetzte, als Verstoß gegen die Religion definierte."
Junge Marokkaner sollen in der Schule Toleranz lernen
Experte Assid sagt, Hassan II. habe sich damit gegen sozialistische und kommunistische Kritiker wehren wollen. Mit Hilfe einer konservativen Islamisierung. Genau das versucht sein Sohn, König Mohammed VI., nun wieder einzufangen. Im Zeitalter des Terrorismus im Namen des Islam pocht der Monarch darauf, dass junge Marokkaner in der Schule Toleranz lernen sollen. Auch und gerade im Islam-Unterricht. Bisher standen aber im Unterrichtmaterial Dinge, die damit kaum vereinbar sind, sagt Ahmed Assid:
"In den Schulbüchern stand bisher, der Islam sei die einzige echte, die einzig authentische Religion. Alle anderen Religionen seien gefälscht. Mit einer solchen Haltung kann man Schülern nicht beibringen, Respekt vor anderen zu haben."
In den Religionsbüchern war auch Folgendes zu lesen, sagt Ahmed Assid:
"Die Frau kann niemals dem Mann gleichgestellt sein", liest Assid vor, "weil sie sich körperlich von ihm unterscheidet." Und dann folgen Hinweise auf die Monatsblutung oder andere Muskulatur, als die der Männer. Was passierte jetzt mit solchen Passagen?
"Fanatische oder extremistische Passagen wurden ersatzlos gestrichen."
Die große Säuberungsaktion in den marokkanischen Schulbüchern ist vorerst abgeschlossen. Aber Ahemd Assid fürchtet, dass es da noch ein Problem gibt:
"Die Lehrer, die jetzt mit den neuen Büchern unterrichten sollen – die sind alle mit den alten Lehrwerken ausgebildet worden."
Und Assid meint, es gebe innerhalb der Lehrerschaft und der Schulverwaltung viele, die mit der neuen Toleranz keineswegs einverstanden seien. Da helfe wohl nur eines: Kontrollen des Erziehungsministeriums im alltäglichen Unterricht.