„Kommt ihr nochmal so zwei, drei Schritte nach vorne bitte?“ Fotoshooting in den Räumen des Berliner Fußballverbandes. Andreas Stolt und Marcel Teichmann blicken erwartungsfroh in die Kamera. „Wunderbar. Das war es schon. Vielen Dank.“
Die beiden gehören zu den ersten, die im März am Fußball-Trainerlehrgang für geistig beeinträchtigte Menschen teilnehmen werden. ‚Doppelpass‘ heißt das Projekt. Ein geistig beeinträchtigter und ein nicht beeinträchtigter Mensch bilden ein Tandem, das sich inklusiv zum DFB-Basis-Coach ausbilden lässt. Andreas Stolt hat einen Intelligenzquotienten von unter 75 – der Normalbereich liegt zwischen 85 und 115. Er freut sich riesig auf die Möglichkeit, den Trainerschein zu machen.
Andreas Stolt will die Herausforderung annehmen
Andreas Stolt sagt: „Die größte Herausforderung wird natürlich für mich auch sein, erstmal anzukommen, das alles auch aufzunehmen, aber ich mache mir da gar keine Gedanken drüber, ich bin auch dreifacher Vater, ich trainiere eigentlich auch täglich mit meiner Tochter, ich bin geübt.“
„Viel über Wiederholungen muss kommen, dass man Einheiten immer wieder wiederholt, dass noch einfach Automatismen auf dem Platz geschehen“, betont Marcel Teichmann. Er weiß, worauf es ankommt – er hat schon einen Trainerschein. Den Doppelpass-Lehrgang nutzt er, um sich fortzubilden, vor allem aber, um seinen Tandempartner zu unterstützen. Gemeinsam mit Andreas Stolt arbeitet er in der Behindertenwerkstatt der Caritas in Oranienburg.
„Ich habe einfach Bock, auf diese Art den Schein mit Andi zu machen, und ich glaube, da werden wir beide nicht dümmer, sondern nehmen vieles mit, nicht nur Lerninhalte, sondern auch was zwischenmenschlich funktioniert und was wir voneinander lernen können, wie man mit Menschen umgeht.“
Das Projekt ist eine Premiere im deutschen Fußball. Zum ersten Mal können Menschen mit geistigem Handicap einen anerkannten Trainerschein machen. Kein Übungsleiterzertifikat für jedermann, sondern die Basis-Coach-Lizenz des DFB. Lars Mrosko, viele Jahre lang Talentscout bei großen Profi-Klubs wie Bayern München und dem VfL Wolfsburg, hat das Projekt maßgeblich angeschoben.
Er sagt: „Eine Anerkennung ist wichtig. Wir haben ganz viele Projekte schon deutschlandweit, auch Tandem-Projekte, die es in ähnlicher Form gibt, aber wir haben noch keine anerkannte Trainer-Lizenz.“
Lerninhalte wurden für Menschen mit geistiger Behinderung eingepasst
Seit 2021 ist Mrosko Inklusionsbeauftragter des Fußball-Landesverbandes Brandenburg, trainiert auch die ID-Landesauswahl des Behinderten- und Rehabilitationssportverbandes. ID steht für ‚Intellectual Disability‘, geistige Behinderung. Eineinhalb Jahre haben er und sein Team daran gearbeitet, die Lerninhalte für die DFB-Basis-Coach Lizenz so anzupassen, dass auch Menschen mit geistiger Beeinträchtigung den Abschluss erlangen können. Wichtig sei es laut Lars Mrosko zum Beispiel, sich einfach und verständlich auszudrücken.
„Wir reden nicht vom peripheren Sehen oder vom abkippenden Sechser, sondern wir reden vielleicht über Zurücklaufen und Übersicht oder andere Geschichten, wir visualisieren Dinge, und wir gehen mit deutlich mehr Geduld ran und erklären die Sachen auf eine einfache Art, und dann wird es auch zum Erfolg führen.“
Für sein Pilotprojekt hat der umtriebige Fußball-Macher zwei prominente Unterstützer gefunden. Zum einen den mittlerweile 71-jährigen Felix Magath, für den der Fußballplatz das ideale Feld sei, um Menschen zu integrieren. Wie in seinem Fall viele ausländische Fußball-Profis. Magath erklärt:
Felix Magath und Kathrin Lehmann unterstützen das Projekt
„Ich selbst habe Spieler wie den Hasebe aus Japan geholt oder einen chinesischen Spieler damals zum FC Schalke gebracht, weil ich eben davon überzeugt bin, dass eine Andersartigkeit auch immer eine Entwicklung für eine Mannschaft darstellen kann. Und insofern freue ich mich, dass jetzt Lars Mrosko diese Initiative gestartet hat und dass eben dann Behinderte als Trainer fungieren können. Fungieren sollen.“
„Alle Menschen, die da teilnehmen, haben die Message bekommen: ‚Ich glaube an dich‘, und: ‚Es ist möglich‘“, sagt Kathrin Lehmann. Sie ist die zweite prominente Stimme, die das Projekt unterstützt. Mit Felix Magath zusammen hat sie die Schirmherrschaft übernommen. Die Schweizerin, seit drei Jahren Fußball-Expertin fürs ZDF, ist selbst Trainerin. Sie ist überzeugt: Menschen mit geistigem Handicap bekommen das genauso gut hin wie geistig nicht beeinträchtigte Menschen.
„Im Kinderfußball gibt es die Dreifachfrage, die dreimal mit ‚ja‘ beantwortet werden muss: Haben sie gelacht, haben sie geschwitzt, haben sie was gelernt? Und jeder Mensch, der die Fähigkeit hat, im Bereich Kinder, diese Fragen dreimal mit ja zu beantworten, soll trainieren, was sein Herz begehrt und Kinder und Eltern glücklich macht.“
Trainer mit Handicap vor allem im Kinder- und Jugendbereich vorgesehen
Im Kinder- und Jugendfußball dürfte auch die Zukunft der künftigen Basis-Coaches mit geistigem Handicap liegen. Eine Trainer-Lizenz für den gesamten Amateurbereich sei für sie viel zu anspruchsvoll, heißt es von Seiten des DFB. Lars Mrosko kann die Bedenken verstehen, ist dennoch zuversichtlich.
„Letztendlich glaube ich, dass man einfach gucken muss: Welche Beeinträchtigung haben die Personen? Und es werden nicht alle in der Lage sein, eine Mannschaft zu führen. Ja, aber vielleicht haben wir auch den einen oder anderen, der einfach eine Lese-Rechtschreib-Schwäche hat, der aber dafür auf dem Platz sehr gut ist und einen sehr guten Co-Trainer oder ein tolles Betreuer-Team hat.“
Nun gilt es erst einmal Erfahrungen zu sammeln – dafür ist ein Pilotprojekt ja da. An drei Wochenenden im März findet der erste Lehrgang in Cottbus statt. Zwölf Tandems werden daran teilnehmen. Zwei weitere Lehrgänge in Berlin und Brandenburg werden in diesem Jahr folgen. Wenn es gut läuft, könnte die DFB-Basis-Coach-Lizenz für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung auch ein bundesweites Erfolgsmodell werden.