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Gegensatz zur Tyrannei

Sie zählt nicht nur zu den historischen Reden in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, sondern sie kündigte einen entscheidenden Wendepunkt im Zweiten Weltkrieg an: die Vier-Freiheiten-Rede von Präsident Franklin Delano Roosevelt.

Von Hans-Joachim Föller |
    Europäisch war der Zweite Weltkrieg nur in den Jahren 1939 und 1940. Nach Polen war Frankreich rasch besiegt worden. Noch im November 1940 hatte Franklin Delano Roosevelt die Präsidentschaftswahlen mit dem Versprechen gewonnen, dass die Söhne der Nation nicht für einen Krieg in die Fremde geschickt würden. Zwei Monate später hatten sich die weltpolitischen Gewichte weiter verschoben. Die Diktaturen Japan, Italien und vor allem Nazi-Deutschland festigten ihren Einfluss und bereiteten weitere Aggressionen vor. Die europäische Großmacht Großbritannien stand mit dem Rücken zur Wand. Gleichwohl war der Riese USA noch kriegsunwillig, als Präsident Roosevelt am 6. Januar 1941 seine Rede zur Lage der Nation hielt:

    "Ich spreche zu Ihnen, meine Herren Mitglieder des 67. Kongresses, in einem Augenblick, der in der Geschichte der Union beispiellos ist. Ich sage 'beispiellos', weil noch nie die Sicherheit Amerikas von außen her so ernsthaft bedroht war wie jetzt."

    Der Präsident warb dafür, die Landesverteidigung umfassend auszubauen und die Rüstungsproduktion rasch und kräftig zu steigern. Zudem sollten alle Länder, die sich mit den Angreifern im Krieg befanden, mit Waffenlieferungen unterstützt werden. Davon sollte später nicht zuletzt die totalitäre Sowjetunion profitieren. Sicherlich wurde dadurch die Bildung einer Anti-Hitler-Koalition, die zunächst aus 25 Staaten bestehende Keimzelle der späteren Vereinten Nationen, ganz wesentlich gefördert. Doch beschränkte sich Roosevelt nicht auf ein realpolitisches Eingreifen in das Weltgeschehen. Vielmehr entwarf er auch die ideellen Grundzüge seiner Politik:

    "In der Zukunft, die wir jetzt zu sichern versuchen, hoffen wir eine Welt schaffen zu können, die sich auf vier wesentliche menschliche Freiheitsrechte gründet.
    Erstens: Redefreiheit und zwar auf der ganzen Welt.
    Zweitens: Freiheit für jeden Einzelnen, Gott auf seine Weise zu verehren, und zwar überall auf der Welt.
    Drittens: Freiheit von aller Not – das bedeutet international gesehen wirtschaftliche Abkommen, die in jedem Lande den Einwohnern gesunde Friedensverhältnisse sichern -, und zwar überall auf der Welt.
    Viertens: Freiheit von aller Angst – das bedeutet international gesehen, eine weltumfassende Abrüstung, so gründlich und bis zu einem solchen Grade, dass kein Land mehr in der Lage ist, irgendeines seiner Nachbarländer gewaltsam anzugreifen -, und zwar überall in der Welt."

    Diese vier Prinzipien enthalten als grundsätzliche Neuerung eine deutliche Erweiterung des klassischen Menschenrechtsverständnisses. Die traditionellen liberalen Freiheiten wie die Meinungs- und die Glaubensfreiheit hatten bereits zu den Forderungen der amerikanischen und der französischen Revolution gezählt. Die Proklamation der Freiheit von Not jedoch verpflichtete den Staat, aktiv zum Wohle seiner Bürger zu handeln. Ihm wurde die Verantwortung auferlegt, sich für menschenwürdige soziale und wirtschaftliche Bedingungen der Menschen einzusetzen. Die Sozialpolitik des "New Deal", mit der Roosevelt in der großen Wirtschaftskrise der 30er-Jahre die Verarmung der Bevölkerung abfing, wurde hier konsequent fortgeführt. Und auch mit der Forderung nach einer Freiheit von Angst vor kriegerischen Auseinandersetzungen und nach militärischer Abrüstung wurde der Staat in die Pflicht genommen.

    "Eine solche Welt ist der genaue Gegensatz zur sogenannten Neuordnung der Tyrannei, die die Diktatoren mit dem Getöse ihrer Bomben zu schaffen versuchen."

    Oft wurde diese Vorstellung einer liberalen Weltordnung als naiv und utopisch belächelt. Doch fanden die in der Vier-Freiheiten-Rede formulierten Ideen 1942 Eingang in eine gemeinsame Erklärung der Alliierten als diese sich erstmals als Vereinte Nationen vorstellten. Sie gehörten damit zu den geistigen Zündfunken der internationalen Menschenrechtsbewegung im 20. Jahrhundert und flossen später in die Charta der Vereinten Nationen ein. Als Leitbilder haben sie nach wie vor Gültigkeit.

    "Freiheit bedeutet, dass überall die Menschenrechte an erster Stelle kommen. Wir helfen all denen, die darum kämpfen, diese Rechte zu erobern und zu erhalten. Unsere Kraft liegt in unserem eigenen Willen. Dieser große Gedanke kann zu nichts anderem führen als zum Siege."