War es der Hass gegen das verknöcherte jesuitische Bildungssystem? Oder die ungebremste Begeisterung für das, was später Aufklärung genannt wurde? Genau weiß niemand, was den Ingolstädter Philosophen Adam Weishaupt am 1. Mai 1776 dazu bewog, den "Bund der Perfektibilisten" zu gründen, bekannter unter dem Namen "Illuminati". Der Orden wurde zwar schon zehn Jahre später verboten, seiner atemberaubenden Karriere tat das aber keinen Abbruch. Was wurde den untergetauchten Geheimbündlern nicht alles nachgesagt: dass sie den Aufbau der USA gesteuert hätten; dass sie verantwortlich für die Französische Revolution gewesen seien; dass sie von Außerirdischen gelenkte "Blutsauger" seien, die den Dritten Weltkrieg vorbereiten würden. Humbug, nichts als Humbug! Fehlen dürfen die Illuminati – die Erleuchteten – in Gisela Graichens und Alexander Hesses Buch "Geheimbünde" aber nicht, so wie viele andere bekannte und unbekannte Orden.
Die üblichen Verdächtigen sind natürlich erst einmal die Freimaurer, aber es soll auch die Illuminaten noch geben, auf jeden Fall gibt es die Rosenkreuzer, wir haben – und das ist einer der spannendsten Geheimbünde – Skull and Bones.
… erzählt die Hamburger Journalistin Gisela Graichen. Zu den "üblichen Verdächtigen" zählen noch der Mithras-Kult, die Prieuré de Sion, die Terrorloge Propaganda Due, kurz P2, die Templer und einige andere Geheimbünde. Sie alle tauchen auf in den zehn Kapiteln des Buches, das die Autoren chronologisch geordnet haben: Sie beginnen mit den jüngsten und politisch aktiven Orden Skull and Bones, Opus Dei und P2, ältere Orden – die Rosenkreuzer, Templer sowie der Mithras-Kult bilden den Schluss. Eingerahmt sind die gründlich recherchierten Portraits – soweit man "Geheim"-Bünde gründlich recherchieren kann – von einer Einführung ins Thema und einem Kapitel über Verschwörungstheorien.
Einige Geheimbünde betreiben knallharte Machtpolitik
Verschwörungstheorien setzen Gruppierungen und verschwiegene Bünde voraus, die gut organisiert im Geheimen ihr Ziele verfolgen – von angeblichen Mondlandungs- und Alienlügen der NASA, bis hin zur Weltherrschaft, wie sie Freimaurer, Illuminaten oder Skull and Bones anstreben.
Das ist nicht richtig – Anhänger von Verschwörungstheorien sind keineswegs immer Geheimbündler – richtig ist aber, dass Geheimbünde eine wunderbare Projektionsfläche für Verschwörungstheorien bieten. Ob dabei von außen nach innen projiziert wird oder von innen nach außen, ist häufig nur schwer auszumachen. Zu verschwommen, zu vage sind die Fakten, zu unerklärlich Ziele und Gehabe, eine funktionierende Öffentlichkeitsarbeit ist Geheimbünden naturgemäß fremd. Bei genauem Hinsehen wird ein weiteres Definitionsproblem deutlich: Was genau sind Geheimbünde?
Man kann sich nicht selbst bewerben, man wird aufgefordert; dann gibt es ein Ritual der Aufnahme, die Initiation, auch die soll geheim gehalten werden; es gibt ein Verbot, darüber zu sprechen, es gibt das Schweigegelübde, man muss auch Gehorsam zeigen, das heißt, man wird ausgestoßen oder man wird auch bestraft …
… was allerdings auf viele Gruppen und Organisationen zutrifft, auf Sekten, auf die Mafia, ja, selbst die Katholische Kirche hat gemeinsame Schnittmengen mit Geheimbünden – weshalb Dan Brown ja seine Romane gerne im Umfeld des Vatikans ansiedelt. Nun sind einige Geheimbünde Horte ebenso unverständlicher wie harmloser Ideen, der wiederauflebende Mithras-Kult etwa; andere Geheimbünde dagegen betreiben knallharte Machtpolitik: Die Propaganda Due zählt dazu, ein Netzwerk, das in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts einen Staatsstreich in Italien geplant haben soll, aber auch der schon erwähnte Geheimbund "Skull and Bones", den Studenten im 19. Jahrhundert gegründet haben und der heute ein Netzwerk für konservative Politiker ist. US-Außenminister John Kerry soll Mitglied sein, aber auch Ex-Präsident George W. Bush.
Der tief verwurzelte Wunsch nach magischem Denken und Geheimnissen
Ohne Skull and Bones wäre ein so mittelmäßiger und inkompetenter Politiker wie George W. Bush niemals Präsident der USA geworden …
… zitiert Graichen aus den Recherchen der amerikanischen Journalistin Alexandra Robbins, ...
… und wenn Sie bedenken, dass 2004 die beiden sich ja als Präsidentschaftskandidaten gegenüberstanden, Bush für die Republikaner und für die Demokraten Kerry, und beides Skull-and-Boner sind, und die sich dann abends in ihren geheimen Orten, wo man sich da trifft, sie haben eine eigene Insel mit Gebäuden, die unzugänglich für Nichtmitglieder sind, da kommt man sich doch veralbert vor, um es vorsichtig zu formulieren, wenn da zwei sich streiten, und es ist alles nur Show.
Die Autoren – neben Graichen und Hesse haben noch Holger Diedrich, Jürgen Sarnowsky und Heike Schmidt Texte beigesteuert – beschreiben, welche Bedürfnisse Geheimbünde bedienen: etwa den tief verwurzelten Wunsch nach magischem Denken und Geheimnissen und die Sehnsucht, einer elitären Gruppe anzugehören, die sich außerhalb der von NSA und BND überwachten Gesellschaft bewegt. Und somit haben Geheimbünde immer Konjunktur, besonders aber in Zeiten historischer Umbrüche, meint Gisela Graichen.
Das ist die Zeit des zusammenbrechenden Römischen Reiches mit den Mysterienkulten, wir sehen die Aufklärung, typisches Beispiel, Goethe war Freimaurer und Illuminat, Lessing, Schiller, die waren alle Freimaurer, die Zeiten der Französischen und Amerikanischen Revolution, George Washington war Freimaurer, und vor dem Ersten Weltkrieg und heute wieder – es sind Zeiten der Unsicherheit, und wir sind eindeutig auch heute in schwankenden Verhältnissen, wo man nicht weiß, wo soll ich mich festhalten?
"Geheimbünde" von Gisela Graichen und Alexander Hesse ist gut lesbar, manchmal etwas reißerisch, was aber der Tatsache geschuldet ist, dass es das Begleitbuch zum gleichnamigen Dreiteiler ist, den das ZDF im Januar 2014 ausstrahlt. Wer die Parallelwelten von Geheimbünden kennenlernen möchte, kommt an diesem Buch nicht vorbei.
Gisela Graichen und Alexander Hesse: Geheimbünde, Freimaurer und Illuminaten, Opus Dei und Schwarze Hand. 384 Seiten aus dem Rowohlt Verlag für € 19,95.