Die einen verschlingen Spionage-Romane von John le Carré, andere kriegen nicht genug von Serien wie „The Americans“ oder „Slow Horses“, und wieder andere begeistern sich für die ikonischen James-Bond-Streifen.
Wie aber sieht der Alltag von Spioninnen und Spionen in Wirklichkeit aus? Seit wann gibt es überhaupt Geheimdienste? Wie wichtig sind sie für das Überleben von Staaten? Und last but not least: Machen Spione verschiedener Staaten und Dienste auch gemeinsam Urlaub?
Übersicht
Tödlicher Urlaub: Spione versinken im Lago Maggiore
Zu Pfingsten ist auf dem Lago Maggiore ein Boot gesunken. An Bord waren Geheimdienstler aus Italien und Israel. Eine Meldung, die Sophia Hoffmann nicht verwundert. Aus der Forschung wisse man, sagt die Professorin für internationale Politik und Konfliktforschung an der Universität Erfurt, dass Geheimdienstler unterschiedlicher Staaten auch mal gemeinsam Urlaub machten. Davon geht sie auch in diesem Fall aus.
In Deutschland würden zudem die Kieler Woche oder das Oktoberfest dafür genutzt, um sich ungezwungen mit internationalen Spionagepartnern zu treffen und diese zu bewirten. Die soziale Komponente der Geheimdienstarbeit sei nicht zu unterschätzen, erklärt die Expertin für Nachrichtendienste. Schließlich bestünden die Kontakte teilweise über Jahrzehnte.
Geheimdienste wirken staatserhaltend
Dabei pflegen Geheimdienstler nicht nur soziale Kontakte über Ländergrenzen hinweg, sondern stützen mit ihrer Arbeit auch andere Staaten. Davon geht Geheimdienstexpertin Sophia Hoffmann jedenfalls aus. Sie erklärt, dass die Arbeit der Spione im Prinzip staatserhaltend wirke.
Geheimdienstler wollten jeweils das Beste für ihr Land, und alle Spione zusammen stützten das Staatensystem insgesamt in seiner jetzigen Form. Besonders deutlich erkenne man das bei der Terrorismusbekämpfung, erklärt Hoffmann.
Als in den 70er-Jahren der palästinensische Terror seinen Höhepunkt erreichte und die einzelnen Gruppen mit anti-staatlichen Gruppierungen aus anderen Ländern, wie der deutschen RAF, zusammenarbeiteten, kollaborierten Dienste weltweit über Systemgrenzen hinweg bei der Bekämpfung dieser Gefahr für das Staatensystem.
Die Terrorismusbekämpfung und vor allem die Informationsbeschaffung im Vorfeld, also bevor es zu Anschlägen auf dem eigenen Staatsgebiet kommt, ist eine der nachrichtendienstlichen Hauptaufgaben in Friedenszeiten.
Das kann aber auch schiefgehen, wie das Beispiel des NSU-Komplexes zeigt. Hier hat der deutsche Inlandsgeheimdienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz, zu dessen Aufgaben es gehört, terroristische Gewalttaten in Deutschland durch Informationsbeschaffung zu verhindern, auf mehreren Ebenen versagt.
Zwischen 2000 und 2007 hat der Nationalsozialistische Untergrund (NSU), eine neonazistische terroristische Vereinigung, neun Menschen aus rassistischen Motiven sowie eine Polizistin ermordet. Obwohl der Verfassungsschutz verschiedene V-Personen im Umfeld des Trios Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatte, will er von den Morden nichts gewusst haben.
Geheimdienste entstehen um 1900 herum
Der Alltag der Spione ist weitaus weniger glamourös oder spektakulär, als die Romane und Filme uns weismachen wollen. Geheimdienstler werten in der Regel in ihren Büros vor allem Kommunikation aus: E-Mails, Chats, Telefonate, SMS etc. Das heißt, sie hören alles Mögliche ab, lesen lange Transkripte und bewerten das Abgefangene.
Dabei ist die Entwicklung der Geheimdienste an die technologische Entwicklung im Bereich der Kommunikation gekoppelt. Nachrichtendienste, wie wir sie heute kennen, sind erst um 1900 herum entstanden, wie Wolfgang Krieger erklärt. Er ist emeritierter Professor für Neuere Geschichte und Geschichte der internationalen Beziehungen – und Fachmann für Geheimdienste.
Einen Boost erlebten die Dienste dann im Ersten Weltkrieg, in einer Zeit, in der der internationale Funkverkehr sich durchsetzte und damit auch zum Ziel nachrichtendienstlicher Aktivitäten werden konnte.
Wachsender Bedarf an Spionen
Die anhaltende technologische Entwicklung ist auch der Grund dafür, dass das Personal stetig wächst. Mit jeder Innovation gibt es neuen Bedarf an Leuten, die diese Kommunikation abfangen und auswerten können, so dass man ein großes Zentralgebäude, gut ausgebildetes Personal und ein Archiv braucht.
Man denke nur an die neue Zentrale des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Berlin-Mitte. In dem riesigen Gebäudekomplex in der Chausseestraße ist der deutsche Auslandsgeheimdienst untergebracht. Es ist der größte Hauptsitz eines Nachrichtendienstes weltweit.
Wer viel abhört, hört viel Unnützes oder Falsches
Die Amerikaner sagen: Spionage sei das geheime Wissen des Gegners. Dieses Wissen braucht man, um rechtzeitig auf Bedrohungen reagieren oder den Lauf der Politik in anderen Staaten zum eigenen Vorteil beeinflussen zu können, wie Geheimdienst-Experte Krieger im Deutschlandfunk erklärt. Beim Versuch, dieses Wissen abzufangen, erfahre man natürlich auch viel Unnötiges oder Falsches, so Krieger. Ein Spion müsse also vor allem geduldig sein.
Die Bewertung des Abgefangenen biete ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Fehlerquelle. Oft müssten Geheimdienstmitarbeiter schnell reagieren und entscheiden, ob sie einer Quelle vertrauten oder nicht. Ein Geheimdienstler müsse daher auch risikobereit sein.
Manches bekommen Geheimdienste gar nicht erst mit – trotz des riesigen Aufwands. So wurde der Bundesnachrichtendienst (BND) vom Wagner-Aufstand in Russland am 23. und 24. Juni 2023 völlig überrascht, wie der Deutschlandfunk berichtet hat.
Geheimdienste sind ein Sparmodell
Spionage gab es schon im Alten Ägypten, erklärt Geheimdienst-Experte Krieger. Dabei müsse man die überlieferten Texte natürlich richtig lesen können. Darin sei beispielsweise von den „Augen und Ohren“ des Pharao zu lesen. Damit seien Beamte gemeint, die schon in der Phase des Neuen Reichs, also vor rund 3.500 Jahren, Informationen über Aufstände sammelten – lange, bevor sie eintraten.
Und der chinesische Militärtheoretiker Sunzi hat schon vor rund 2.500 Jahren vorgerechnet, dass es letztlich billiger sei, sich einen teuren Geheimdienst zu leisten, als blind in Konflikte oder Unruhen hineinzuschlittern, die den Staat gefährden könnten.
„Geheimdienste sind ein Sparmodell“, fasst Krieger die chinesische Haltung überspitzt zusammen. „Die Spionage ist eine Tätigkeit, mit der Schlimmeres, Kostspieligeres verhindert wird.“
Stasi kostete 4,2 Milliarden Ostmark jährlich
In Deutschland gibt es insgesamt drei Nachrichtendienste: das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), den Bundesnachrichtendienst (BND) und den Militärischen Abschirmdienst (MAD). Letzterer ist für Sicherheitsüberprüfungen innerhalb der Bundeswehr zuständig. Er soll beispielsweise Extremisten und Terroristen in der Truppe aufspüren und betreibt Spionageabwehr für die Bundeswehr. [*]
Wie teuer so ein „Sparmodell Geheimdienst“ sein kann, sieht man am Ministerium für Staatssicherheit der DDR. Es beschäftigte Ende der 80er-Jahre 90.000 offizielle und 170.000 inoffizielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - die sogenannten IM. 4,2 Milliarden Ostmark kostete es jedes Jahr, 16,5 Millionen Menschen in der DDR zu überwachen.
Die Guillaume-Affäre
In der Regel findet Spionieren im Verborgenen statt und kommt nur ans Licht, wenn etwas schiefgeht. Von Erfolgen in der Welt der Spione hört man deswegen eher selten bis gar nicht. Eines der bekanntesten Beispiele, bei denen ein Spion aufgeflogen ist, ist der Fall Günter Guillaume. Er war von 1972 bis 1974 persönlicher Referent des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt (SPD).
Guillaume war vom Ministerium für Staatssicherheit der DDR, also der Stasi, ins Umfeld des Kanzlers eingeschleust worden, was nach der Enttarnung des Spions zu Brandts Rücktritt führte. Aufgeflogen ist Guillaume aber nicht aufgrund der exzellenten Arbeit westdeutscher Geheimdienste, sondern aufgrund von Aussagen eines Überläufers aus der DDR.
Hauptmotiv: Geld
Was treibt Spione an? Was ist ihre Motivation? Im Wesentlichen geht es um Geld, erklärt Geheimdienstexpertin Sophia Hoffmann nüchtern: entweder um einen regelmäßigen Geldfluss zwischen dem Agenten und seinem Anleiter, dem Agentenführer, oder um einmalige Zahlungen bei sogenannten Walk-ins. Das sind einmalige Transaktionen, bei denen Menschen, die an ein bestimmtes Wissen gelangt sind und Geld brauchen, dieses Wissen an einen Nachrichtendienst verkaufen.
Manchmal ist die innere Überzeugung ausschlaggebend für ein Leben im Schatten, wie im Fall Guillaume. Diese ideologiegetriebene Motivation war vor allem im Kalten Krieg verbreitet. Guillaume sprach nach seiner Enttarnung davon, dass er eigentlich nur zwei Menschen dienen wollte: Willy Brand und Markus Wolf. Letzterer war der Chef des Auslandsgeheimdienstes der DDR und hatte Guillaume angeworben.
Ein guter Spitzel lebt die Lüge
Hoffman erklärt, um ein richtig guter Spitzel zu sein, müsse man fähig sein, die Lüge zu vergessen. Nur so könne man dem Ausspionierten das Gefühl geben, einen Vertrauten vor sich zu haben. Sie ergänzt, dass die Motivation der inneren Überzeugung auch oft mit einer Frustration einhergehe. Man sei vom eigenem System oder seinem Arbeitsgeber enttäuscht und wolle vielleicht auch Rache nehmen.
Nach dem Absitzen seiner Strafe in einem westdeutschen Gefängnis gelangte Guillaume wieder in die DDR, wo er als Held gefeiert wurde.
Wie sieht es mit der "Lizenz zum Töten" aus?
Manche Staaten nutzen ihre Geheimdienste auch dafür, Oppositionelle im Ausland zu liquidieren, zum Beispiel Russland. Am bekanntesten sind die Nowitschok-Anschläge in den Jahren 2018 und 2020.
2018 sollten der frühere Doppelagent Sergei Skripal und seine Tochter Julija im südenglischen Salisbury mit dem Nervengift Nowitschok umgebracht werden. Das misslang jedoch. Monate später fand ein Ehepaar in Salisbury das Fläschchen mit dem Gift und erkrankte schwer. Die Frau überlebte den Kontakt mit dem Nervengift nicht. Auch der russische Oppositionelle Alexei Nawalny sollte 2020 mit Nowitschok vergiftet werden, was ebenfalls misslang.
2019 kam es zum sogenannten Tiergartenmord. Ein russischer Staatsbürger mit tschetschenischen Wurzeln, Selimchan Changoschwili, wurde am helllichten Tag im Kleinen Tiergarten in Berlin erschossen, mutmaßlich im Auftrag des russischen Geheimdienstes FSB. Russland betrachtete Changoschwili als islamistischen Terroristen.
Das ist aber kein Alleinstellungsmerkmal des russischen Dienstes, auch der US-amerikanische und der israelische führen Liquidationen durch, wie Geheimdienstexpertin Sophia Hoffmann berichtet – im Gegensatz zu den deutschen Diensten, die aufgrund ihrer Geschichte solche Aktionen nicht durchführen.
Jörg Biesler, ckr
[*] Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes hieß es, der Militärische Abschirmdienst (MAD) würde Informationen über ausländische Streitkräfte sammeln. Das ist nicht korrekt, wir haben die Passage korrigiert.