Jasper Barenberg: Die USA versprechen der Bundesrepublik verbindlich, künftig auf den gigantischen Lauschangriff zu verzichten. Damit wollte die alte Bundesregierung dem Übel des ausufernden NSA-Skandals den Zahn ziehen. Jetzt zeichnet sich allerdings ab: Aus den hochfliegenden Plänen wird wohl nichts, weil Washington erst Zusagen machte, inzwischen aber auf die Bremse getreten ist und kaum eine der Forderungen aus Deutschland erfüllen mag. Auch Hoffnungen, Barack Obama könnte die NSA künftig stärker an die Kandare nehmen, werden wohl enttäuscht werden. Nach Informationen der "New York Times" jedenfalls will der US-Präsident auf eine durchgreifende Reform verzichten. – Mein Kollege Jürgen Liminski hat den Politikwissenschaftler Christer Garrett von der Universität Leipzig gefragt, ob denn aus dem No-Spy-Abkommen mit Deutschland trotz allem noch etwas werden könnte.
Christer Garrett: Was man so alles liest, wahrscheinlich nicht. Wir werden am Freitag eine große Rede zum Thema vom Präsidenten hören, erleben, und offensichtlich intern wächst der Druck, nicht einen Präzedenzfall mit so einem Abkommen mit Deutschland zu unterzeichnen, weil es wird schon verspürt, dass die Schlange mit anderen Ländern schon wächst. Das heißt, andere Abkommen müssen her, und das würde durchaus Probleme für die Amerikaner mit sich bringen.
Jürgen Liminski: Also kein Präzedenzfall für die Deutschen. Haben die Deutschen hier die Freundschaft mit den USA überschätzt?
Garrett: Nein, ich denke das nicht. Die amerikanische Medienlandschaft hat zum Beispiel sehr wohl über den Frust, die Ängste, den Ärger, wenn man so will, in Deutschland sehr detailliert berichtet. Das nimmt man sehr ernst, auch im Weißen Haus, und weiß, dass viel Vertrauen verloren gegangen ist und das muss wieder aufgebaut werden. Der Ernst der Lage wird nicht unterschätzt in den USA. Gleichzeitig ist der Druck enorm, so viele Kanäle wie überhaupt möglich weltweit aufrecht zu erhalten, um Informationen zu sammeln, und dazwischen versucht man jetzt, eine neue Politik zu kreieren.
Liminski: Das Sammeln von Informationen entspricht auch einer gewissen Interessenpolitik Amerikas. Die ist ja knallhart. Hat man die unterschätzt?
Garrett: Möglicherweise. Es ist schwierig zu sagen. Es gibt ein berühmtes Zitat aus den 70er-Jahren zur Währungspolitik vom ehemaligen Finanzminister der USA, John Connally, der hat 71 einmal gesagt, der Dollar ist unsere Währung und euer Problem. Er wollte damit sagen, durchaus sind nationale Interessen immer ganz oben. Gleichzeitig muss man sagen, was Spionage betrifft, kooperieren die Amerikaner und die Deutschen sehr, sehr eng. Nun, die USA sieht Europa und sieht, dass nationale Grenzen nicht Terroristen abhalten und dass abgehört werden muss wirklich weltweit, unter bestimmten Bedingungen manchmal, und von daher ist die Konstellation völlig anders. Amerika hat nationale Interessen, Deutschland hat nationale Interessen, und dazwischen versucht man, gerade in diesem Bereich sehr eng zu kooperieren, und macht man auch.
Liminski: Was kann denn Berlin tun, um Washington zu einem Abkommen zu bewegen? Was würden Sie als Amerikaner sagen? Soll Deutschland Druck ausüben mit dem Freihandelsabkommen, oder lieber geduldig ausharren und immer wieder nachfragen?
Garrett: Was das Freihandelsabkommen betrifft, müssen wir im Klaren sein: Da wird Deutschland der große Gewinner sein. Es geht um mehrere Hunderttausend Arbeitsplätze und da kann Deutschland sich durchaus die Frage stellen, sind mehrere Hunderttausend Arbeitsplätze ein No-Spy-Abkommen wert. Und ich vermute, wir kennen die Antwort schon. Also da muss man ein bisschen vorsichtig sein, dass man nicht mit Drohungen eine bestimmte unerwünschte Realität herbeizaubert. Es ist schwierig für Deutschland. Die Amerikaner kooperieren sehr eng mit anderen englischsprachigen Ländern, wie wir wissen, die sogenannten fünf Augen. Deutschland kommt auch da nicht rein, obwohl es ein sehr, sehr enger Partner ist in dieser Konstellation, viel enger zum Beispiel als Frankreich. Also, die Fähigkeiten, die Chancen für Deutschland sind begrenzt, und da erleben wir vielleicht ein unerwünschtes Moment, wo wir sehen, in der internationalen Politik herrschen noch bestimmte Hierarchien in Macht und Einfluss und man muss daraus machen das beste für sein Land und für die nationalen Interessen.
Liminski: Verstehe ich das richtig, dass Sie sagen, Deutschland hat eigentlich keine Chance, in diesen exklusiven Klub der Five Eyes beizutreten? Das war ja doch mal die Hoffnung.
Garrett: Soweit ich das verstehe. Das kann natürlich durchaus noch kommen. Deutschland ist auf dem allerersten Platz, was Anwärter betrifft. Deutschland genießt großes Vertrauen unter diesen sogenannten fünf Ländern, viel mehr noch einmal als zum Beispiel Frankreich, wenn man offen darüber redet. Noch einmal: Vor diesem Skandal, wenn man so will, mit den Abhöraktionen von den USA haben Deutschland, die USA und andere Länder sehr eng, was Geheimdienste betrifft und Abhöraktionen betrifft, kooperiert. Wir kennen natürlich nicht die ganze Geschichte und ich denke, wenn wir mehr dazu erfahren, auch aus Berlin, werden die Bürger auf beiden Seiten des Atlantiks sich fragen, worüber reden wir hier zum Teil wirklich, wenn beide Seiten Informationen aus Abhöraktionen teilen und sammeln, und wir wissen gar nicht, wer Deutschland als Freude und Feinde definiert, was Abhöraktionen betrifft. Deutschland hat auch einen Riesenapparat und teilt Informationen mit den USA. Also ich denke, beide Seiten, ist mein Eindruck von außen, weil das ist ein sehr enger Kreis hier natürlich, mein Eindruck von außen ist: Berlin und Washington versuchen, hier nicht die Kerninteressen zu beschädigen, dadurch, dass man eine öffentliche Politik voranbringt, die irgendwann möglicherweise nicht mehr zu gestalten ist im eigenen Interesse.
Barenberg: Der Leipziger Politikwissenschaftler Christer Garrett im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Liminski.
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