Kate Maleike: Der Bund sollte stärker in Bildungsangelegenheiten mitbestimmen – das ist die zentrale Aussage einer Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut YouGov am Wochenende veröffentlicht hat. 70 Prozent der Befragten hatten darin diesen Wunsch geäußert und den Bildungsföderalismus einen kritischen Spiegel vorgehalten.
Kein Wunder, wird da so mancher sagen, wenn man sich anschaut, wie Bund und Länder gerade beim Digitalpakt für Schulen um Kompetenzen rangeln. Der Vermittlungsausschuss soll es ja jetzt richten. Kai Gehring ist Bildungsexperte der Bündnis-Grünen im Bund. Ich grüße Sie!
Kai Gehring: Ich grüße Sie, hallo!
Maleike: Wird der Digitalpakt jetzt zur Nagelprobe für den Bildungsföderalismus in Deutschland?
Gehring: Es wird vor allem kein Kompetenzgerangel, sondern, wenn wir wollen, eine Ermöglichungsverfassung für beste Bildung in unserem Land. Das sollte allen zu denken geben, dass der real existierende Bildungsföderalismus seit Jahren die Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr überzeugt und auch gerade das Kooperationsverbot in der Bildung, was die Große Koalition 2006 eingeführt hat, das hat sich ja hinlänglich als Irrweg erwiesen.
Und deshalb ist es so wichtig, dass Bund und Länder und alle staatlichen Ebenen in dieser Kernfrage sozialer Gerechtigkeit enger zusammenarbeiten. Wir wollen eine Kooperationskultur für bessere Bildung und eine Modernisierung unseres Bildungsföderalismus, nicht aber dessen Überwindung.
Chancengerechtigkeit für alle Kinder und Jugendliche
Maleike: Das bedeutet, Sie von Grünen-Seite würden sagen, der Bildungsföderalismus in dieser Form hat sich überholt, wir müssen wirklich darüber nachdenken, den Bund stärker einzubinden?
Gehring: Also unser Ziel ist und bleibt eine Ermöglichungsverfassung für beste Bildung. Das heißt …
Maleike: Wie sieht das denn aus, Herr Gehring? Wäre das eine Grundgesetzveränderung, oder würden Sie das über Pakte machen wollen?
Gehring: Also es geht hier auf jeden Fall auch um eine Grundgesetzänderung. Genau diese Grundgesetzänderung wird ja jetzt gerade im Vermittlungsausschuss intensiv beraten, und alle demokratischen Fraktionen des Deutschen Bundestages von CDU/CSU, SPD, über Grüne, FDP bis hin zu den Linken haben sich ja dazu im Bundestag auch bekannt und eine entsprechende Grundgesetzänderung beschlossen.
Und deshalb ist es jetzt so wichtig, dass im Vermittlungsverfahren hier eine Lösung herauskommt, die für alle Seiten tragbar ist, denn Chancengerechtigkeit für alle Kinder und Jugendlichen in unserem Land ist unser Ziel, und deshalb wäre es ein Fortschritt, wenn Bund und Länder sich gemeinschaftlich hier auf den Weg machen und die Qualität und Leistungsfähigkeit verbessern, immer unter Wahrung der Kulturhoheit der Länder, aber mit einer besseren Zusammenarbeit und mehr Bildungsinvestition.
Das ist, glaube ich, offenkundig, dass die Schülerinnen und Schüler, die Eltern und auch die Lehrerschaften das als ganz wichtig erachten.
Schulen warten auf Digitalisierungsmittel
Maleike: Genau, denn der Digitalpakt ist ja quasi zwischen die Mühlen geraten. Also man hört immer, dass es möglicherweise auch einen Vorstoß geben soll, den Digitalpakt ohne die Grundgesetzveränderung da gerade mit zu verhandeln. Ist das was dran?
Gehring: Also ich habe bisher vor allem zur Kenntnis genommen, dass das Bundesinnenministerium dieser Regierung keinen brauchbaren verfassungsrechtlichen Weg aufzeigen konnte, wie die Digitalpaktmittel an die Länder beziehungsweise an die Schulen gehen können.
Insofern geht es mir einfach nur drum, wenn man Digitalpakt macht, dann auf einer sauberen und vernünftigen verfassungsrechtlichen Basis. Dass wir mit der Digitalisierung von Schulen schon vor zehn Jahren hätten anfangen müssen, ist eben auch offenkundig.
Insofern, das ist ein altes Projekt von Bundesbildungsministerin Wanka aus der letzten Wahlperiode, wo man jetzt gucken muss, kriegt man es hin, weil die Schulen darauf warten auf diese Digitalisierungsmittel, aber das muss, glaube ich, im Rahmen des Gesamtpaketes gelöst werden, ob und wie solche Mittel dann auch fließen können. Die KMK-Vereinbarung zu diesem Thema ist ja schon länger fertig in der Schublade.
Maleike: Was muss denn jetzt passieren, damit man wirklich da mal ein Stück vorwärts kommt? Wir können ja nicht ewig über diese Sachen diskutieren.
Gehring: Also Sie haben recht, dass man dann auch mit der Zeit endlich zu einem guten Ergebnis kommen muss und vor allem, wenn der Digitalpakt grünes Licht kriegt, dann auch tatsächlich die Mittel schnell in Schulen ankommen müssen, damit vor Ort bemerkbar ist, dass die Bundesmittel hier auch einen Unterschied machen.
Insofern gibt es auch viele Länder natürlich, die jetzt bei Digitalisierung auch schon vor Jahren tüchtig losgelegt haben, und deshalb können die zusätzlichen Bundesmittel hier einfach noch mal einen neuen Schwerpunkt entfachen, wenn Bund und Länder sich darauf gemeinsam verständigen.
Entscheidend für uns als Grüne ist in diesen Tagen, dass wir zu einer Modernisierung des Bildungsföderalismus kommen. Dazu ist eine Grundgesetzänderung notwendig, dass wir unter Wahrung der Kulturhoheit der Länder für mehr Bildungsinvestition, für mehr Chancengerechtigkeit und für die großen Aufgaben im Bildungssystem besser miteinander kooperieren können.
Das ist auch populär bei den Menschen, weil sie vor allem an ganz konkreten Ergebnissen vor Ort interessiert sind. Das sind wir auch, und deshalb muss man jetzt durch diese Durststrecke dieser demokratischen Verhandlung leider durch. Ich hoffe, dass weißer Rauch bald aufsteigen wird und wir zu einer besseren Verfassungslösung kommen können als wir sie jetzt derzeit haben.
Entscheidend ist, dass sowohl der Bundestag als auch der Bundesrat mit einer Zweidrittelmehrheit zustimmen können muss. Insofern ist da noch ein großes Stück Arbeit auch vor uns, aber die Modernisierung des Bildungsföderalismus, die Weiterentwicklung und Fortschritt zu entfachen für Kinder und Jugendliche, das muss ganz deutlich ein gemeinsam getragenes Anliegen sein und bleiben, und da hoffe ich, dass was bei rauskommt.
"Haltung von Winfried Kretschmann ist kein Geheimnis"
Maleike: Da muss man ja sagen, dass eine der treibenden Kräfte in der, ich sage mal: Betonung der Länderhoheit ein Grünen-Ministerpräsident ist, nämlich Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg. Sind sich Bund und Länder da in Ihrer Partei nicht einig?
Gehring: Also bei den Grünen haben wir seit 2006 ganz klar auf allen politischen Ebenen die Positionierung, dass wir das Kooperationsverbot überwinden wollen und den Bildungsföderalismus modernisieren. Die Haltung von Winfried Kretschmann ist da ja auch kein Geheimnis, und zugleich ist es aber auch wohlfeil, wenn sich andere Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten hinter dem baden-württembergischen verstecken.
Wir wissen, dass alle Länderchefs zunächst nein gesagt haben zu, Bundestagsbeschluss, und insofern geht es drum, dass sich nun endlich alle bewegen, Frau Dreyer genauso wie Herr Laschet und auch Herr Söder. Der Bundestag hat hier mit den Stimmen aller demokratischen Fraktionen eine Grundgesetzänderung vorgeschlagen, und jetzt müssen sich alle Parteien und alle Landesregierungen da gemeinsam zusammenraufen, um einen Kompromiss zu finden. Das ist mein demokratisches Verständnis und als Bildungspolitiker dringend notwendig, dass hier ein Durchbruch kommt.
Maleike: In "Campus und Karriere" war das Kai Gehring, der Bildungsexperte der Bündnis-Grünen im Bund zum Zustand des Bildungsföderalismus in Deutschland und zur Kompromissfindung beim Digitalpakt für Schulen. Ganz herzlichen Dank, Herr Gehring!
Gehring: Ich danke Ihnen!
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