Keine Veranstaltungen auf russischem Boden. Keine russischen Sportlerinnen, Trainer und Offizielle bei Wettkämpfen. Keine russischen Funktionäre mehr in internationalen Gremien.
Diese Maßnahmen hat die Exekutive des Weltrodel-Verbandes FIL Anfang März beschlossen. Das Schiedsgericht des Verbandes hat die Sanktionen mittlerweile aber wieder aufgehoben. Die Begründung: Die Maßnahmen seien rechtlich nicht zulässig, weil der Verband durch seine Statuten zu „politischer Neutralität“ verpflichtet sei.
"Ausschluss nicht möglich"
Auf einem außerordentlichen Kongress erreicht ein Antrag, den russischen Verband komplett auszuschließen, daher auch nicht die erforderlichen Stimmen – auch der deutsche Verband stimmt dagegen. Der Vorstandsvorsitzende Thomas Schwab:
„Natürlich hätten wir da anders gestimmt, hätten die ausgeschlossen, wenn es möglich wäre, aber in den Statuten der FIL steht ganz klar geschrieben, dass der Sport nicht politisch ist und das Verursachen des Krieges liegt ja nicht bei dem Verband, sondern bei dem Land.“
Die derzeitige Rechtslage sei eindeutig, erläutert der Sportrechtsexperte Christof Wieschemann: „Es gibt in allen Verbänden nicht wortgleich, aber sinngleich, einen sogenannten Code of Ethics, also die grundlegenden Werte, die für den Verband verbindlich sein sollen, sind da niedergelegt.“
Völkerrecht als Grundlage?
So ein Ethikkodex verbietet zum Beispiel Diskriminierung und verpflichtet die Verbände, sich an die Grundsätze der Völkerverständigung zu halten. Die Verbände können aber nur für ihr eigenes Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden. Deswegen ist es laut Wieschemann auch so schwer, russische Verbände für den Angriffskrieg ihres Landes zu bestrafen:
„Wir müssen zugestehen, dass die Verbände natürlich von der russischen Regierung nicht gefragt worden sind. Und wenn sie gefragt worden wären, hätten sie auf die Entscheidung der russischen Regierung Einfluss nehmen können.“ Das solle jetzt geändert werden, sagt Schwab: „Da geht man jetzt in den Dialog mit dem IOC und schaut, wie man das irgendwie hinbekommt.“
Nur konkret wird noch niemand. Die FIL teilt mit: „Es sollte auch im internationalen Sport möglich sein, Sanktionen gegen Sportverbände und Verbandsangehörige eines Landes zu setzen, welches durch ein UNO-Gremium oder das IOC bestätigtes völkerrechtswidriges Verhalten an den Tag legt.“
"Diskussion längst überfällig"
Aber auf der Grundlage des Völkerrechts können derzeit nur Staaten Sanktionen aussprechen. Der Sport ist privatrechtlich organisiert. „Die Weltsportverbände sind nach dem zugrunde liegendem Rechtssystem nichts anderes als ihrerseits Vereine, denen andere Vereine, nämlich die jeweiligen Nationalverbände, wieder angehören."
Also basiert die Entscheidung über Verbandsausschlüsse auf Vereinsrecht. Und dort gibt es keine Regel, dass Verbände für das Verhalten ihrer Heimatstaaten zur Rechenschaft gezogen werden können. Dabei sei diese Diskussion schon längst überfällig, meint Wieschemann: „Es gab viele Anlässe dazu, nicht zuletzt der Krimkrieg 2014.“.
Ausschluss von Russland als Veranstalter leichter umzusetzen
Noch gibt es keine Regeln, die den Ausschluss von Verbänden aus politischen Gründen regeln. Dagegen steht der Entzug von Veranstaltungen auf juristisch sicherem Boden, sagt Sportrechtler Wieschemann. Beispiel Volleyball: Der Weltverband hat aufgrund des Ukraine-Feldzuges Russland die Weltmeisterschaft in diesem Jahr entzogen. Die russische Föderation hat jetzt vor dem Internationalen Sportgerichtshof geklagt und fordert 80 Millionen US-Dollar Schadensersatz.
Wieschemann sieht wenig Aussicht auf Erfolg – denn bei solchen Sport-Großereignissen gibt es einen Host-City-Vertrag zwischen Weltverband und Veranstalter. Und darüber hinaus noch einen Kontrakt zwischen Welt- und Nationalverband:
„Hier geht es also wirklich um konkrete vertragliche Pflichten. Und da kann man definitiv sagen: Mit der Führung dieses Angriffskrieges durch Russland gegen die Ukraine und dieses unglaublichen Leides fehlt es dann an einer, in Deutschland würde man sagen, an einer Geschäftsgrundlage. Die Geschäftsgrundlage bei Abschluss des Vertrages ist durch diesen kriegerischen Akt dauerhaft entfallen, weil man unter diesen Bedingungen gegenwärtig keiner Nation dieser Erde kaum zumuten kann, an einem solchen Wettbewerb in Russland teilzunehmen.“
Richard Pound ist ein kanadischer Jurist und IOC-Mitglied. Pound nahm als Schwimmer bei den Olympischen Spielen in Rom 1960 statt. Er war der erste Chef der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA, 1999-2007) und arbeitete bis zum Jahr 2000 im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) als Vizepräsident und Vorstandsmitglied.
Maximilian Rieger: Herr Pound, jedes Mal, wenn das IOC und andere Sportverbände dafür kritisiert wurden, vor Verstößen gegen die Menschenrechte die Augen zu verschließen und Veranstaltungen wie die Olympischen Spiele oder Weltmeisterschaften in Ländern wie China oder Russland durchgeführt haben, war die Antwort immer: 'Wir, das IOC sind unpolitisch.' Ist jetzt die Zeit gekommen, diese Haltung zu verwerfen und zuzugeben, dass manchmal sogar das IOC politisch handeln muss?
Richard Pound: Es ist auf jeden Fall eine echte Zwickmühle für alle Sportverbände. Vielleicht haben wir uns zu sehr daran gewöhnt, dass es keine Kriege von dieser Größe mehr gab, seit dem Ende des 2. Weltkrieges. Und all unsere Regeln basieren auf der Annahme, dass man es mit vernünftigen Menschen zu tun hat, die ihrerseits die Regeln befolgen. Aber wenn es um Krieg geht, sprechen wir über ein anderes Thema. Dann stellt sich die Frage: Gibt es da einen Unterschied für ein Land, das einen Krieg startet? Gelten diese Regeln dann noch? Du überfällst ein Land und sagst dann: Ihr könnt uns nicht aus dem Sport raushalten, denn ihr seid politisch neutral – auch, wenn wir uns nicht politisch neutral verhalten. Ich sehe, dass das ein Problem ist.
Rieger: Haben Sie eine Lösung dafür?
"Ich würde sagen: Wir schicken keine Einladung. Punkt."
Pound: Eine Lösung ist sicher, die Regeln zu verändern, auch rückwirkend, wenn nötig und zu sagen: Unsere Annahme ist, dass wir es mit Leuten zu tun haben, die friedfertig sind. Wenn einer von unseren Mitglieds-Staaten sich nicht entsprechend verhält, dann brauchen wir vielleicht eine neue Regel oder wir sagen einfach: Halt, im Fall von einem unberechtigten Angriff auf ein anderes Land seid ihr einfach nicht eingeladen.
Rieger: Also unterstützen Sie zum Beispiel den Rodel-Weltverband, der gerade überlegt, wie er seine Statuen so verändern kann, um die Russen beim nächsten Kongress auszuschließen. Sie unterstützen, eine Regelung für diese besondere Situation zu finden.
Pound: Ich kann verstehen, warum sie das machen. An Stelle des Rodel-Verbandes würde ich sagen: Sorry, wir schicken euch keine Einladung. Punkt. Und wenn ihr mich verklagen wollt, dann verklagt mich. Aber ihr bekommt keine Einladung. Und wenn man keine Einladung bekommt, dann kann man nicht teilnehmen. Und es gibt noch andere Wege. Die Sportverbände könnten mit ihren Regierungen sprechen und sagen: Es wäre sehr hilfreich, wenn ihr russischen Sportlern verbieten würdet, ins Land zu kommen.
Rieger: Aber das würde ja bedeuten, dass eine Regierung sich bei einem Sport-Ereignis einmischen würde – etwas, womit das IOC sonst immer ein Problem hat.
Pound: Nein, weil die Regierung auf Wunsch von einem Verband agieren würde. Das ist eine andere Dynamik als eine einseitige Einmischung durch eine Regierung. Und wir hatten andere Fälle wo nationale Komitees zu ihren Regierungen gegangen sind und um gesetzliche oder administrative Hilfe gebeten haben. Das ist etwas anderes als eine ungefragte Handlung einer Regierung ohne vorherige Absprache.
CAS-Urteil könnte von Verbänden ignoriert werden
Rieger: Sie haben gerade gesagt, dass ein Verband einfach sagen sollte: Ihr Russen, ihr seid nicht eingeladen. Verklagt mich, wenn ihr ein Problem damit habt. Die Russen haben das ja bereits getan und sind vor den Sportgerichtshof CAS gezogen, zum Beispiel, um den Ausschluss durch die UEFA anzufechten. Was passiert denn, wenn der CAS urteilt, dass ein Ausschluss nicht rechtens ist? Sollen die Verbände so ein Urteil einfach ignorieren?
Pound: Das ist eine Möglichkeit. Die andere Möglichkeit ist, dass angesichts eines Krieges der CAS ein Urteil fällt, das diesen Kontext berücksichtigt.
Rieger: Sie glauben also, dass der CAS in diesen Fällen gegen Russland entscheiden wird?
Pound: Als Anwält würde ich jedenfalls sehr gerne diesen Fall vor dem CAS ausfechten…
Rieger: Wenn Sie einen Verband vertreten würden, wie würden Sie vor dem CAS argumentieren?
Pound: Ich würde sagen: Wir haben Regeln. Und wir agieren nicht in Übereinstimmung mit diesen Regeln, wenn wir einen Verband ausschließen. Aber diese Regel wurde geschrieben und umgesetzt auf der Basis, dass sich alle auf eine nicht-kriegerische Art verhalten. Hier haben wir eine Invasion. Und die Sportorganisationen im Land des Angreifers sind Teil von diesem Land. Und die Organisationen müssten so eine Entscheidung akzeptieren. Auch wenn es vielleicht keine Rodler in den russischen Truppen gibt. Aber ihr seid verantwortlich dafür, was euer Land tut.
Geringe Sanktionen gegen Funktionäre aus Russland "unverständlich"
Rieger: Sie befürworten also, dass Sportlerinnen und Sportler ausgeschlossen werden. Jetzt hat ein Report vom Think Tank „Play the Game“ gezeigt, dass nur 7 von 40 Verbänden auch russische Offizielle ausgeschlossen haben. Auch das IOC empfiehlt nur Athleten auszuschließen, keine Funktionäre. Warum sind die Strafen für Sportlerinnen und Sportler härter als für Offizielle?
Pound: Ich bin nicht Teil dieser Diskussion gewesen, deswegen weiß ich nicht, warum es einen Unterschied zwischen Sportlern und Funktionären gibt. Es erscheint unverständlich, dass die Strafen hier selektiv sind. Ich kenne die Antwort auf die Frage nicht, aber es ist eine gute Frage.
Rieger: Das IOC Executive Board hat die Möglichkeit, IOC-Mitglieder zu suspendieren, bis die IOC-Session dann über einen Ausschluss abstimmen kann. Im Moment hat das IOC zwei ordentliche Mitglieder und zwei Ehrenmitglieder aus Russland. Sollten die Ihrer Meinung nach suspendiert und ausgeschlossen werden?
Pound: Nun, nochmal, ich weiß nicht, wie die Entscheidung getroffen wurde, deswegen ist es schwer, eine sinnvolle Antwort darauf zu geben.
Rieger: Aber im Moment frage ich ja nach Ihrer Meinung. Wenn Sie Mitglied des Boards wären, würden sie dann für eine Suspendierung der russischen Mitglieder plädieren? Zum Bespiel von Yelena Issinbajewa, die wahrscheinlich am bekanntesten ist. Sie hat Wladimir Putin im Wahlkampf unterstützt. Sie wurde 2020 von Putin ausgewählt als eine von 75 Personen, die die Verfassung umschreiben sollten. Sie war auf einer russischen Airbase in Syrien, um die Truppen dort zu unterstützen. Sollte Sie Ihrer Meinung nach ein IOC-Mitglied bleiben?
Pound: Nun, ich weiß wirklich nicht, was dort diskutiert wurde. Vielleicht hängt es daran, dass IOC-Mitglieder einen besonderen Status in ihrem Heimatland haben. Unsere Philosophie ist: Ich bin kein kanadischer Repräsentant beim IOC. Ich bin ein Repräsentant des IOC in Kanada. Das ist eine schwierige Philosophie, aber das könnte ein Teil der Erklärung sein. Und ich weiß nicht, ob es so etwas wie einen freiwilligen Rückzug der ordentlichen Mitglieder geben könnte. Denn wie sie wissen, die Ehrenmitglieder sprechen und wählen bei den Versammlungen nicht. Mehr bedeutet eine Ehrenmitgliedschaft nicht: Sie dürfen zuhören, aber wir wollen nicht hören, was sie zu sagen haben…
"Issinbajewa muss sich mit der Situation beschäftigen"
Rieger: Aber Frau Issinbajewa ist kein Ehrenmitglied, sie darf abstimmen. Und sie musste einen Eid schwören, als sie IOC-Mitglied geworden ist, dass sie die Olympische Charta respektiert. Und in der Charta steht: Das Ziel der olympischen Bewegung ist, den Sport in den Dienst der harmonischen Entwicklung der Menschheit zu stellen, um eine friedliche Gesellschaft zu fördern, die der Wahrung der Menschenwürde verpflichtet ist. Wie passt das mit der Unterstützung des russischen Präsidenten zusammen?
Pound: Nun, das ist etwas, womit sie sich beschäftigen muss. Denn es ist natürlich eine schwierige Situation. Ich denke, die Position des IOC wird sich auch verändern. Je länger der Konflikt andauert, je schlimmer er wird, desto mehr wird das IOC sagen: Unser Hauptziel ist Frieden. Alles, was wir tun, ist darauf ausgerichtet. Wie gehen wir dann mit dem Verhalten von einem Land um, in dem das IOC durch Mitglieder vertreten wird? Und das letzte Meeting des Exekutiv Board war, glaube ich, kurz nachdem der Konflikt gestartet ist. Ich bin mir sicher, die Haltung wird sich entwickeln und ich vermute, dass das Exekutiv Board und die Administration sich gerade genau damit beschäftigen.
Rieger: Sind andere IOC-Mitglieder wie Sie in diese Diskussion mit eingebunden? Gibt es darüber eine interne Diskussion oder ist das eine Entscheidung, die von den Mitglieder des Exekutiv Boards getroffen wird, ohne die anderen IOC-Mitglieder einzubeziehen?
Pound: Ich nehme an, dass die Administration und das Exekutiv Board etwas vorbereiten würden, wenn es eine Veränderung dieser Art geben würde. Aber das IOC-Exekutiv Board ist die Regierung des IOC. Die Mitglieder können über Dinge abstimmen, wenn die Frage aufkommt, aber die Rahmenbedingungen und die Richtlinie würde vom Exekutiv Board bestimmt werden. Meine Vermutung ist, dass wenn das Exekutiv Board zu so einem Schluss kommt, dass es sich das durch die Mitglieder bestätigen lassen würde.
Rieger: Ein letzter Versuch: Würden Sie für einen Ausschluss von zum Beispiel Frau Issinbajewa stimmen?
Pound: Ich habe immer gelernt: Sprich nicht, wenn du nicht beide Seiten der Geschichte kennst. Und ich habe die andere Seite noch nicht gehört. Das Exekutiv Board trifft keine ungestümen Entscheidungen. Einer von Thomas Bachs Vorgängern, Juan Antonio Samaranch, hat mal gesagt: Das einzige Mal, dass wir schlimme Fehler machen, ist, wenn wir zu schnell handeln. Es ist frustrierend diesen Konflikt, diesen Krieg zu haben und nichts tun zu können. Aber ich denke, weil es so wichtig ist und weil die Entscheidung Auswirkungen haben wird, die bleiben werden, selbst wenn der Konflikt vorbei ist, ist es so wichtig, es richtig zu machen. Und als IOC-Mitglied fühle ich mich wohl dabei zu wissen, dass sich das Exekutiv Board alle Seiten anguckt und die Konsequenzen abwägt – von keinen Maßnahmen, über einigen Maßnahmen oder drastischen Maßnahmen. Es gibt eine ganze Bandbreite an Möglichkeiten. Und ich bin zuversichtlich, dass es sehr durchdacht sein wird und den Mitgliedern dann erklärt wird.
"Es ist wichtig, die bestmöglichen Beziehungen zu Regierungs-Offiziellen zu haben"
Rieger: IOC-Präsident Thomas Bach hat sich regelmäßig mit Wladimir Putin getroffen. 2018 hat er gemeinsam auch noch mit FIFA-Präsident Gianni Infantino ein Spiel der Fußball-Weltmeisterschaft in Moskau genossen. War diese Kumpanei oder dieses zur Schau stellen, dass die Präsidenten der wichtigsten Sportverbände mit Herrn Putin eine gute Zeit hatten, ein Fehler?
Pound: Vieles von diesen Dingen sind symbolische Gesten. Infantino und Thomas haben keine Divisionen oder Panzer. Es ist wichtig, die bestmöglichen Beziehungen zu Regierungs-Offiziellen zu haben, weil in vielen Ländern, praktisch allen, die Regierungen sehr wichtig sind, beim Sportstättenbau und so weiter. Das war also eine symbolische Geste. Und zu dieser Zeit war Russland nicht im Krieg.
Rieger: Nun, die Ukrainer würden wahrscheinlich sehr wohl sagen, dass es damals einen Krieg gegeben hat, weil seit 2014 russische Truppen auf der Krim und im Osten der Ukraine aktiv waren. Und der Krieg dauerte an, als Thomas Bach und Gianni Infantino einen schönen Fußball-Abend mit Wladimir Putin in Moskau hatten.
Pound: Darüber weiß ich nicht genug. Ganz offensichtlich hat es Konflikte in Teilen der Ukraine gegeben. Die Frage ist, ob es eine aggressive Intervention eines anderen Landes gegeben hat oder ob vielleicht die Menschen in diesen Landesteilen mit den Russen sympathisiert haben und gehofft haben, die Verhältnisse zu ändern – aber es hat keinen wahllosen Raketenbeschuss oder Morde gegeben, wie sie im Krieg stattfinden. Ich weiß nicht genug über die Situation…
Rieger: Aber das ist ein interessanter Punkt. Wo ziehen Sie denn die Linie oder wo sollten das IOC und die Verbände die Linie ziehen? Die Annexion der Krim war offensichtlich keine rote Linie für das IOC und andere Verbände wie die FIFA, weil die Weltmeisterschaft 2018 ja in Russland stattgefunden hat. Aber jetzt ist dieser Krieg in ihrer Wahrnehmung eine rote Linie. Also: Wo ist die rote Linie?
Pound: Bei Kriegen ist es oft schwer, eine Linie zu ziehen. Aber für die Welt ist das im Moment ein Krieg, eine Invasion von einem Land durch massiven Einsatz von Soldaten, schwerbewaffnet, mit wahllosem Bombardement. Das hat eine Linie überschritten. Und damit kämpfen wir jetzt als Sport-Organisationen. Und wir sind da im Nachteil, weil uns ein paar Standartantworten nicht zur Verfügung stehen. Vor diesem Problem stehen ja jetzt auch die Rodler: Ist es das Beste, die Statuten umzuschreiben, um mit solchen Situationen umzugehen, und sie rückwirkend anzuwenden? Ist das der beste Weg, damit umzugehen? Und ich denke, die Meinungen werden da auseinander gehen. Und wir werden sehen, wie die unterschiedlichen Sportarten damit umgehen werden.
Rieger: Ist das auch ein Moment für Sport-Funktionäre und für den IOC-Präsidenten, sei es Thomas Bach oder seine Nachfolger, neu zu bewerten, welche symbolischen Gesten man autoritären Herrschern anbietet? Ist das ein Punkt, an dem Sportverbände darüber reflektieren müssen, was sie in der Vergangenheit getan haben und vielleicht zu sagen: Vielleicht hätten wir das nicht machen sollen. Vielleicht brauchen wir etwas mehr Distanz zu Diktatoren, auch, wenn wir sie vielleicht in der Zukunft brauchen.
Pound: Wie ich schon gesagt habe, ich glaube, eines unserer Probleme ist, dass wir seit den 40-er-Jahren keinen Krieg mehr hatten. Wir hatten lokale Konflikte und Gewalt, aber keinen Krieg. Und wir sind aus der Übung gekommen, damit umzugehen. Aber wenn Sie sich daran erinnern, nach beiden Weltkriegen wurden die Verlierer, die Aggressoren ausgeschlossen – auch, wenn die Athleten dieser Länder nicht selbst verantwortlich waren. Und wir hatten den Ausschluss von Südafrika aufgrund des Apartheid-Regimes, von 1960 bis 1992 wurde Südafrika von Olympia ferngehalten, entweder durch ad-hoc-Entscheidungen oder ab 1970 dauerhaft.
Rieger: Aber seitdem ist das nicht mehr passiert. Müssen das IOC und die Sportverbände härter gegenüber Diktatoren auftreten?
Pound: Ich tue mich schwer. Der Diktator des einen ist der Held des anderen. Da muss man vorsichtig sein. Aber politische Führungen haben die Tendenz dazu, ein schwaches Gedächtnis zu haben. Und es ist wichtig, dass so ein Verhalten Konsequenzen für die Bürger dieses Landes haben kann.
Hier hören und lesen Sie das vollständige Gespräch mit Richard Pound. Im Deutschlandfunk haben wir aus Zeitgründen eine gekürzte Variante gesendet.