Wenn die deutschen Dienste besser arbeiten könnten und eigene Kompetenzen hätten, wären sie nicht so sehr von den USA abhängig, so Schuster im Deutschlandfunk. Die jüngsten Berichte über die Weitergabe von Daten deutscher Staatsbürger an den US-Geheimdienst durch den BND bezeichnete Schuster als im Grundsatz nicht neu. Es müsse nun geklärt werden, ob es sich um einen technischen Defekt handele, wie groß die Datenmenge gewesen sei und welche Deutsche betroffen seien. Er persönlich habe weniger Probleme damit, wenn es sich um Waffenhändler oder Terrorverdächtige gehandelt habe. Laut Medienberichten hat der BND zwischen 2004 und 2008 Informationen am Internet-Knotenpunkt in Frankfurt abgegriffen.
Das komplette Interview zum Nachlesen:
Silvia Engels: NDR, WDR und "Süddeutsche Zeitung" berichten an diesem Wochenende detailliert über eine Recherche, die schon etwas länger läuft. Es geht um die Frage, welche Daten der Bundesnachrichtendienst zwischen 2004 und 2008 von einem Internetknotenpunkt in Frankfurt an den US-Geheimdienst NSA weitergeleitet hat. Deutsche Daten sollen dabei eigentlich herausgefiltert werden, weil die Weitergabe rechtswidrig wäre. Doch das hat nach Informationen der "SZ" aus technischen Gründen nicht funktioniert. Am Telefon ist Armin Schuster, Obmann der Union im Innenausschuss des Bundestages und Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium, das die Arbeit der Geheimdienste kontrolliert. Guten Tag, Herr Schuster!
Armin Schuster: Guten Tag, Frau Engels!
Engels: Sind das denn neue Informationen für Sie?
Schuster: Nein, nicht im Grundsatz, aber in der Tiefe. Wir sind im Parlamentarischen Kontrollgremium von der Regierung über diesen Umstand informiert worden, allerdings noch nicht in der Tiefe, in der jetzt recherchiert wurde durch die Presse.
Engels: Haben Sie denn nun neue Fragen an die Geheimdienste, vor allen Dingen an den BND?
Schuster: Ja. Was wir zweifelsfrei klären müssen, ist, ob es tatsächlich "nur" ein technischer Defekt war, "nur" in Anführungsstrichen, das ist ja schon schlecht genug. Dann geht es mir mal darum, wie hoch ist denn eigentlich die Menge der Daten, die da ausgeleitet wurde in die USA, und natürlich, ich sage mal, welche Deutschen sind davon betroffen? Ich hätte ja jetzt ein kleineres Problem, wenn es tatsächlich um Terrorverdächtige, Waffenhändler, also um das Klientel geht, das wir eigentlich überwachen wollen.
"Da reichen mir die Informationen noch nicht"
Engels: Das heißt, das klingt so, als ob Sie über diesen gesamten Vorgang sehr oberflächlich bis überhaupt nicht informiert sind.
Schuster: Nein. Ich möchte es mal anders sagen. Ich bin mit der Zusammenarbeit im Parlamentarischen Kontrollgremium mit der Regierung eigentlich zufrieden. Wir kriegen schnellstmöglich die Informationen. Und jetzt muss man immer wissen, wir haben ja beispielsweise auch noch einen relativ neuen BND-Chef, der gar nicht im Amt war, als es um diese Dinge ging. Und ich habe beim BND-Chef bisher die Erfahrung gemacht, dass wir schnellstmöglich informiert werden über solche Dinge. In dem Fall gilt es für uns, weit tiefer zu gehen. Das ist eigentlich in erster Linie gar nicht Aufgabe des NSA-Ausschusses, sondern das ist typische Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums, und da reichen mir die Informationen noch nicht.
Engels: Die technischen Schwierigkeiten, da deutsche Informationen herauszufiltern, scheinen ja wohl von Anfang bis Ende dieser gesamten Untersuchung von 2004 bis 2008 bestanden zu haben. Kann es denn wirklich sein, dass man das trotzdem weiter laufen ließ?
Schuster: Ja, da sehen Sie die Notwendigkeit eines Parlamentarischen Kontrollgremiums. Ich kann mir schon vorstellen, dass da im Betriebseifer immer wieder nach einer technischen Lösung gesucht wurde und eventuell, vielleicht dachte man auch nur, ein, zwei, drei Prozent Verlust in Kauf genommen hat. Ich weiß es nicht genau, aber vorstellen kann ich mir so was. Jeder, der in einem Beruf steckt, kennt solche Vorgänge. Nur, das ist natürlich viel zu heikel, als dass man da einfach drüber hinweggeht. Insofern sehen Sie, wie notwendig eine viel intensivere parlamentarische Kontrolle wäre. Weil diesen Betriebseifer haben wir nicht, wir können nüchtern drauf gucken und auch diese übrigens sehr schwierigen juristischen Fragen beantworten – ist das ein G10-Verstoß, zum Beispiel?
Engels: G10 beschreibt die Kommission, die sich mit der Genehmigung von Überwachung von Telekommunikationsdaten befasst, das zu Ergänzung. Sollten die Vorwürfe zutreffen, spricht Linken-Chef von "massenhaften vorsätzlichen Grundrechtsverstößen". Ziehen Sie da mit?
Schuster: Nein, da wir ja nicht von massenhaften Daten sprechen, sondern von einem technischen Fehler, der vereinzelt Daten durchgelassen hat. Und jetzt müssen wir noch mal auf den Kern des Problems gehen: Unsere Nachrichtendienste weltweit haben die Schwierigkeit, mit dieser digitalen Revolution fertigzuwerden, in der wir mitten drin stecken. Und das heißt, Terroristen, Waffenlieferanten, all diese Klientel, um die es uns eigentlich geht, nutzt diese Medien, und irgendwie müssen wir dort natürlich zu Maßnahmen kommen. Das ist unglaublich schwer, das muss man auch mal sehen. Ich glaube auch, dass die deutschen Dienste überhaupt nicht die technologische Fähigkeit hatten, weil wir sehr vorsichtig in allem sind. Aber wenn wir nicht abgehängt werden wollen, müssen wir uns mit solchen Dingen beschäftigen, und dann kommt es zu Fehlern, die nicht passieren dürften.
"Kooperation mit der NSA weiterhin sehr wichtig"
Engels: Welche Konsequenzen wollen Sie denn daraus ziehen?
Schuster: Meine Konsequenz ist die, dass die deutsche Regierung dringend die Frage beantworten muss, ob die eigenen technologischen Fähigkeiten unserer Dienste wirklich ausreichend sind. Ich glaube, wir machen uns zu stark abhängig von Amerikanern beispielsweise, um bei der weltweiten Terrorabwehr überhaupt noch mitmachen zu können. Ich glaube, wenn wir es selber besser könnten, wären wir auf die kritische Zusammenarbeit mit der NSA in diesem Umfang gar nicht angewiesen. Ich glaube zwar, dass die Kooperation mit der NSA weiterhin sehr wichtig sein wird, aber wir müssen ein eigenes Selbstbewusstsein entwickeln und vor allen Dingen eigene Kompetenzen.
Engels: Müsste man dann auch so weit gehen, die Daten deutscher Bürger rechtlich ausspionieren zu dürfen, wenn Sie da Verbesserungen aus Ihrer Sicht anmahnen.
Schuster: Oh, das ist eine schwierige Frage. Wenn es möglich wäre, technologisch, tatsächlich Daten anzuschauen und herauszufiltern, wo wir über Schwerstkriminalität, Terrorismus et cetera sprechen, dann natürlich ja. Aber ein Netz auszulegen, in dem ich erst mal alle Fische einfange und dann gucke, wo sind denn die Schlimmen – also das geht mir zu weit.
Engels: Armin Schuster, Obmann der Union im Innenausschuss des Bundestages und Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium. Vielen Dank für das Gespräch!
Schuster: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.