Im Sommer 1996 gruben Beamte des Berliner Landeskriminalamtes im Grunewald zwei Kisten aus dem Boden aus. Darin befanden sich Pistolen, Munition, Handgranaten und militärische Karten, die Hinterlassenschaft einer sogenannten Stay-Behind-Organisation auf deutschem Boden aus der Zeit des Kalten Krieges. Ende der 1940er Jahre hatten US-Geheimdienste deutsche Mitarbeiter zu rekrutieren begonnen. Im Fall einer sowjetischen Invasion sollten sie hinter den feindlichen Linien als Partisanen und Saboteure operieren.
Co-Autor Ulrich Stoll über die fragwürdige Vergangenheit mancher Stay-Behind-Agenten: "Es gibt zahlreiche Beispiele für Menschen, die eine SS-Vergangenheit haben, die auch eine Vergangenheit als Kriegsverbrecher haben, und die trotzdem von den Amerikanern nach dem Zweiten Weltkrieg für Stay-Behind-Netzwerke rekrutiert wurden. Das hat die Amerikaner nicht gestört."
Die Geschichte dieser Stay-Behind-Netzwerke zeichnen Ulrich Stoll und Erich Schmidt-Eenboom akribisch nach. Sie konnten dabei erstmals Einblick in Akten des US-Nationalarchivs und des Bundesnachrichtendienstes nehmen, wobei ihnen längst nicht alle Unterlagen vorgelegt wurden. So sind sie vielfach auf Vermutungen angewiesen, manche Fragen bleiben offen. Doch dies lässt sich kaum vermeiden bei einem Thema, das von Geheimdiensten und Schattenarmeen handelt. Die Autoren widerstehen aber der Versuchung, wüste Spekulationen anzustellen, sie entwickeln keine Verschwörungstheorien und vermeiden vorschnelle Schlüsse. Statt sich einer reißerischen, spannungsgeladenen Rhetorik zu bedienen, was bei diesem Stoff naheläge, analysieren sie nüchtern das Umfeld der Stay-Behind-Organisationen.
Dazu zitieren sie unter anderem aus internen Unterlagen des Technischen Dienstes des Bundes Deutscher Jugend, kurz BDJ-TD, einem von den Amerikanern inspirierten und finanzierten paramilitärischen Verband mit mehreren hundert Mitgliedern.
"Das Papier vom März 1951 bewies eindeutig, dass sich der Technische Dienst nicht nur als Partisanentruppe für den Tag X verstand, sondern auch als Bürgerkriegsverband für Friedenszeiten."
"Das Papier vom März 1951 bewies eindeutig, dass sich der Technische Dienst nicht nur als Partisanentruppe für den Tag X verstand, sondern auch als Bürgerkriegsverband für Friedenszeiten."
Unklarheit über Waffendepots
Es gibt konkrete Listen mit Namen von Kommunisten und Sozialdemokraten wie Herbert Wehner, die im Falle einer kritischen Situation, zum Beispiel eines Neutralitätskurses einer deutschen Regierung, interniert worden wären von den Stay-Behind-Truppen des BDJ-TD. Da wurde sogar empfohlen, in die Menge zu schießen. Also man war bewaffnet, man war bereit, auch Bundesbürger anzugreifen.
Der Ernstfall trat nie ein. Nachdem ein Mitglied aus den eigenen Reihen die Aktivitäten des TD Anfang der 1950er Jahre enthüllt hatte und es zu mehreren vorübergehenden Festnahmen kam, verlor die rechtsextreme Gruppe zusehends an Bedeutung. Unklar ist allerdings bis heute, ob alle mit Hilfe der Amerikaner angelegten Waffendepots geräumt wurden.
Die noch existierenden Stay-Behind-Netze übernahm die Organisation Gehlen, der Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes. Unter seinem langjährigen Chef Reinhard Gehlen baute der BND eine militärisch ausgerüstete Gruppe auf, die im Kriegsfall mit Fallschirmen über besetztem Gebiet abspringen sollte. Entsprechende Übungen fanden in Kooperation mit der Bundeswehr statt. Ulrich Stoll geht davon aus, dass alle Bundesregierungen über die Stay-Behind-Organisationen im Bilde waren, nicht aber das Parlament.
Regierungen verhinderten Aufklärung
"Die Regierung Adenauer hat sogar bei der Aufdeckung einer CIA-geführten Stay-Behind-Organisation verhindert, dass eine Strafverfolgung erfolgte. Diese Stay-Behind-Organisationen operierten illegal, sie wurden parlamentarisch nicht kontrolliert. Den parlamentarischen Kontrollgremien wurde systematisch die Existenz dieser Gruppen verschwiegen. Und das parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags wurde erstmals 1990, nach Auflösung der deutschen Stay-Behind-Organisationen, über die Existenz dieser Organisation, die ja 40 Jahre bestanden hatte, informiert."
Die Autoren beschränken sich nicht auf eine historische Darstellung, sie stellen das Wirken der Schattenarmeen in einen politischen Kontext, konstatieren die Ohnmacht deutscher Regierungsvertreter und Behörden gegenüber dem Verbündeten USA und verweisen auf Parallelen zu heutigen Geheimdienstaffären.
"Die unheimliche Allianz aus Politik, Justiz und Geheimdiensten erinnert an den aktuellen Skandal um die NSA-Abhöraffäre. Obwohl deutsches Recht durch ausländische Dienste erwiesenermaßen gebrochen wurde, unterstützen Bundesregierung und deutsche Nachrichtendienste die Aufklärung nicht und suchen stattdessen weiterhin die Nähe zu den Tätern."
Geheimarmeen auch in anderen Ländern
Der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom und der Journalist Ulrich Stoll konzentrieren sich in ihrem Buch auf deutsche Stay-Behind-Organisationen, sie behandeln am Rande aber auch Geheimarmeen in anderen NATO-Staaten, darunter die italienische Organisation Gladio. Der paramilitärischen Einheit wird die Beteiligung an Bombenanschlägen in Rom, Mailand und Bologna nachgesagt.
Der Blick über die Alpen, dies sei hier kritisch angemerkt, mag die Autoren dazu angeregt haben, ihrem Buch ein Kapitel über das Münchner Oktoberfest-Attentat hinzuzufügen; ein Kapitel über den spektakulären Anschlag eines angeblichen Einzeltäters mit 13 Toten und über 200 Verletzten im Jahr 1980. Da die Hinweise auf eine Mitwirkung rechtsextremer Gruppen nicht verstummten, nahm der Generalbundesanwalt vor einem Jahr die Ermittlungen wieder auf. Schmidt-Eenboom und Stoll können jedoch keine Beweise für eine Verbindung zwischen Stay-Behind-Agenten und der Bombe auf dem Oktoberfest liefern. Am Ende bleibt nur der Appell, endlich sämtliche Akten des Verfassungsschutzes zu dem Attentat freizugeben.
Dessen ungeachtet legen Erich Schmidt-Eenboom und Ulrich Stoll mit den "Partisanen der NATO" eine fundierte, lesenswerte und zugleich beunruhigende Studie vor. Denn auch wenn sie feststellen, dass die deutsche Stay-Behind-Truppe keine ernsthafte Gefahr für den Staat darstellte, so zeigt doch das Beispiel Italien, welche Bedrohung für eine demokratische Gesellschaft von einer unkontrollierten, illegalen Schattenarmee ausgehen kann.
Erich Schmidt-Eenboom, Ulrich Stoll: "Die Partisanen der NATO. Stay-Behind-Organisationen in Deutschland 1946-1991", Christoph Links Verlag, Berlin 2015, 304 Seiten, 22 Euro