Das 2:1 am 32. Spieltag gegen kriselnde Schalker war ein Moment des Aufatmens bei Eintracht Frankfurt. "Man hat es heute an den Zuschauern gespürt, dass alle schwer erleichtert waren, dass wir heute gewonnen haben – Spaß beiseite," kommentierte Eintracht-Trainer Adi Hütter süffisant.
Normalerweise ist seine Mannschaft getragen von mehr als 50.000 Fans in der heimischen Arena schwer zu besiegen. Ohne Zuschauer aber sah das anders aus, nur ein Punkt aus drei Spielen. Damit ist Frankfurt ein Paradebeispiel für einen Trend, der sich in dieser Geisterspielzeit beobachten lässt.
"Es gibt fast kein Heim- oder Auswärtsspiel mehr, weil es vom Gefühl her irgendwo auf neutralem Boden ist. Deshalb sieht man unglaublich viele Auswärtssiege."
Nur jedes vierte Heimspiel wird noch gewonnen
An den ersten sieben Bundesliga-Spieltagen ohne Fans im Stadion wurde nur jedes vierte Heimspiel gewonnen. Normalerweise liegt die Quote fast doppelt so hoch. Elf von 18 Bundesliga-Teams haben im Geisterspielmodus eine schlechtere Heimbilanz als vorher.
"Das ist eigentlich eine sehr gute Nachricht für alle Fans in Deutschland", meint Karsten Görsdorf vom Potsdamer Institut für Spielanalyse. Denn der einzige Unterschied zwischen Spielen vor und nach der Coronapause ist das Fehlen der Fans.
"Diese Befundlage unterstreicht dann letztlich die Bedeutung, die Fans in diesem Spiel zukommt. Also: ohne Fans kein Fußball", betont auch Fanforscher Harald Lange von der Universität Würzburg, der sich schon lange damit beschäftigt, welchen Einfluss Fans auf Ergebnisse haben können.
Er schreibt der Stadionatmosphäre einen besonderen Effekt zu. "Die sorgt dann letztlich dafür, dass bei den Spielern so etwas wie ein Sicherheitsgefühl entsteht, aus dem heraus sie dann mutig nach vorne spielen und selbstbewusst spielen können."
Weniger Risiko, weniger Dribblings und Torschüsse
Tatsächlich erkennt man in den Statistiken und Daten der Bundesligaspiele ohne Zuschauer einiges. Spielanalyst Karsten Görsdorf kann mit mathematischen Hilfsmitteln den Einfluss der Fans verdeutlichen und die geänderte Spielweise der Heimteams, wenn keine Zuschauer im Stadion dabei sind.
"Es ist so, dass weniger Risiko gegangen wird von den Heimteams. Das bedeutet, sie verlassen ihren dominierenden Spielstil, auch mal in die 1:1-Situation zu gehen, den Risikopass zu wählen."
Das zeigt sich auch in anderen Statistiken: zwar werden mehr Pässe gespielt als vorher, gleichzeitig gibt es aber weniger Dribblings und Torschüsse. Die Vermutung liegt nahe, dass mit Zuschauern im Stadion der eine oder andere Spieler eher eine Aktion wagt, die die Fans von den Sitzen reißen könnte.
"Es ist eine neue Sportart", findet auch Eintracht-Fan und Podcaster Bastian Roth. "Das sind irgendwelche Fußballspiele unter sehr merkwürdigen Bedingungen. Das heißt, diese Spiele fühlen sich an wie so ein Grundrauschen und da spielt Heim oder auswärts gar keine Rolle mehr."
Die Fans können die Heimmannschaft nicht mehr antreiben
Roth, selbst Dauerkarteninhaber in Frankfurt, erinnert sich an eine Partie gegen Freiburg Ende Mai. Spielerisch dominierte die Eintracht an diesem Abend das Geschehen. Unter normalen Umständen, ist er sich sicher, hätte es einen Frankfurter Heimsieg gegeben. "weil die Fans bei jeder Chance angefangen hätten zu schreien und aufzustehen. 'Auf geht's, weiter, weiter!' Das kam nicht. Und plötzlich stand es 3:1 für Freiburg."
Eine Situation, in der die Mannschaft die Unterstützung ihrer Fans dringend gebraucht hätte. Trainer Adi Hütter erinnert sich auch an diese Partie als eine, in der er die Fans besonders vermisst hat. "Ich glaube, wenn man so wie wir auf ein einziges Tor spielt und alle zwei, drei Minuten gefühlt eine Torchance hat, glaube ich sehr wohl, dass es Schwolow an dem Tag ein bisschen schwieriger gehabt hätte mit unseren Fans in seinem Rücken, hinter seinem Tor."
Andersherum lässt sich am Beispiel Eintracht Frankfurt auch verdeutlichen, warum es Teams, die auswärts antreten, in dieser Geisterspielzeit leichter haben als vorher, erklärt Karsten Görsdorf vom Institut für Spielanalyse.
"Eintracht Frankfurt spielt ja auch einen schönen Überfall-Fußball und der eignet sich für dieses neue Auswärts offensichtlich noch besser. Die effektive Spielzeit am Ball zum Beispiel ist bei Eintracht Frankfurt auswärts sogar noch einmal gesunken. Das heißt, sie haben ihren Spielstil radikalisiert. Der ist aber zu Hause nicht gleichzeitig erfolgreicher, sondern eben nur auswärts".
"Eintracht Frankfurt spielt ja auch einen schönen Überfall-Fußball und der eignet sich für dieses neue Auswärts offensichtlich noch besser. Die effektive Spielzeit am Ball zum Beispiel ist bei Eintracht Frankfurt auswärts sogar noch einmal gesunken. Das heißt, sie haben ihren Spielstil radikalisiert. Der ist aber zu Hause nicht gleichzeitig erfolgreicher, sondern eben nur auswärts".
Das Ergebnis ist klar: Der Heimvorteil ist weg
Was in der Bundesliga zu beobachten ist, das lässt sich auch in anderen Ligen zeigen. Besonders auffällig in der österreichischen Bundesliga, aber auch in Polen oder Dänemark. Schon vor der Coronazeit gab es in Europa Spiele ohne Zuschauer, seit dem 2. Weltkrieg insgesamt 190. Eine Gruppe von Sportökonomen hat diese Spiele untersucht – mit dem gleichen Ergebnis: der Heimvorteil ist weg.
Co-Autor Dominik Schreyer von der WHU Otto Beisheim School of Management: "Wir beobachten zunächst tatsächlich, dass der Heimvorteil zu verschwinden scheint, wenn Spiele hinter verschlossenen Türen stattfinden. Während Heimteams mit Unterstützung in etwa 46 Prozent aller Fälle als Sieger vom Platz gehen, liegt der Wert bei Spielen vor leeren Rängen bei lediglich rund 36 Prozent. Das liegt übrigens nicht daran, dass es häufiger zu Unentschieden kommt, sondern dass das Auswärtsteam signifikant häufiger siegt."
Co-Autor Dominik Schreyer von der WHU Otto Beisheim School of Management: "Wir beobachten zunächst tatsächlich, dass der Heimvorteil zu verschwinden scheint, wenn Spiele hinter verschlossenen Türen stattfinden. Während Heimteams mit Unterstützung in etwa 46 Prozent aller Fälle als Sieger vom Platz gehen, liegt der Wert bei Spielen vor leeren Rängen bei lediglich rund 36 Prozent. Das liegt übrigens nicht daran, dass es häufiger zu Unentschieden kommt, sondern dass das Auswärtsteam signifikant häufiger siegt."
Ob das aber am Einfluss der Fans oder an einer veränderten Taktik liegt, da sind die Wissenschaftler wegen der aktuell noch geringen Anzahl an Spielen ohne Zuschauer zurückhaltend. "Eine alternative Erklärung ist jedoch, dass die heimischen Zuschauer den Schiedsrichter unter Druck setzen, und dieser das Auswärtsteam unterbewusst – und das ist wichtig zu betonen - benachteiligt."
Auch die Fans gehören zum Spiel als Ganzes dazu
Aus den Daten geht hervor: Auswärtsteams erhalten in Spielen mit Zuschauern für ähnliche Vergehen signifikant häufiger eine gelbe Karte. Das wird dazu von einer weiteren britischen Analyse gestützt. In den Bundesliga-Geisterspielen seit Mai wurden jetzt überdurchschnittlich viele Freistöße und Fouls gegen die Heimmannschaft gepfiffen. Was auch am Ende der Auslöser dafür sein mag, bemerkenswert ist das Fehlen des Heimvorteils in jedem Fall. Und deshalb ist Fanforscher Harald Lange davon überzeugt, "dass der Fußball als Einheit verstanden werden muss. Das betrifft nicht nur einzelne Mannschaften und einzelne Vereine, das betrifft die Fan- und Fußballkultur als Ganzes."
Wenn ein Teil aus dem komplexen System Fußball fehlt, in diesem Falle die Fans, dann hat das auch wissenschaftlich nachweisbar Auswirkungen auf die Ergebnisse auf dem Rasen.