Heutzutage, da jede dritte Ehe geschieden wird, ist man mit der Frage, wie sich Liebe und Ehealltag auf Dauer vereinbaren lassen, nicht weiter als vor 200 Jahren. Die Epoche um 1800 brachte neben vielen anderen Umbrüchen auch die Neigungsehe in Mode; aber in der kleinen Gruppe der Aufgeklärten und Frühromantiker, die mit freier Partnerwahl, Offenheit und Seitensprüngen experimentierte, grassierte alsbald die Scheidung – damals noch ein außergewöhnliches Phänomen.
Zu dieser Gruppe gehörten auch Wilhelm von Humboldt und seine Ehefrau Caroline, geboren von Dacheröden, und als Geschiedene hätten auch sie enden können; zum Beispiel weil Wilhelm regelmäßig ins Bordell ging, oder weil Caroline sich einmal in einen anderen Mann nicht nur verliebte, sondern diesen zeitweilig in die Familie einbrachte. Humboldts Temperament und Denkungsart ließ es ihn offenbar gelassen nehmen, entsprach es doch seinem allgemeinen Anspruch an die Ehe
"In dem engsten Verhältnis die höchste Freiheit zu behalten."
Wie er wirklich fühlte, darüber spekuliert die Biografin Hazel Rosenstrauch nur sachte. Denn überall, wo, wie in diesem Fall, die direkte Aussagekraft der Quellen endet, lässt auch sie den Rolladen herunter und hält allenfalls eine schmale, vertretbare Ritze frei für vorsichtige Andeutungen, Möglichkeiten. Sie sagt, wie es ist: Vom brieflichen Nachlass Wilhelms und Carolines ist viel verloren gegangen oder durch frühe Herausgeber geschönt worden. Aber dieses kosmopolitische Paar reiste so unerhört viel, war so oft getrennt – was der Ehe sicher guttat - und korrespondierte so fleißig, dass genug Material blieb, um eine erstaunliche, außergewöhnlich moderne Beziehungsgeschichte glaubwürdig zu erzählen.
Zumal der frühe Freundeskreis – Brendel Veit, Karl von La Roche, Henriette Herz, Henriette Mendelssohn, Georg Forster und seine Frau Therese, Friedrich und Charlotte Schiller, Rahel Levin und viele andere – zumal also diese Freunde in puncto Selbsterforschung und Offenheit hohe Ansprüche stellten
"Die aufgeklärten und empfindsamen Männer und einige wenige Frauen erfanden nicht nur das Denken neu, die gesamte Haltung wollte geformt werden: Postaufklärerisch suchten sie nach der Wahrheit im "innersten Sein und Wesen", als Aufklärung über das Seelenleben, das mit Worten und mit Experimenten erforscht wurde."
Sie waren liberal und aufgeschlossen, sie wollten die Welt anders haben, aber sie waren auch Stars ihrer Epoche. Wilhelm von Humboldt und sein Bruder Alexander, aus reichem neuadligen Haus, gutaussehend und begabt. Caroline von Dacheröden, alter Adel, die Bilder zeigen eine schöne Frau mit auffallend entschiedenen, dunklen Augen. Der Stil, in dem sie sich ihrem Verlobten Wilhelm offenbarte, entsprach ganz der Mode
"Oh Bill, Du sollst ein Glück genießen, ein unentweiht heiliges Glück, das noch in keines Menschen Herz gekommen, das die kühnsten Hoffnungen nicht ahndet – meine Seele fliegt wieder empor; neuer Lebensmut glüht in ihr und verjüngte, göttliche Kraft."
So ein zärtlich-überschwänglicher Rausch wurde nach klaren literarischen Vorgaben exekutiert, und doch: Dieses Pathos war Caroline sehr eigen und sollte es immer bleiben, ob es um Liebe oder Politik ging; während Wilhelm auch hier eher "gelassen" blieb, nüchtern, immer auf Distanz zur Welt, die er wie kaum ein anderer beobachtete und analysierte. Die komfortable familiäre Lage machte es möglich. Hazel Rosenstrauch:
"Erst im Laufe des 19. und erst recht im 20. Jahrhundert wurde es rufschädigend, wenn ein bedeutender Mann zwölf Jahre lang nur studierte, die Welt erkundete, vom Vermögen seiner Mutter und dem seiner Frau lebte und mit 35 Jahren seine erste bezahlte Stelle antrat."
Caroline und Wilhelm hatten im revolutionären Paris gelebt und das geheimnisvoll-rückständige Spanien bereist, in großen Kutschen mit Bedienten und Hauslehrern, sie hatten auf ihren ungemein strapaziösen Reisen Kinder bekommen, hatten zwischen Berlin und ihren Gütern gependelt, kurz: Sie waren herumgekommen, bevor Wilhelm im Jahr 1802 preußischer Gesandter im Vatikan wurde. Damit begann ihr Leben in der deutschen Künstler- Community Roms, in der es beziehungsmäßig drunter und drüber ging. Damit begann aber auch die Karriere des Wilhelm von Humboldt, dessen Beitrag zu den preußischen Reformen in napoleonischer Zeit bis heute sprichwörtlich ist: die Reform der Schul- und Universitätsausbildung.
Aber Hazel Rosenstrauch sieht Wilhelms Lebensleistung realistisch: Ein großer Denker und Sprachwissenschaftler, der vieles anriss, aber nicht zuende brachte; ein Reformator, dessen Werk sogleich verwässert wurde; ein unerhört geschickter Diplomat und doch immer nur in der zweiten Reihe, zu intelligent und zu widersprüchlich, um die erste zu spielen. Seine Werte - Mündigkeit, Selbstverantwortung, Individualität, Vielfalt – wurden nach den Befreiungskriegen der Restauration geopfert. Die patriotische Geburt des Nationalismus in Deutschland ließ beide Humboldts nicht unberührt – aber es war Caroline, die diese Wendung besonders enthusiastisch mit vollzog. Sie war es, die, ungeachtet ihrer sentimentalen Freundschaft zu Rahel Levin, eine antijüdische Phobie entwickelte und ihrem Mann schrieb
"Du rühmst Dich, die Juden nie zu verlassen. Es ist der einzige Fehler, den ich an Dir kenne."
Wilhelm, Verfechter der Gleichberechtigung der Juden, diskutierte auch dies mit seiner Frau, dieser unaufhörliche Austausch war eins der Geheimnisse der Humboldtschen Ehe. Nur seine sadistisch angehauchten Sexphantasien teilte er nicht ausführlich mit ihr; Hazel Rosenstrauch verschweigt diese Seite Wilhelms nicht, diskutiert sie sogar eingehend, schon weil die feministische Forschung gern auf ihr herumreitet. Dabei erstaunt – in unserem postfreudianischen Zeitalter - doch nicht die Perversion selbst, sondern der Freimut, mit dem Wilhelm von Humboldt sie in Gedichten und Briefen bekannte.
Eine höchst seriöse und gleichzeitig unterhaltsame Doppelbiografie ist das, von Hazel Rosenstrauch souverän und stilsicher gemeistert. Logisch, dass Caroline nicht ganz so gut wegkommt, logisch auch, dass von ihr insgesamt weniger die Rede ist als von ihrem Mann. "Ebenbürtig", das war in einer Zeit, als Frauen keinen Beruf ausüben konnten, eben ein relativer Begriff. Wahlverwandt war dieses Paar in seiner Entschlossenheit, sich der gegenseitigen Liebe und Achtung unausgesetzt zu versichern – und sie so, im Austausch von Gedanken und Gefühlen, zu erhalten.
Zu dieser Gruppe gehörten auch Wilhelm von Humboldt und seine Ehefrau Caroline, geboren von Dacheröden, und als Geschiedene hätten auch sie enden können; zum Beispiel weil Wilhelm regelmäßig ins Bordell ging, oder weil Caroline sich einmal in einen anderen Mann nicht nur verliebte, sondern diesen zeitweilig in die Familie einbrachte. Humboldts Temperament und Denkungsart ließ es ihn offenbar gelassen nehmen, entsprach es doch seinem allgemeinen Anspruch an die Ehe
"In dem engsten Verhältnis die höchste Freiheit zu behalten."
Wie er wirklich fühlte, darüber spekuliert die Biografin Hazel Rosenstrauch nur sachte. Denn überall, wo, wie in diesem Fall, die direkte Aussagekraft der Quellen endet, lässt auch sie den Rolladen herunter und hält allenfalls eine schmale, vertretbare Ritze frei für vorsichtige Andeutungen, Möglichkeiten. Sie sagt, wie es ist: Vom brieflichen Nachlass Wilhelms und Carolines ist viel verloren gegangen oder durch frühe Herausgeber geschönt worden. Aber dieses kosmopolitische Paar reiste so unerhört viel, war so oft getrennt – was der Ehe sicher guttat - und korrespondierte so fleißig, dass genug Material blieb, um eine erstaunliche, außergewöhnlich moderne Beziehungsgeschichte glaubwürdig zu erzählen.
Zumal der frühe Freundeskreis – Brendel Veit, Karl von La Roche, Henriette Herz, Henriette Mendelssohn, Georg Forster und seine Frau Therese, Friedrich und Charlotte Schiller, Rahel Levin und viele andere – zumal also diese Freunde in puncto Selbsterforschung und Offenheit hohe Ansprüche stellten
"Die aufgeklärten und empfindsamen Männer und einige wenige Frauen erfanden nicht nur das Denken neu, die gesamte Haltung wollte geformt werden: Postaufklärerisch suchten sie nach der Wahrheit im "innersten Sein und Wesen", als Aufklärung über das Seelenleben, das mit Worten und mit Experimenten erforscht wurde."
Sie waren liberal und aufgeschlossen, sie wollten die Welt anders haben, aber sie waren auch Stars ihrer Epoche. Wilhelm von Humboldt und sein Bruder Alexander, aus reichem neuadligen Haus, gutaussehend und begabt. Caroline von Dacheröden, alter Adel, die Bilder zeigen eine schöne Frau mit auffallend entschiedenen, dunklen Augen. Der Stil, in dem sie sich ihrem Verlobten Wilhelm offenbarte, entsprach ganz der Mode
"Oh Bill, Du sollst ein Glück genießen, ein unentweiht heiliges Glück, das noch in keines Menschen Herz gekommen, das die kühnsten Hoffnungen nicht ahndet – meine Seele fliegt wieder empor; neuer Lebensmut glüht in ihr und verjüngte, göttliche Kraft."
So ein zärtlich-überschwänglicher Rausch wurde nach klaren literarischen Vorgaben exekutiert, und doch: Dieses Pathos war Caroline sehr eigen und sollte es immer bleiben, ob es um Liebe oder Politik ging; während Wilhelm auch hier eher "gelassen" blieb, nüchtern, immer auf Distanz zur Welt, die er wie kaum ein anderer beobachtete und analysierte. Die komfortable familiäre Lage machte es möglich. Hazel Rosenstrauch:
"Erst im Laufe des 19. und erst recht im 20. Jahrhundert wurde es rufschädigend, wenn ein bedeutender Mann zwölf Jahre lang nur studierte, die Welt erkundete, vom Vermögen seiner Mutter und dem seiner Frau lebte und mit 35 Jahren seine erste bezahlte Stelle antrat."
Caroline und Wilhelm hatten im revolutionären Paris gelebt und das geheimnisvoll-rückständige Spanien bereist, in großen Kutschen mit Bedienten und Hauslehrern, sie hatten auf ihren ungemein strapaziösen Reisen Kinder bekommen, hatten zwischen Berlin und ihren Gütern gependelt, kurz: Sie waren herumgekommen, bevor Wilhelm im Jahr 1802 preußischer Gesandter im Vatikan wurde. Damit begann ihr Leben in der deutschen Künstler- Community Roms, in der es beziehungsmäßig drunter und drüber ging. Damit begann aber auch die Karriere des Wilhelm von Humboldt, dessen Beitrag zu den preußischen Reformen in napoleonischer Zeit bis heute sprichwörtlich ist: die Reform der Schul- und Universitätsausbildung.
Aber Hazel Rosenstrauch sieht Wilhelms Lebensleistung realistisch: Ein großer Denker und Sprachwissenschaftler, der vieles anriss, aber nicht zuende brachte; ein Reformator, dessen Werk sogleich verwässert wurde; ein unerhört geschickter Diplomat und doch immer nur in der zweiten Reihe, zu intelligent und zu widersprüchlich, um die erste zu spielen. Seine Werte - Mündigkeit, Selbstverantwortung, Individualität, Vielfalt – wurden nach den Befreiungskriegen der Restauration geopfert. Die patriotische Geburt des Nationalismus in Deutschland ließ beide Humboldts nicht unberührt – aber es war Caroline, die diese Wendung besonders enthusiastisch mit vollzog. Sie war es, die, ungeachtet ihrer sentimentalen Freundschaft zu Rahel Levin, eine antijüdische Phobie entwickelte und ihrem Mann schrieb
"Du rühmst Dich, die Juden nie zu verlassen. Es ist der einzige Fehler, den ich an Dir kenne."
Wilhelm, Verfechter der Gleichberechtigung der Juden, diskutierte auch dies mit seiner Frau, dieser unaufhörliche Austausch war eins der Geheimnisse der Humboldtschen Ehe. Nur seine sadistisch angehauchten Sexphantasien teilte er nicht ausführlich mit ihr; Hazel Rosenstrauch verschweigt diese Seite Wilhelms nicht, diskutiert sie sogar eingehend, schon weil die feministische Forschung gern auf ihr herumreitet. Dabei erstaunt – in unserem postfreudianischen Zeitalter - doch nicht die Perversion selbst, sondern der Freimut, mit dem Wilhelm von Humboldt sie in Gedichten und Briefen bekannte.
Eine höchst seriöse und gleichzeitig unterhaltsame Doppelbiografie ist das, von Hazel Rosenstrauch souverän und stilsicher gemeistert. Logisch, dass Caroline nicht ganz so gut wegkommt, logisch auch, dass von ihr insgesamt weniger die Rede ist als von ihrem Mann. "Ebenbürtig", das war in einer Zeit, als Frauen keinen Beruf ausüben konnten, eben ein relativer Begriff. Wahlverwandt war dieses Paar in seiner Entschlossenheit, sich der gegenseitigen Liebe und Achtung unausgesetzt zu versichern – und sie so, im Austausch von Gedanken und Gefühlen, zu erhalten.