Dirk-Oliver Heckmann: Zunächst zur Debatte um Heiner Geißler – er hatte wie erwähnt vergangenen Freitag beim Streit um Stuttgart 21 gefragt: "Wollt ihr den totalen Krieg?", eine Formulierung, die eng mit NS-Propagandaminister Joseph Goebbels und seiner Sportpalastrede von 1943 verbunden ist. Von meinem Kollegen Tobias Armbrüster angesprochen rechtfertigte Geißler gestern im Deutschlandfunk-Interview seine Wortwahl, wir dokumentieren jetzt einen Ausschnitt dieses Gesprächs. Die erste Frage an Geißlerlautete, welche Absicht er mit seiner Wortwahl verfolgt habe.
Heiner Geißler: Mal klarzumachen, was los ist. Man kann doch nicht dauernd in Entweder-Oder-Kategorien denken, sondern es gibt auch das Denken Sowohl-Als-Auch. Es ist der Kompromiss, der ...
Armbrüster: Aber verharmlosen Sie damit, Herr Geißler, verharmlosen Sie damit nicht ...
Geißler: ... hallo, hallo, hallo ...
Armbrüster: ... ja, ich höre?
Geißler: Ich kann Ihre Frage ja nicht verstehen, wenn Sie mir reinreden.
Armbrüster: Ich muss Sie das ...
Geißler: ... ich wollte doch gerade was erläutern ...
Armbrüster: ... ich muss Sie das gerade fragen: Verharmlosen Sie damit die Sprechweise der Nazis?
Geißler: Ach was, das ist keine Sprechweise der Nazis. Der totale Krieg, den gibt es auch anderswo, den haben wir zurzeit in Syrien.
Armbrüster: Aber die Frage "Wollt ihr den totalen Krieg" stammt von Joseph Goebbels.
Geißler: So? Da wissen Sie mehr als ich.
Armbrüster: Noch mal die Frage, war das Ihre Absicht?
Geißler: Was war meine Absicht?
Armbrüster: Die Sprechweise der Nazis zu verharmlosen?
Geißler: Ja, ich glaube, Sie sind wohl auf dem Mond zu Hause, mir zu unterstellen, ich wollte hier die Nazis verharmlosen!
Armbrüster: Was war dann Ihre Absicht?
Geißler: Also, so eine Unterstellung! Bitte?
Armbrüster: Herr Geißler, was war dann Ihre Absicht, dieses Zitat zu benutzen?
Geißler: Ja, ich habe das benutzt, um die Situation klarzumachen. Waren Sie schon mal in Stuttgart und haben Sie es erlebt, was da los ist? Sie haben ja gerade Auszüge aus dieser Demonstration gebracht. Das ist ein verbaler Krieg, den wir dort haben.
Armbrüster: Und droht dort ...
Geißler: ... eine heftige Auseinandersetzung, die die Stadt spaltet und die Leute gegeneinander aufbringt. Meine Absicht war, deutlich zu machen, dass wir den Frieden brauchen. Vielleicht sollten Sie mal darüber reden, anstatt über ein Zitat, das ja nur dazu dient, den Leuten klarzumachen, dass es jetzt höchste Zeit ist, eine friedliche Lösung finden zu wollen.
Heckmann: So weit das Interview mit Heiner Geißler über den totalen Krieg und Joseph Goebbels. Selten hat ein Interview im Deutschlandfunk die Gemüter so erregt und so polarisiert. Hier in der Redaktion gingen hunderte E-Mails und Anrufe ein, auch auf der Facebook-Seite des Deutschlandfunks wurde das Geißler-Interview heftigst diskutiert:
Hörer: Geißler hat das Zitat vom totalen Krieg gebraucht und weiß, welche Assoziationen damit verknüpft sind. Entsprechend verbietet sich die Nutzung der Vokabel.
Hörerin: Durch Geißlers Zitat der Goebbels-Frage wurde lediglich die Dramatik der Situation, wie ich meine, sehr zutreffend dargestellt und mit dem Effekt, dass jeder der Beteiligten in der Sekunde wusste, was gemeint ist.
Hörer: Wer bei solchen Vergleichen nicht ein Magengeschwür bekommt, sollte vielleicht noch mal Geschichtsunterricht nehmen.
Hörerin: Nach jahrelangem Streit auf allen Ebenen und monatelanger Schlichtung den festgefahrenen Diskussionsteilnehmern auf beiden Seiten ihren unbeweglichen Fanatismus in der eigenen Sache zu spiegeln – das halte ich für ein sehr legitimes rhetorisches Stilmittel.
Hörer: Ich halte an sich viel von Heiner Geißler, aber diese Selbstdemontage hätte er sich sparen können.
Hörerin: Geißlers Ziel war es, gegen das beharrliche Hochkochen des Stuttgart-21-Konflikts mit einem abschreckenden Beispiel zu argumentieren. Wie ihm diese Überspitzung aber als Verharmlosung ausgelegt wurde, war meines Erachtens ebenfalls nicht ganz berechtigt.
Heckmann: Tja, so weit einige Stimmen, einige von Hunderten. Heiner Geißler hat also eine lebendige Debatte losgetreten. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dapd nannte er zur Begründung, weshalb er das Zitat Goebbels nicht zuordnen konnte, ein akustisches Missverständnis. Am Telefon wie schon erwähnt ist jetzt Christoph Stölzl, der Publizist, ehemals Kultursenator in Berlin, ehemals Gründungsdirektor des Deutschen Historischen Museums. Schönen guten Tag, Herr Stölzl!
Christoph Stölzl: Guten Morgen!
Heckmann: Wie schätzen Sie die Aufregung um die Geißler-Äußerung ein? Ist die maßlos übertrieben oder ist da schon was dran?
Stölzl: Ach, immer, wenn das Dritte Reich und die Nazizeit aus dem Teufelsschatten, wo wir es hin verbannt haben, hinaufkommt, regen sich die Leute auf – mit Recht, weil natürlich das Phänomen, dieses unglaubliche katastrophische Riesenverbrechen, Riesenunglück in der Mitte des Jahrhunderts natürlich viele Generationen nachwirkt, bis in jede Familie. Also das ist kein Wunder, dass das passiert. Aber ich habe mir auch gedacht, merkwürdigerweise ist bisher nicht etwas gesagt worden: Aus der Geschichte bleiben sogenannte geflügelte Worte über. Der Büchmann hat die vor 150 Jahren gesammelt, die werden immer neu rausgegeben in der 100. Auflage. Natürlich ist dieses Wort auch drin. Und diese geflügelten Worte, die sind sozusagen Steinbruch des kollektiven Unbewussten: Manche davon kann man völlig harmlos verwenden, na klar, "das Ewig-Weibliche, zieht uns hinan" und so weiter, Goethe, Schiller, Faust, und andere sind aus gutem Grund tabuisiert, weil man sagt: Da ist mehr als so ein Zitat. Trotzdem rutschen sie Menschen natürlich in die Sprache hinein, das ist mir auch schon passiert. Das bereut man dann, möchte es im Augenblick ungeschehen machen. Aber ich würde jetzt nicht unterstellen, dass Heiner Geißler hier sozusagen bewusst an Goebbels anknüpft. Das glaube ich nie im Leben, das ist ein erzdemokratischer Mensch. Aber das geflügelte Wort ist ihm sozusagen zugeflogen, leider, und jetzt ist es draußen.
Heckmann: Heiner Geißler hat gestern in einem weiteren Interview gesagt, er habe provozieren wollen mit diesem Zitat von Joseph Goebbels, damit die Leute aufwachen. Ist es legitim, die Sprache der Nazis zu benutzen, wenn man etwas Gutes will?
Stölzl: Nein, das ist es nicht. Es gibt manche Wörter wie Sonderbehandlung oder so was, oder auch das Wort Gleichschaltung, wo jeder, der überhaupt Geschichtsverständnis hat, natürlich aufhorcht und sagt, das kann man nicht einfach so verwenden. Und mich wundert es, aber vielleicht muss sich Heiner Geißler ja auch nur verteidigen, weil Politiker oft eben recht behalten wollen, müssen, auch wenn sie nicht recht behalten können.
Heckmann: Aber ist es denn wirklich so, dass die Gefahr existiert, dass man mit solchen Begriffen, die aus der Zeit kommen, die Nazivergangenheit relativiert automatisch sozusagen oder ist die Befürchtung nicht völlig übertrieben, völlig hysterisch?
Stölzl: Nein, das glaube ich überhaupt nicht, nein, das ist doch was anderes. Also wir leben seit wirklich Gott sei Dank unvordenklichen Zeiten in einem gefestigten demokratischen Land und die Protagonisten, die Demokraten sind über jeden Zweifel erhaben, hier mit dem Feuer zu spielen oder zu zündeln. Das glaube ich wirklich überhaupt nicht. Kein Mensch kann die Nazizeit verharmlosen, niemand kann das, das ist sozusagen im Grundgesetz festgeschrieben, in einer allgemeinen Überzeugung steht unser Urteil fest, da gibt es überhaupt gar nichts ... im Gegenteil: Sozusagen die Frage der anderen Großverbrechen der Diktatoren des 20. Jahrhunderts, da wird noch mehr diskutiert und geforscht werden müssen, aber was die Nazis getan haben und die Deutschen mit ihnen liegt glasklar vor unserem Auge. Da glaube ich überhaupt nicht, dass irgendjemand auch nur den Schatten einer Verharmlosung probieren will.
Heckmann: Aber weshalb brauchen wir dann diese Tabuisierung von bestimmten Begriffen?
Stölzl: Na ja, das ist eine Frage, wie soll ich das sagen, des Anstands, der guten Sitten, eben weil dies so fürchterlich ist, was damit angesprochen wird, also diese Sportpalastrede ist ja sozusagen auf Hunderttausende von Toten und einem Krieg, der schon Vernichtungskrieg gewesen ist, eine unglaubliche Unanständigkeit, eine Blasphemie von Goebbels gewesen in jeder Hinsicht. Und man sagt: in Büchmanns geflügelten Worten gibt es viele andere Worte, die genau so schlagend sind, man kann die nehmen aus Schillers "Wallenstein" oder sonst wo her – man muss nicht dies zitieren. Übrigens, der totale Krieg, natürlich habe ich mich sachkundig gemacht, stammt nicht von Goebbels, sondern von einem auch so nicht wahnsinnig Sympathischen, nämlich von Erich Ludendorff aus dem Jahr 1935 von einem Buch, das da heißt "Der totale Krieg", also Goebbels hat es auch nur zitiert. Aber natürlich tut man gut daran, wie heißt es so in der Bibel: Auch Ärgernis muss vermieden werden, nicht nur die Sünde, sondern auch das Ärgernis.
Heckmann: Es ist ja noch gut in Erinnerung: Heiner Geißler als CDU-Generalsekretär hat gesagt, ohne den Pazifismus der 30er-Jahre wäre Auschwitz nicht möglich gewesen. Er hat die SPD als fünfte Kolonne Moskaus damals bezeichnet. Ist das auch mit ein Grund, weshalb viele da genauer hinhören?
Stölzl: Wahrscheinlich. Das war damals ja Quatsch und es war eine unglaubliche Verkürzung von vielen dicken Geschichtsbüchern. Ganz sicher hätten die Westmächte klug daran getan, auch dem sozusagen aufsteigenden Nazismus der frühen 30er-Jahre in den Arm zu fallen. Das haben sie leider nicht getan. Aber nicht die Sozialdemokratie, sondern die westlichen Mächte wie England oder Amerika haben zugesehen. Aber das ist, wie gesagt, das sind große geschichtsphilosophische Diskussionen. Das im innenpolitischen Streit zu verwenden, war damals natürlich auch grob polemisch, und wahrscheinlich ist daher eben Heiner Geißler in der Erinnerung geblieben, dass man ihm nichts verzeiht.
Heckmann: Der "Spiegel" fordert jetzt eine Entschuldigung von Heiner Geißler. Viele Medien schreiben, er habe sich unmöglich gemacht. Wäre es nicht besser und geschickter gewesen, die Wortwahl einfach zurückzunehmen?
Stölzl: Ja, natürlich. Klar, ich sage ja: Mir ist so was auch schon passiert, ich habe Wahlkämpfe der 20er-Jahre mit der Gegenwart verglichen, das habe ich auch sofort bereut, aber dann bleibt einem ja nichts anderes übrig als zu sagen, es tut einem leid und Schluss.
Heckmann: Christoph Stölzl war das, der Publizist und ehemaliger Kultursenator in Berlin. Danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch!
Stölzl: Ja, danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Heiner Geißler: Mal klarzumachen, was los ist. Man kann doch nicht dauernd in Entweder-Oder-Kategorien denken, sondern es gibt auch das Denken Sowohl-Als-Auch. Es ist der Kompromiss, der ...
Armbrüster: Aber verharmlosen Sie damit, Herr Geißler, verharmlosen Sie damit nicht ...
Geißler: ... hallo, hallo, hallo ...
Armbrüster: ... ja, ich höre?
Geißler: Ich kann Ihre Frage ja nicht verstehen, wenn Sie mir reinreden.
Armbrüster: Ich muss Sie das ...
Geißler: ... ich wollte doch gerade was erläutern ...
Armbrüster: ... ich muss Sie das gerade fragen: Verharmlosen Sie damit die Sprechweise der Nazis?
Geißler: Ach was, das ist keine Sprechweise der Nazis. Der totale Krieg, den gibt es auch anderswo, den haben wir zurzeit in Syrien.
Armbrüster: Aber die Frage "Wollt ihr den totalen Krieg" stammt von Joseph Goebbels.
Geißler: So? Da wissen Sie mehr als ich.
Armbrüster: Noch mal die Frage, war das Ihre Absicht?
Geißler: Was war meine Absicht?
Armbrüster: Die Sprechweise der Nazis zu verharmlosen?
Geißler: Ja, ich glaube, Sie sind wohl auf dem Mond zu Hause, mir zu unterstellen, ich wollte hier die Nazis verharmlosen!
Armbrüster: Was war dann Ihre Absicht?
Geißler: Also, so eine Unterstellung! Bitte?
Armbrüster: Herr Geißler, was war dann Ihre Absicht, dieses Zitat zu benutzen?
Geißler: Ja, ich habe das benutzt, um die Situation klarzumachen. Waren Sie schon mal in Stuttgart und haben Sie es erlebt, was da los ist? Sie haben ja gerade Auszüge aus dieser Demonstration gebracht. Das ist ein verbaler Krieg, den wir dort haben.
Armbrüster: Und droht dort ...
Geißler: ... eine heftige Auseinandersetzung, die die Stadt spaltet und die Leute gegeneinander aufbringt. Meine Absicht war, deutlich zu machen, dass wir den Frieden brauchen. Vielleicht sollten Sie mal darüber reden, anstatt über ein Zitat, das ja nur dazu dient, den Leuten klarzumachen, dass es jetzt höchste Zeit ist, eine friedliche Lösung finden zu wollen.
Heckmann: So weit das Interview mit Heiner Geißler über den totalen Krieg und Joseph Goebbels. Selten hat ein Interview im Deutschlandfunk die Gemüter so erregt und so polarisiert. Hier in der Redaktion gingen hunderte E-Mails und Anrufe ein, auch auf der Facebook-Seite des Deutschlandfunks wurde das Geißler-Interview heftigst diskutiert:
Hörer: Geißler hat das Zitat vom totalen Krieg gebraucht und weiß, welche Assoziationen damit verknüpft sind. Entsprechend verbietet sich die Nutzung der Vokabel.
Hörerin: Durch Geißlers Zitat der Goebbels-Frage wurde lediglich die Dramatik der Situation, wie ich meine, sehr zutreffend dargestellt und mit dem Effekt, dass jeder der Beteiligten in der Sekunde wusste, was gemeint ist.
Hörer: Wer bei solchen Vergleichen nicht ein Magengeschwür bekommt, sollte vielleicht noch mal Geschichtsunterricht nehmen.
Hörerin: Nach jahrelangem Streit auf allen Ebenen und monatelanger Schlichtung den festgefahrenen Diskussionsteilnehmern auf beiden Seiten ihren unbeweglichen Fanatismus in der eigenen Sache zu spiegeln – das halte ich für ein sehr legitimes rhetorisches Stilmittel.
Hörer: Ich halte an sich viel von Heiner Geißler, aber diese Selbstdemontage hätte er sich sparen können.
Hörerin: Geißlers Ziel war es, gegen das beharrliche Hochkochen des Stuttgart-21-Konflikts mit einem abschreckenden Beispiel zu argumentieren. Wie ihm diese Überspitzung aber als Verharmlosung ausgelegt wurde, war meines Erachtens ebenfalls nicht ganz berechtigt.
Heckmann: Tja, so weit einige Stimmen, einige von Hunderten. Heiner Geißler hat also eine lebendige Debatte losgetreten. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dapd nannte er zur Begründung, weshalb er das Zitat Goebbels nicht zuordnen konnte, ein akustisches Missverständnis. Am Telefon wie schon erwähnt ist jetzt Christoph Stölzl, der Publizist, ehemals Kultursenator in Berlin, ehemals Gründungsdirektor des Deutschen Historischen Museums. Schönen guten Tag, Herr Stölzl!
Christoph Stölzl: Guten Morgen!
Heckmann: Wie schätzen Sie die Aufregung um die Geißler-Äußerung ein? Ist die maßlos übertrieben oder ist da schon was dran?
Stölzl: Ach, immer, wenn das Dritte Reich und die Nazizeit aus dem Teufelsschatten, wo wir es hin verbannt haben, hinaufkommt, regen sich die Leute auf – mit Recht, weil natürlich das Phänomen, dieses unglaubliche katastrophische Riesenverbrechen, Riesenunglück in der Mitte des Jahrhunderts natürlich viele Generationen nachwirkt, bis in jede Familie. Also das ist kein Wunder, dass das passiert. Aber ich habe mir auch gedacht, merkwürdigerweise ist bisher nicht etwas gesagt worden: Aus der Geschichte bleiben sogenannte geflügelte Worte über. Der Büchmann hat die vor 150 Jahren gesammelt, die werden immer neu rausgegeben in der 100. Auflage. Natürlich ist dieses Wort auch drin. Und diese geflügelten Worte, die sind sozusagen Steinbruch des kollektiven Unbewussten: Manche davon kann man völlig harmlos verwenden, na klar, "das Ewig-Weibliche, zieht uns hinan" und so weiter, Goethe, Schiller, Faust, und andere sind aus gutem Grund tabuisiert, weil man sagt: Da ist mehr als so ein Zitat. Trotzdem rutschen sie Menschen natürlich in die Sprache hinein, das ist mir auch schon passiert. Das bereut man dann, möchte es im Augenblick ungeschehen machen. Aber ich würde jetzt nicht unterstellen, dass Heiner Geißler hier sozusagen bewusst an Goebbels anknüpft. Das glaube ich nie im Leben, das ist ein erzdemokratischer Mensch. Aber das geflügelte Wort ist ihm sozusagen zugeflogen, leider, und jetzt ist es draußen.
Heckmann: Heiner Geißler hat gestern in einem weiteren Interview gesagt, er habe provozieren wollen mit diesem Zitat von Joseph Goebbels, damit die Leute aufwachen. Ist es legitim, die Sprache der Nazis zu benutzen, wenn man etwas Gutes will?
Stölzl: Nein, das ist es nicht. Es gibt manche Wörter wie Sonderbehandlung oder so was, oder auch das Wort Gleichschaltung, wo jeder, der überhaupt Geschichtsverständnis hat, natürlich aufhorcht und sagt, das kann man nicht einfach so verwenden. Und mich wundert es, aber vielleicht muss sich Heiner Geißler ja auch nur verteidigen, weil Politiker oft eben recht behalten wollen, müssen, auch wenn sie nicht recht behalten können.
Heckmann: Aber ist es denn wirklich so, dass die Gefahr existiert, dass man mit solchen Begriffen, die aus der Zeit kommen, die Nazivergangenheit relativiert automatisch sozusagen oder ist die Befürchtung nicht völlig übertrieben, völlig hysterisch?
Stölzl: Nein, das glaube ich überhaupt nicht, nein, das ist doch was anderes. Also wir leben seit wirklich Gott sei Dank unvordenklichen Zeiten in einem gefestigten demokratischen Land und die Protagonisten, die Demokraten sind über jeden Zweifel erhaben, hier mit dem Feuer zu spielen oder zu zündeln. Das glaube ich wirklich überhaupt nicht. Kein Mensch kann die Nazizeit verharmlosen, niemand kann das, das ist sozusagen im Grundgesetz festgeschrieben, in einer allgemeinen Überzeugung steht unser Urteil fest, da gibt es überhaupt gar nichts ... im Gegenteil: Sozusagen die Frage der anderen Großverbrechen der Diktatoren des 20. Jahrhunderts, da wird noch mehr diskutiert und geforscht werden müssen, aber was die Nazis getan haben und die Deutschen mit ihnen liegt glasklar vor unserem Auge. Da glaube ich überhaupt nicht, dass irgendjemand auch nur den Schatten einer Verharmlosung probieren will.
Heckmann: Aber weshalb brauchen wir dann diese Tabuisierung von bestimmten Begriffen?
Stölzl: Na ja, das ist eine Frage, wie soll ich das sagen, des Anstands, der guten Sitten, eben weil dies so fürchterlich ist, was damit angesprochen wird, also diese Sportpalastrede ist ja sozusagen auf Hunderttausende von Toten und einem Krieg, der schon Vernichtungskrieg gewesen ist, eine unglaubliche Unanständigkeit, eine Blasphemie von Goebbels gewesen in jeder Hinsicht. Und man sagt: in Büchmanns geflügelten Worten gibt es viele andere Worte, die genau so schlagend sind, man kann die nehmen aus Schillers "Wallenstein" oder sonst wo her – man muss nicht dies zitieren. Übrigens, der totale Krieg, natürlich habe ich mich sachkundig gemacht, stammt nicht von Goebbels, sondern von einem auch so nicht wahnsinnig Sympathischen, nämlich von Erich Ludendorff aus dem Jahr 1935 von einem Buch, das da heißt "Der totale Krieg", also Goebbels hat es auch nur zitiert. Aber natürlich tut man gut daran, wie heißt es so in der Bibel: Auch Ärgernis muss vermieden werden, nicht nur die Sünde, sondern auch das Ärgernis.
Heckmann: Es ist ja noch gut in Erinnerung: Heiner Geißler als CDU-Generalsekretär hat gesagt, ohne den Pazifismus der 30er-Jahre wäre Auschwitz nicht möglich gewesen. Er hat die SPD als fünfte Kolonne Moskaus damals bezeichnet. Ist das auch mit ein Grund, weshalb viele da genauer hinhören?
Stölzl: Wahrscheinlich. Das war damals ja Quatsch und es war eine unglaubliche Verkürzung von vielen dicken Geschichtsbüchern. Ganz sicher hätten die Westmächte klug daran getan, auch dem sozusagen aufsteigenden Nazismus der frühen 30er-Jahre in den Arm zu fallen. Das haben sie leider nicht getan. Aber nicht die Sozialdemokratie, sondern die westlichen Mächte wie England oder Amerika haben zugesehen. Aber das ist, wie gesagt, das sind große geschichtsphilosophische Diskussionen. Das im innenpolitischen Streit zu verwenden, war damals natürlich auch grob polemisch, und wahrscheinlich ist daher eben Heiner Geißler in der Erinnerung geblieben, dass man ihm nichts verzeiht.
Heckmann: Der "Spiegel" fordert jetzt eine Entschuldigung von Heiner Geißler. Viele Medien schreiben, er habe sich unmöglich gemacht. Wäre es nicht besser und geschickter gewesen, die Wortwahl einfach zurückzunehmen?
Stölzl: Ja, natürlich. Klar, ich sage ja: Mir ist so was auch schon passiert, ich habe Wahlkämpfe der 20er-Jahre mit der Gegenwart verglichen, das habe ich auch sofort bereut, aber dann bleibt einem ja nichts anderes übrig als zu sagen, es tut einem leid und Schluss.
Heckmann: Christoph Stölzl war das, der Publizist und ehemaliger Kultursenator in Berlin. Danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch!
Stölzl: Ja, danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.