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Kommentar zur Lage in Bachmut
Schlechte Nachrichten für die russische Führung

Die angekündigte Gegenoffensive der Ukraine lässt auf sich warten, doch die Diskussion darüber zeige, dass Kiew die psychologische Kriegsführung meisterhaft beherrsche, meint Peter Sawicki. Auch das Halten von Bachmut scheint aufgegangen zu sein.

Von Peter Sawicki |
Die umkämpfte Stadt Bachmut in der Ukraine ist nur noch ein Trümmerfeld: Das Foto zeigt Explosionen vor zerstörten Wohnblocks.
Die umkämpfte Stadt Bachmut in der Ukraine ist nur noch ein Trümmerfeld: Dass die ukrainische Armee sie nie aufgegeben hat, könnte sich als Vorteil für Kiew erweisen. (IMAGO / SNA / IA Novosti)
Für Russland war das keine gute Woche. Die Parade am sogenannten Tag des Sieges am 9. Mai, an dem schon seit geraumer Zeit nicht mehr das Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkriegs, sondern Nationalismus und Militarismus im Fokus steht, hat schonungslos den desolaten Zustand der russischen Armee entblößt. Über den Roten Platz rollte ein Panzer, der sich allenfalls als Museumsstück eignet. Und salutierende Soldaten gab es längst nicht so zahlreich wie in den Jahren zuvor.

Schimpftiraden gegen das russische Militär

Jewgeni Prigoschin, Chef der Wagner-Schergen, setzt mittlerweile fast täglich zu einer Schimpftirade gegen die russische Militärelite und jetzt auch sogar kaum verhohlen gegen Wladimir Putin selbst an. Es war zudem Prigoschin, der zuerst vor einem Gegenschlag der Ukraine in Bachmut gewarnt hat.
Der Chef der russischen Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, trägt eine Outdoor-Jacke und brüllt in der Dunkelheit Richtung Kamera.
Der Chef der russischen Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, hat die militärische Führung der russischen Armee schon oft harsch kritisiert. (Imago/Zuma Wire)
Nun hat Kiews Armee offenbar tatsächlich Geländegewinne in der auf brutalste Art umkämpften Stadt im Osten des Landes verzeichnen können. Auch wenn Moskau dies offiziell bislang dementiert – allein, dass überhaupt über ukrainische Gegenattacken in Bachmut gesprochen wird, ist für Russland eine Katastrophe.
Seit etwa neun Monaten versuchen die russischen Aggressoren, die Kleinstadt im Donbass ohne Rücksicht auf jegliche Verluste zu erobern – bisher vergeblich. Zehntausende Soldaten dürfte Moskau in Bachmut verloren sowie einen beträchtlichen Teil seiner Ausrüstung verschlissen haben.

Verzweifelter Kampf um Bachmut

Dabei hat die Stadt nur eine begrenzte strategische Bedeutung. Indem die politische Führung in Kiew aber beschloss, offenbar entgegen den Empfehlungen westlicher Partner, Bachmut eisern zu halten, hat sie deren symbolischen Wert gesteigert.
Auf russischer Seite war man somit umso entschlossener, Bachmut um jeden Preis zu erobern, um nach Monaten mal wieder einen militärischen Etappensieg vorweisen zu können. Den hat die Ukraine Russland verweigert – und den Aggressor stattdessen aufgerieben.
Auch wenn Kiew dafür selbst einen enorm hohen Blutzoll entrichtet hat – militärisch könnte das Kalkül aufgegangen sein, denn der Gegner dürfte nun deutlich geschwächt sein. Dabei hat die lang erwartete ukrainische Gegenoffensive wohl noch gar nicht richtig begonnen.

Meisterhafte psychologische Kriegsführung

Die Diskussion um diese Offensive ist ein Paradebeispiel dafür, wie meisterhaft die Ukraine die psychologische Kriegsführung beherrscht. Seit Monaten lässt die Regierung in Kiew Spekulationen über die Gegenoffensive viel Raum. Immer wieder werden höchst unterschiedliche Kommentare verlautbart.
Mal heißt es, dass die Ukraine bereit sei, militärisch zu attackieren, an anderer Stelle wiederum, dass die Zeit dafür noch nicht reif sei. Die Weltöffentlichkeit ebenso wie der Gegner in Russland werden damit über das Ausmaß und die potenziellen Schauplätze der Gegenoffensive im Unklaren gelassen.
In Russland hat dies – verschärft durch die monatelangen und am Ende erfolglosen Attacken in Bachmut – zu spürbarer Nervosität und innerer Zerrissenheit geführt, wie der Zwist zwischen Wagner-Chef Prigoschin und der Moskauer Militärführung offenbart. Die ohnehin begrenzte Kampfmoral russischer Truppen dürfte außerdem noch weiter geschmälert worden sein. Der Ukraine spielt all das in die Karten, ein günstiger Zeitpunkt für die Gegenoffensive scheint näher zu rücken.

Kiew kann die Invasoren überlisten

Eine Garantie, dass sie erfolgreich verläuft, gibt es freilich nicht. Zumal Russland über viele Monate Zeit hatte, um die Verteidigungsstellungen in den besetzten Gebieten auszubauen.
Doch die Ukraine hat seit Beginn der Invasion mehrfach bewiesen, dass sie in der Lage ist, die russischen Invasoren mit wohlüberlegten Aktionen zu überlisten. Kiew kennt seinen Gegner genau, gegen den es seit neun Jahren kämpft.
Von großer Bedeutung ist nicht zuletzt, dass Großbritannien in dieser Woche die Lieferung von Langstreckenraketen an die Ukraine bestätigte. Es könnte ein weiteres Puzzlestück bei der Vorbereitung der Gegenoffensive sein. Auch das ist für die russische Führung eine schlechte Nachricht.