"Man muss sich das ein bisschen vorstellen, als wenn man in die Dampfsauna geht", erinnert sich Carl Dohmann an die WM in Katar. "Sobald man eben anfängt, sich leicht zu bewegen, merkt man, wie der Puls plötzlich steigt, wie das Atmen richtig richtig schwerfällt und auch der Kopf heiß wird und alles Mögliche. Und das ist dann nur der Anfang quasi, und das muss man dann vier Stunden durchhalten."
Der 29-Jährige Geher wurde Siebter über die 50-Kilometer-Distanz. Ein Rennen in dem ein Drittel der Starter vorzeitig aufgeben musste. Noch extremer war die Abbruchquote beim Frauen-Marathon. Dort kamen nur 40 von 68 Läuferinnen ins Ziel.
"Der Marathon der Frauen hat dann doch noch einmal viele wachgerüttelt, mich auch, geb ich zu. Also ich habe zwar wirklich mit harten Bedingungen gerechnet, aber wirklich nicht mit so harten Bedingungen. Das war wirklich historisch einmalig, kann man sagen."
Langsamstes WM-Rennen der Geschichte
Das zeigt sich auch im Tempo. Kein WM-Rennen der Geschichte war langsamer als der Sieger von Doha, Yusuke Suzuki. Für den Japaner war es nicht nur der größte Erfolg seiner Karriere, sondern auch die optimale Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Tokio im kommenden Jahr. Dort erwarten Experten ähnliche, wenn nicht sogar noch extremere Witterungsbedingungen. Das Internationale Olympische Komitee reagierte nach den Bildern der Leichtathletik-WM und verlegte die Marathon- und Geher-Wettbewerbe bei den Olympischen Spielen ins über 1.000 Kilometer entfernte Sapporo. Dort soll es im Sommer gut sechs Grad kühler sein. Das IOC argumentiert, die Verlegung sei eine Entscheidung zum "Wohle der Athleten."
"Die Entscheidung wurde hauptsächlich aufgrund unserer Sorge um die Gesundheit der Athleten, Fans, Volunteers und Organisatoren angetrieben. Dieser Aspekt steht für das IOC an vorderster Stelle und ist auch Teil der Nachhaltigkeitsstrategie."
Das bezweifeln aber manche Athleten. Der kanadische Geher Evan Dufee nannte die Entscheidung eine reine PR-Aktion, um Negativ-Schlagzeilen während der Olympischen Spiele zu verhindern. Seine Meinung: Die Bedingungen in Doha seien zwar grenzwertig gewesen – allerdings wären alle Athleten, die sich ordentlich auf die extremen Verhältnisse eingestellt hatten, auch ins Ziel gekommen.
"Mit Athleten treffen, sonst ist es nicht zugunsten der Athleten"
Dunfee selbst arbeitete während des Rennens mit zerrissenen Nylonstrumpfhosen und wurde Dritter, die Deutschen Athleten benutzten selbstgebastelte Hüte, in die man Eis füllen konnte.
"Bei Evan Dunfee ist es so, seine besten Wettkämpfe hatte er immer bei Hitze. Ich denke mal, dass er deshalb auch auf einen Hitzewettkampf gehofft hat." Erklärt sich Carl Dohmann Dunfees scharfe Kritik. "Das andere Extrem ist Yohan Diniz, der jetzt als Weltrekordler in Doha ausgestiegen ist. Der hofft jetzt natürlich auch, dass die Bedingungen diesmal anders sein werden."
Einigkeit herrscht im Athletenlager aber in der Kritik des IOC-Alleingangs. Keiner der Sportler, die statt in Tokio in Sapporo starten sollen, wurde in die Entscheidung miteinbezogen. Nicht einmal das lokale Organisationskomitee und der internationale Leichtathletikverband wurden befragt.
"Ja, leider ist das so. Ich verstehe zwar die Beweggründe, aber ich finde eine Entscheidung "zugunsten der Athleten" muss man sich auch ein Stück weit mit den Athleten treffen, sonst kann man nicht sagen, dass es eine Entscheidung zugunsten der Athleten war."
"Wollten keine Spekulationen"
Das IOC verweist auf Anfrage auf Koordinationskommissionschef John Coates. Der japanischen Nachrichtenagentur Kyodo News eklärte er:
"Wir mussten schnell handeln und wollten keine Spekulationen, wir wollten nicht, dass Gerüchte zirkulieren und es war besser, direkt an die Öffentlichkeit zu treten und zu verkünden, was unser Plan ist."
Die Entscheidung basiere auf einer Empfehlung der medizinischen und wissenschaftlichen IOC-Kommission, deren Expertengruppe sich intensiv mit den Bedingungen in Tokio auseinandersetze. Für andere Sportarten seien andere Maßnahmen getroffen worden – die Startzeiten entweder in den frühen Morgen oder späten Abend verlegt. "Die Arbeitsgruppe identifiziert die Marathon- und Geherwettbewerbe als Wettbewerbe, die die Athleten unter besonderen Hitzestress stellen würden", sagte Coates.
"Ausdauersport lebt von seiner Härte"
Carl Dohmann ist aber der Meinung, dass genau das seinen Sport auszeichnet: "Der Ausdauersport lebt von seiner Härte und der Härte zu sich selbst. Und das ist das, was die Leute begeistert. So wie in Doha muss es jetzt nicht sein, das war schon zu krass, aber grundsätzlich bin ich für Wettkämpfe bei verschiedenen Bedingungen."
Carl Dohmann selbst wäre auch lieber in Tokio gelaufen, auch wenn dafür das Rennen nachts hätte starten müssen, sagt er: "In Sapporo ist halt der Nachteil: Wir sind weit weg von den Olympischen Spielen. Ich hoffe, dass es möglich ist, dass man dafür nach dem Wettkampf noch ins Olympische Dorf nach Tokio kann und dann die Schlussfeier noch miterleben kann und von der Stadt was sieht."
Das zumindest plant das IOC. Wie genau das organisiert werden soll, werde momentan mit allen wichtigen Stakeholdern besprochen, heißt es Ob die Athleten damit auch gemeint sind, ist aber nicht klar.